Anbei die Auslegung von Pater Christoph Kreitmeir zu Mt 11, 2-11 als Audio-Datei und anschließend im Textformat:

 

 

Irgendetwas Besonderes ist passiert, so besonders, dass die Botschaft darüber sogar Gefängnismauern durchdringen kann: „Johannes der Täufer hörte in jener Zeit im Gefängnis von den Taten des Christus“, so hieß es zu Beginn unseres heutigen Evangeliums.

Ja, das stimmt! Besondere Nachrichten verbreiten sich wie ein Lauffeuer und dringen durch jede kleinste Ritze und machen neugierig und erwartungsvoll. Wenn es sich dabei um seriöse Nachrichten handelt, dann frägt man irgendwie nach, um weitere Informationen bekommen zu können.

Genauso macht es auch Johannes. Er schickt seine Jünger zu Jesus, dem Christus, und lässt nachfragen, ob er der sei, der da kommen soll, oder sollen sie noch auf einen anderen warten. Jesus gibt ihnen dann Antworten, die er eindeutig durch seine Taten belegen kann: Blinde, Lahme, Aussätzige und Taube werden wieder gesund, ja sogar Tote stehen wieder auf und die Botschaft vom Reich Gottes erstarkt alle Niedergedrückten und Armen.

Und nach diesem Zeugnisgeben von Gottes nicht zu bändigender Kraft beginnt Jesus zu den Menschen über Johannes, seinen Freund seit Kindesbeinen an, zu sprechen.

Die Formulierungen „Was habt ihr (denn) sehen wollen“ oder „Wozu seid ihr hinausgegangen?“, die Jesus hier verwendet, verweisen auf ein menschlich-psychologisches Phänomen, das es in sich hat: Erwartungshaltungen, Vorstellungen, Wunschdenken …

Es ist fast so, wie in folgender Anekdote: Ein Mann läuft eines Abends unter einer Straßenlaterne auf und ab, den Blick auf den Boden geheftet. Ein Spaziergänger tritt hinzu und fragt: „Suchen Sie etwas?“ „Ja“, antwortet der Mann, „ich habe meinen Schlüsselbund verloren.“ „Wo haben Sie ihn denn verloren?“ „Dort drüben, an der Ecke.“ „Ja, warum suchen Sie ihn denn hier?“, ruft der Spaziergänger verwundert. „Dumme Frage“, entgegnet der Mann, „dort drüben ist’s dunkel, da kann man nichts sehen!“

Wenn uns also die dunkle Umgebung nicht gefällt, in der wir die Schlüssel zu unseren Türen verloren haben, dann wechseln wir in eine hellere Wunsch- oder Erwartungswelt und wundern uns, wenn wir nicht das Richtige oder sogar Nichts finden.

Wünsche, Erwartungen und Erwartungshaltungen sind meistens falsch und viel zu hoch angesetzt … und werden somit leicht zur Quelle von Enttäuschung und Unzufriedenheit.

„Das habe ich mir aber ganz anders vorgestellt“, hört man nicht selten, wenn sich Menschen damit auseinandersetzen müssen, dass das Leben halt kein Wunschkonzert ist und es fast immer anders als erwartet kommt.

Enttäuschungen über nicht erfüllte Erwartungen an Partner, Kinder, Angehörige, Freunde und Bekannte, an die Karriere und das Leben überhaupt nehmen in unserem Denken und Fühlen einen breiten Raum ein. In unserem Kopf haben wir Vorstellungen und Erwartungen von der Welt, wie wir sie gerne hätten. Die Welt ist jedoch wie sie ist und richtet sich nicht nach unserer Erwartung. Enttäuschungen sind also vorprogrammiert. Jedes Mal, wenn unsere Erwartungen nicht erfüllt werden, wachen wir schmerzhaft aus unserer Traumwelt auf, um uns bald wieder in unsere selbstgemachte Pippi-Langstrumpf-ich-mach-mir-die-Welt-wie-sie-mir-gefällt-Einstellung einzulullen. Doch auch hier werden wir wieder schmerzhaft erwachen …

In dem Wort „erwarten“ steckt interessanterweise das Wort „warten“. Warten gehört zu unserem Leben und zu unseren Lebensaufgaben. Wir müssen/wir dürfen im Laufe unseres Lebens das „Warten-lernen“ einüben, wenn wir nicht permanent frustriert sein wollen.

Um unseren inneren Frieden finden und wirklich dauerhaft aufrecht erhalten zu können ist es deshalb wichtig, innerlich einen gesunden Abstand zu unseren Erwartungen an das Leben zu bekommen.

Wie bekommt man diesen Abstand zu Erwartungshaltungen, die einem nicht guttun?

  • Eine Antwort heißt „Realitäts- und Faktencheck“, nämlich das Leben so annehmen lernen, wie es ist.
  • Dann Einflusscheck, d.h., was kann ich ändern, wenn ich enttäuscht oder unzufrieden bin. Wenn ich etwas ändern kann, dann muss ich es auch tun, um den Zustand zu ändern. Wenn ich nichts ändern kann, dann darf/dann muss ich lernen, es anzunehmen.
  • Dabei die innere Haltung der Dankbarkeit einüben, dich nicht an dem orientieren, was du nicht hast, sondern an dem, was du hast.
  • Den Preis kennen, was soviel bedeutet, dass alles seinen Preis hat. Wer hohen oder zu hohen Erwartungen folgt, zahlt mit Frustration, Enttäuschung, Depression, Ärger, psychosomatischen Störungen und gesundheitlichen Einbußen.

 Der Prophet Johannes der Täufer war jemand, der fähig war, seinen Blickwinkel zu ändern. Er, der früher ein strenger Rufer in der Wüste war, wird zum Hörenden. Er, der früher heftig Umkehr predigte, wird zum Suchenden und Fragenden.

Amen.