In seiner Auslegung der Sonntagslesung (Lev 19, 1-2.17-18) und des Sonntagsevangeliums (Mt 5, 38-48) geht unser geistlicher Begleiter Pater Christoph Kreitmeir auf den Appell Jesu, den Feind zu lieben, ein und beschreibt, wie Feindesliebe zum tragfähigen Parameter des Lebens werden kann.

 

Anbei die Worte seiner Predigt als Audio-Datei und anschließend im Text-Format:

 

 

Die alttestamentliche Lesung aus dem Buch Levitikus und die Fortführung der Bergpredigt Jesu im Matthäusevangelium können bei uns das Gefühl von Erstaunen und von Frustration hinterlassen. Erstaunen, was Gott und Jesus uns an Gutem zutrauen und Frustration, weil wir das so selten erreichen.

Das Thema der Feindesliebe ist die Krönung der Weisungen Jesu, die wohl nur er selbst erreichen konnte. Jeder von uns kennt das tiefe Gefühl der Revanche, der Rache und des Zurückzahlens, wenn wir Unrecht, Gewalt und Aggression erlitten haben. Diese Gefühle sind so stark in uns, dass Jesu Weisungen kaum Kraft haben, diese zu durchdringen.

Weil wir aber wissen, dass es mit „Aug um Aug“, „Zahn um Zahn“ und „Wie du mir, so ich dir“ noch nie zu einer echten Lösung kam, weil wir uns aber in einer Welt befinden, in der der Stärkere den Schwächeren unterdrückt, quält oder vernichtet, müssen wir Wege finden, welche die Spiralen der Aufrüstung und der Gewalt sinnvoll und fruchtbar unterbrechen.

Seit dem Beginn des Ukrainekrieges traut man seinen Augen und Ohren nicht mehr. Parteien und Politiker, die vorher teilweise naive Vorstellungen von Frieden und gutem Zusammenleben von Völkern hatten, vertreten heute lautstark die massive Aufrüstung der Bundeswehr und immer größere Waffenlieferungen an die von Russland überfallene Ukraine. Gibt es da nicht noch andere Wege? Das „Manifest für Frieden“ von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht, das Verhandlungen statt Panzer fordert, ist gut gemeint aber unrealistisch.

Die Beschwichtigungspolitik des englischen Premierminister Artur Chamberlain dem Diktator Hitler gegenüber, die als „Appeasementpolitik“ in die Geschichte einging, scheiterte kolossal. Hitler brauchte ein klares Gegenüber wie es Winston Churchill war. Diktatoren, und das gilt sicherlich auch für Putin, muss entschieden gegenüber getreten werden.

Was machen wir Christen aber mit Jesu Weisung, ja vielleicht sogar seiner Forderung, die Feinde zu lieben?

Ähnlich, wie auch bei den anderen Weisungen der Bergpredigt geht es um jeden einzelnen und wie bereit und fähig er oder sie sind, die Feindesliebe zu leben.

Eine einfache alte russische Bäuerin gab dem nach dem 1. Weltkrieg von Russland nach Deutschland flüchtenden späteren Schriftsteller Werner Bergengruen Nahrung und Zuwendung, weil sie sich sagte: Mein Sohn ist in deutscher Gefangenschaft. Ich weiß nichts von ihm. Ich tue dem Deutschen Gutes in der Hoffnung, dass mein Sohn dann nicht so Schlimmes erfährt.

Feindesliebe ist kreativ, Feindesliebe überwindet nicht nur Feindbilder, sondern vor allem sich selbst. Feindesliebe kommt aus dem Innersten. Feindesliebe will trainiert und gebildet werden.

Wir können das in unserem Alltag einüben. Wir sollen dabei aber wach bleiben gegenüber den Plänen des Feindes. Feindesliebe ist nämlich nicht blauäuig, naiv oder weltfremd. Feindesliebe ist das genaue Gegenteil davon! Mahatma Gandhi, Dietrich Bonhoefer, P. Maximilian Kolbe, Martin Luther King, Nelson Mandela und Gott sei Dank viele viele andere haben uns das gezeigt und vorgelebt. Die Feindesliebe darf nicht beim Lippenbekenntnis bleiben, sie will zum Herzensbekenntnis werden und das braucht Übung, Übung und nochmals Übung.

Der mittlerweile heiliggesprochene Papst Johannes Paul II. war für mich so ein Mensch, der die Feindesliebe von Jugend auf im Kommunismus einüben konnte. Dadurch geistig immer stärker geworden war er – und das sage nicht nur ich – sehr stark mitverantwortlich für den inneren und dann auch den äußeren Zerfall der Sowjetunion. Unvergesslich sind die Bilder des Falls der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhanges. Für mich war aber auch das ehrliche Vergeben der lebensgefährlichen Schüsse auf Johannes Paul II. durch den Attentäter Mehmet Ali Agca eine der sehr großen Leistungen dieser großen Seele Karol Wojtyla.

Durch stetes Einüben der Weisungen Jesu konnten er und viele andere den Lauf von Aggression und Gegenaggression, von Gewalt und Vergeltung durchbrechen.

Letztlich sind es über Jesu Weisungen hinaus die persönlich gepflegte Verbindung mit ihm, die uns befähigt, in den Feinden die Nächsten zu sehen und in Tätern vergebungswürdige Menschen. Das Einüben ist wichtig, aber letztlich ist die Fähigkeit zur Feindesliebe Gnade, eine Gnade Gottes, die auch erbetet werden will.

Amen.