Pater Dr. Peter Uzor: „Die Art Jesu, Mensch zu sein, verrät viel über die Art, wie seine Eltern Mensch waren“

 

In seiner Predigt zum Fest der Heiligen Familie geht unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor der Frage nach, woher Jesus seine Fähigkeiten und Talente hat.

Seinen Gottesdienst zum Jahresabschluss 2023 in der St. Marienkirche im oberfränkischen Sonnefeld leitet Pater Peter mit folgenden Worten ein:

Wir durchleben gerade die letzten Stunden des Jahres 2023, und wir verbringen sie im Kreis der Heiligen Familie, deren Fest wir heute feiern. Jesus, Maria und Josef haben uns durch alle Tage des Jahres begleitet. Heute schauen wir besonders auf die „Heilige Familie“ von Nazareth. Dies ist aber nur die halbe Wahrheit, wenn wir von der Heiligen Familie reden: Jesus gehört nicht nur einer irdischen Familie an, er ist zugleich der ewige Sohn Gottes und damit von Ewigkeit her Teil der göttlichen Familie. Auch in sie dürfen wir uns eingebunden wissen – in die Familie des mitgehenden, nahen Gottes.

 

Anbei die Worte seiner Silvester-Predigt, die Pater Peter unter die Überschrift „Woher hat er das alles?“ stellt:

 

Woher hat er das alles, dieser Jesus? Das fragen sich die Bewohner seiner Heimatstadt Nazaret. Den kennen wir doch! Sie mögen ihn anscheinend nicht besonders, sind aber doch auch erstaunt über das Eindrucksvolle, das sie über ihn hören. Woher hat er das?

Ja, woher soll er das denn haben? Die Antwort liegt doch auf der Hand: aus seiner Familie.

Die Familie Jesu in Nazaret, wir nennen sie „die heilige Familie“, ist für Jesus der Lernort, an dem er das Menschsein gelernt hat – 30 Jahre lang.

Natürlich ist ein Kind nicht einfach die Summe aus Mutter und Vater. Jedes Kind ist ein einmaliges, eigenständiges Wesen. Trotzdem hat es viel von seinen Eltern, bei denen es groß wird, bei denen es leben lernt, bei denen es auch glauben lernt (wenn letzteres auch in unserer Zeit massiv schwindet). Selbst ein adoptiertes Kind lernt das Menschsein in seiner Familie, bei der Mutter, beim Vater. Wenn ich bei einem Menschen typische Eigenschaften wahrnehme, darf ich davon ausgehen, dass er vieles von den Eltern hat.

Was weiß ich schon als Franziskaner über die Eltern des Franziskus? Wenig. Aber in ihm lebt vieles von seinen Eltern. An ihm kann ich manches ablesen, was seine Eltern ihm vererbt und beigebracht haben – und was er sich bei ihnen abgeschaut hat.

Das Gleiche gilt für Jesus. Seine Art, Mensch zu sein, verrät viel über die Art, wie seine Eltern Mensch waren. Seine Art lässt Rückschlüsse auf seine Familie zu. Was sagen uns Charakterzüge Jesu über seine Familie, über Josef, über Maria?

 

1. Jesus war ein Mensch mit Einfühlungsvermögen

Das zeigt seine Sensibilität für Kranke, seine Achtsamkeit für Menschen mit Sünden und Schwächen. Vorverurteilungen mochte er nicht. Die Frau am Jakobsbrunnen erfuhr einen Jesus, der sich in sie hineinfühlte. Und der fragende Nikodemus erlebte ihn überaus geduldig mit seinen vielen Fragen. Sein Einfühlungsvermögen hat den Menschen gutgetan. Wo soll er das gelernt haben, wenn nicht in seiner Familie. Einfühlungsvermögen, Empathie, wie wir das heute nennen, wird sicherlich Maria geprägt haben – und auf seine Art auch Josef. Von beiden hat Jesus gelernt, auch als Mann einfühlsam zu sein.

Und ich denke mir: Das wäre doch auch ein gutes Lernprogramm für eine Familie heute: einfühlen, Rücksicht nehmen. Wo sollen Kinder und junge Menschen das lernen, wenn nicht in der Familie!? Und das wäre doch wahrhaftig auch ein gutes Lernprogramm für die ganze Menschheitsfamilie. Dann gäbe es so dramatische Zustände wie in der Ukraine oder in so manchen anderen Ländern nicht!

2. Jesus konnte streiten

Er war, wie wir sagen, „ein grundehrlicher Kerl“. Er sagte, was er dachte, widersprach, wo Unrecht geschah – und ließ sich selbst auch nicht alles gefallen. Es beeindruckt mich, wie couragiert er den Knecht des Hohenpriesters, der ihm ins Gesicht geschlagen hat, konfrontiert: „Hab’ ich Dir Unrecht getan, dann weise es mir nach. Wenn aber nicht, warum schlägst du mich?“ Klare Worte! Wenn es sein musste, konnte er streiten. Dabei schreckte er auch vor „denen da oben“ nicht zurück, wenn es um die Wahrheit ging. Er konnte sogar cholerisch werden wie etwa bei der Tempelreinigung.

Auch das, so ahne ich, hat er in seiner Familie gelernt. Offensichtlich waren Josef und Maria Menschen, die nicht alles beschwichtigend zudeckten, Menschen, die geradeheraus waren und redeten. Und das taten sie nicht, weil sie Freude am Streiten hatten. Sie taten es aus Liebe. Liebe schenkt mir Freiheit, auch zu streiten, denn sie nimmt mir die Angst, dass man mir Liebe entzieht und mich fallen lässt. Wo soll Jesus das gelernt haben, wenn nicht bei seinen Eltern!

3. Jesus konnte Nähe zulassen

Er war ein Mensch, der keine Angst vor der Berührung hatte. Er ließ die Menschen an sich heran. Aber er griff nicht vereinnahmend nach ihnen. Er hatte ein gesundes Gespür für Nähe und Distanz. Ehrfurcht vor dem anderen und gleichzeitig eine Unkompliziertheit waren ihm eigen. So nahm er wie selbstverständlich Kinder in die Arme (was heute „dank“ des Missbrauchs von Kindern auch durch Priester gar nicht mehr möglich ist), ließ sich von der blutflüssigen Frau berühren, ließ Johannes an seiner Brust liegen. Diese Nähe galt nicht nur denen, die ihm nah waren, sie galt auch den Fremden. Das Staunen der Samariterin erzählt davon. Wie wichtig gerade auch das letzte in einer Welt der Migration, der Flucht und der Vertreibung ist, muss ich nicht eigens unterstreichen. In dieser Haltung können Fremde Freunde werden!

Solche unkomplizierte Nähe wird er auch wiederum in seiner Familie gelernt haben, wo denn sonst! Ich ahne, dass beide Elternteile dabei eine wichtige Rolle gespielt haben, für Jesus als Mann sicher auch in besonderer Weise Josef, der Mann.

4. Jesus war zäh

Dass Jesus kein leichter Brocken war, davon können Schriftgelehrte und Pharisäer ebenso wie Pontius Pilatus ein Lied singen. Er blieb „am Ball“, er blieb seiner Sendung treu, konsequent bis zum Tod. Zäh war er, ein Mensch mit Durchhaltevermögen. Das hat er wahrscheinlich von seiner Mutter gelernt, ist doch Zähigkeit ist eine eher frauliche Tugend, die aber auch uns Männern guttut. Jesus war nicht nur zärtlich, er war auch zäh! Auch dazu war seine Familie der Lernort, seine Mutter vor allem, aber wahrscheinlich auch sein Vater. Ob Kinder das heute in unseren Familien auch noch lernen? Es täte ihnen gut!

5. Jesus konnte lieben

Er war nicht sentimental, „Händchen halten“ war nicht unbedingt „sein Ding“. Er lebte vielmehr eine handfeste Liebe. Wenn er zu einem Menschen ja gesagt hatte, dann hielt er dieses Ja auch durch – in guten und in schweren Zeiten. Einer durfte das ganz besonders erleben: Petrus. Dem schwachen Petrus hat er in der Berufungsstunde zugesagt: Hab keine Angst! (Lk 5,10) In der dunkelsten Stunde des Petrus, nachdem der gleich dreimal geleugnet hatte, Jesus auch nur zu kennen, blickte er ihn an und machte ihm Mut, sich nicht aufzugeben.

Die Liebe Jesu galt und gilt jedem Menschen, dem Heiligen genauso wie dem Sünder, dem Lachenden wie dem Schmerzverzerrten, dem Lebenden wie auch dem Toten. Keiner fällt aus seiner Liebe heraus! Manchmal konnte seine Liebe sogar emotional werden etwa am Grab des Lazarus, wo er um seinen toten Freund weint. Liebe ist die Kraft zum Durchhalten in guten und in schweren Tagen. Auch das hat er am Lernort der Liebe schlechthin gelernt: in seiner Familie.

6. Gaben, die dem Reich Gottes dienen

All das, was Jesus in seiner Familie gelernt hat, sind natürliche Gaben – durch die das nahe Reich Gottes anschaulich und lebendig wird. Diese Gaben braucht die Kirche auch heute, wenn sie glaub- und vertrauenswürdig Frohbotschaft verkünden will. Das alles fällt aber nicht einfach vom Himmel, es will von Kindsbeinen an gelernt sein: wo, wenn nicht in der Familie?!

Darum wünsche ich mir, dass auch heute die Familien Lernorte sind: für Einfühlungsvermögen, Streitkultur, Nähe, Zähigkeit und Liebe.

Amen.