Obdachlosenweihnacht in München: „Der Mensch am Rand ist unsere Mitte“

Foto: Tobias Ranzinger / HB

In Liebe und Frieden den Heiligen Abend verbringen. Ganz im Sinne des Festes „Jesu Geburt“, das wir Christen in jedem Jahr weltweit feiern, lud der katholische Männerfürsorgeverein München e.V. (KMFV) Bürgerinnen und Bürger ohne eigenen Wohnraum zur traditionsreichen Weihnachtsfeier in den Festsaal des Münchner Hofbräuhauses ein und feierte damit zeitgleich ein Jubiläum: Bereits zum 70.Mal! fand dieser Event im Zeichen der Nächstenliebe direkt am Heiligen Abend statt.

Unser Vorsitzender von PromisGlauben, Markus Kosian, nahm auf Einladung vom Hofbräuhaus-Wirt Wolfgang Sperger an dieser besonderen Veranstaltung teil. Lesen Sie hier, welche Eindrücke Markus Kosian gesammelt und mit nach Hause genommen hat.

Etwa 700 Gäste nahmen im restlos gefüllten Festsaal des Hofbräuhauses an dieser besonderen Weihnachtsfeier teil, zu der auch Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg gekommen war, um gemeinsam mit ihnen Weihnachten zu feiern. 100 ehrenamtliche Helfer bedienten die Gäste und schenkten am Heiligen Abend bedürftigen Menschen Heimat und Geborgenheit.

Im Zuge der Veranstaltung machte der Pressesprecher des Hofbräuhauses Tobias Ranzinger unseren Vorsitzenden Markus Kosian mit Ludwig Mittermeier, Vorsitzender des KMFV, bekannt, der sich Zeit nahm, Markus die Hintergründe und die Motivation dieser Veranstaltung zu erklären.

Foto: Tobias Ranzinger / HB
Foto: PromisGlauben e.V. – im Bild Ludwig Mittermeier
Foto: Tobias Ranzinger / HB

Der katholische Männerfürsorgeverein München e.V. wurde 1950 durch „Bunkerpfarrer“ Adolf Mathes gegründet. Hintergrund war, dass in den Nachkriegsjahren in München die Zahl wohnungsloser Menschen besonders stark anwuchs. Immer mehr Notbaracken mussten kurzfristig eingerichtet werden, insbesondere für Männer, die sonst auf der Straße gelebt hätten. Um die erste Not zu lindern, wurden Bunkeranlagen in Betrieb genommen. So fand auch die erste „Obdachlosenweihnacht“ in einem Hochbunker statt.

Darauf bezugnehmend betonte der heutige Vorsitzende, Ludwig Mittermeier, dass es auch heute dem Verein darum gehe, unbürokratisch und möglichst niederschwellig Hilfe zu leisten. Besonders hob Mittermeier hervor, dass die Obdachlosenweihnacht nicht irgendwo am Rand von München, sondern mitten in der Altstadt, im Hofbräuhaus am Platzl stattfindet, was symbolisiert, dass Kirche mitten in der Gesellschaft präsent ist für Menschen am Rand der Gesellschaft. Dazu betonte der KMFV-Vorsitzende:

„Der Mensch am Rand ist unsere Mitte.“

Weiter erklärte Ludwig Mittermeier, dass die Obdachlosenweihnacht in München zwei Besonderheiten habe: Zum einen, dass 100 ehrenamtliche Helfer aus der Mitte der Gesellschaft die Gäste bewirten und sich dafür am Heiligen Abend die Zeit nehmen, was auf die zweite Besonderheit verweist. Denn die Münchner Obdachlosenweihnacht finde nicht in den Tagen vor Weihnachten statt, sondern ganz bewusst am Heiligabend zwischen 18 und 21 Uhr, wo in ganz Deutschland die Bescherung stattfindet. Denn genau dies sei für die obdachlosen Menschen eine Zeit der Erinnerungen an frühere Weihnachten und an bessere Zeiten sowie eine Zeit, „wo man nicht allein sein will“, so Mittermeier. Ein schönes Zeichen von gelebter Nächstenliebe ist dabei, dass die ehrenamtlichen Helfer, die ja selbst eine Familie haben, diese besondere Zeit mit Menschen am Rand der Gesellschaft verbringen.

Auch Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg widmete gerne seine Zeit für dieses, nach seinen Worten, „Highlight am Heiligabend“. Nachdem er von Tisch zu Tisch gegangen war, um die Gäste mit Handschlag und Ermutigung zu begrüßen, erklärte er in seiner kurzen Ansprache, dass er heute in den Einkaufsstraßen „viele Menschen mit vielen Tüten voller Geschenke“ gesehen habe. Dazu betonte er:

„Da habe ich nicht so viele glückliche Gesichter gesehen wie heute Abend hier.“

Anschließend las Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg die Weihnachts-Geschichte aus dem Lukasevangelium vor und sang danach mit den Gästen „O du fröhliche“ und „Stille Nacht“. Bei seiner kurzen Interpretation der Weihnachtsgeschichte verwies der Münchner Weihbischof darauf, dass wir manchmal allzu schnell ein Urteil fällen, wenn wir sagen: „Der sieht aber heruntergekommen aus.“ Dabei zeichnete der Geistliche gedanklich das schöne Bild, dass Gott an Weihnachten „heruntergekommen“ ist, insbesondere für die „Heruntergekommenen“.

Abschließend lud Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg die Gäste zum gemeinsamen Gebet des „Vater unser“ und eines „Gegrüßet seist du Maria“ ein. Auch wenn viele damit keine Berührung mehr zeigten, konnte man doch einige Gesichter und berührte Herzen entdecken, die offensichtlich oder leise mitbeteten und sich vom Geist Gottes berühren ließen.

Foto: PromisGlauben e.V. – im Bild: Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg
Foto: PromisGlauben e.V. – im Bild: Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg singt mit den Gästen „O du fröhliche“
Foto: PromisGlauben e.V. – im Bild: PG-Vorsitzender Markus Kosian

Im Anschluss an den Event stellte die Radiomoderatorin Gabriele Lemmen-Feldges, die selbst Mitglied im PG-Team ist, dem PG-Vorsitzenden Markus Kosian Fragen zu seinen Eindrücken zum Event. Hier das Interview:

Gabriele Lemmen-Feldges (GL): Markus, Du durftest zum ersten mal am Heiligen Abend im Hofbräuhaus zu Gast sein. Was war das für ein Gefühl nicht daheim gemütlich und kuschelig unterm Baum zu sitzen, sondern die Heilige Nacht mit vielen Menschen gemeinsam zu begehen?

Markus Kosian (MK): Nach der Einladung von Herrn Sperger war zunächst schon ein komisches Gefühl da, den Heiligabend dieses Jahr nicht wie gewohnt in meiner oberfränkischen Heimat zu verbringen. Aber beim weiteren Nachdenken in den Tagen nach der Einladung war mir schnell klar, dass dies eine Möglichkeit ist, dem Weihnachtsfest im tiefsten Kern seiner Bedeutung nachzugehen und neugierig darauf zu werden, im Sinne des sich ergebenden Gedankens „Was will mir der liebe Gott damit wohl sagen…“

GL: Ein Stück Familie geben, das schafft der KMFV in jedem Jahr erneut. Einsamen, Obdachlosen und im Grunde auch Fremden eine warme Mahlzeit und ein Stück Lebensfreude zu geben. Das ist genau der Sinn von Weihnachten, Türen öffnen, um den Herrn mit Freuden aufzunehmen. Hast Du Dich wohl gefühlt unter all’ den Fremden, die Dich umgeben haben?

MK: Ich bin ja ganz allein zur Obdachlosenweihnacht gegangen. Und tatsächlich als ich ankam und so im vollen Festsaal stand, fühlte ich mich tatsächlich zunächst etwas allein. Das änderte sich aber schnell, weil mich ziemlich schnell Mitglieder vom KMFV sowie ehrenamtliche Helfer ansprachen. Da durfte ich erleben, dass man unter Christen nie wirklich alleine ist.

GL: Markus, hat das Weihnachtsfest für Dich dadurch eine neue Bedeutung gewonnen?

MK: Eine neue Bedeutung nicht, da ich die Weihnachtsbotschaft ja kenne. Ich habe aber zum ersten Mal direkt am Heiligabend, den ich bisher in meinem Leben ja doch sehr „kuschelig“ im familiären Rahmen verbrachte, erlebt, was Weihnachten konkret bedeutet und wie gut es ist, dass Weihnachten mehr ist als ein Konsumfest, nämlich ein Ereignis, durch das Menschen fähig werden, aus Liebe zu Gott heraus zu handeln. Das konnte ich dieses Jahr bei der Obdachlosenweihnacht konkret erleben.

GL: Hattest Du das Gefühl, dass für die Gäste das Weihnachtsfest und „die Geburt Jesu“, an dem Abend eine Rolle gespielt haben? War da auch der Glaube, bzw. die Liebe und der Frieden, die wir mit Weihnachten verbinden spürbar?

MK: Die Botschaft Jesu „Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst“ konnte ich an diesem Abend spürbar erleben. Durch den Einsatz der ehrenamtlichen Helfer und die Freude in ihren Augen sowie in den Augen der Gäste konnte ich erleben, wie uneigennütziges Handeln auf den Nächsten übergeht und einem selbst Erfüllung schenkt.

Auch wenn viele Gäste sichtlich nicht viel mit dem religiösen Bezug von Weihnachten anfangen konnten, so war doch dieser besondere Geist der Weihnacht durch „weihnachtliche Menschen“, die voller Freude die Gäste bedienten, musizierten oder im Hintergrund organisierten, spürbar erlebbar. Insbesondere beim gemeinsamen Gebet des ‚Vater unser‘ fiel mir auf, dass einige Gäste leise und berührt mitbeteten. Da fielen mir einige tief berührte Gesichter auf, auch wenn viele andere, wie gesagt, den religiösen Bezug nicht so an sich ranließen.

GL: Sind auch Kontakte zu den Bedürftigen zustande gekommen? Wie waren die Gespräche, waren die Themen eher von Lebensgeschichten, Schicksalen und Leid geprägt?

MK: Ich konnte mit drei Menschen länger sprechen. Besonders ein Gespräch hat mich tief berührt. Der Mann, der mit mir gesprochen hat, hat mich aber gebeten, das für mich zu behalten. Mal so viel: So wie Herr Mittermeier es mir bereits gesagt hat, ist Weihnachten ein Fest, an dem für viele Menschen schöne Erinnerungen hochkommen und an dem Menschen besonders dankbar dafür sind, nicht alleine zu sein.

Was mir deutlich vor Augen geführt wurde, ist die Tatsache, wie verfahren die Situation für Bedürftige ist, die aus dem Raster unserer Leistungsgesellschaft gefallen sind und wie hilflos ich allein bin, in meiner Motivation zu helfen. Wir sollten bei allen Fehlern nie vergessen, wie gut es ist, dass es die Kirche gibt, in der Menschen aus einem ganz besonderen Spirit heraus tätig werden. So habe ich mich zum Beispiel besonders über die Begegnung mit einem Religionslehrerkollegen aus München gefreut, der als ehrenamtlicher Helfer vor Ort war und mir erzählt hat, dass er seit Jahren mithilft und danach voller Freude in den Kreis seiner Familie zurückkehrt.

GL: Gott sei Dank, kann man immer nur sagen, dass man von so einem Schicksal der Obdachlosigkeit verschont geblieben ist. So wirst du mit Sehnsucht nun auch daheim erwartet. Deine Familie war sicherlich mit Dir im Gebet verbunden. Vielleicht nicht nur mit Dir, sondern auch mit den Lebensgeschichten, denen Du dort begegnet bist. Abschließend, wie sehen die kommenden Tage bei Dir aus?

MK: Ich bin am ersten Weihnachtsfeiertag in meine oberfränkische Heimat gefahren und verbringe da nun Weihnachten und die Tage zwischen den Jahren im Kreis meiner Familie, mit alten Freunden und in meiner „alten“ Pfarrgemeinde rund um den Klasse-Seelsorger Pater Peter Uzor. Um es als Franke oberbayrisch auszudrücken: „I gfrei mi!“