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Pater Christoph Kreitmeir: „Wir brauchen Kirche als Gegenmodell zu dieser Welt“

Seine Predigt am Weihetag der Lateranbasilika (Lesung: Ez 47, 1-2.8-9.12; Evangelium: Joh 2, 13-22) stellt unser geistlicher Begleiter Pater Christoph Kreitmeir unter die Überschrift „Sehnsucht nach einer heilen Welt“.

 

Anbei die Worte der Predigt von Pater Kreitmeir als Audio-Datei und anschließend im Textformat:

 

 

Die Lesung und das Evangelium hinterlassen in mir verschiedene Gefühle, ganz verschiedene Gefühle. Beim Hören der Lesung spüre ich die Sehnsucht nach einem heilen Bereich in mir und nach einer heilen Welt. Gibt es diese überhaupt? Hat es sie je gegeben? Der Prophet Ezechiel zeichnet diese Bilder eines heiligen Tempelbereiches als Bilder des Friedens, der Zukunft, eines bewässerten und fruchtbaren Bezirkes. Und er tut das angesichts der Erfahrung von schweren Zeiten der Gefangenschaft im babylonischen Exil.

Heute ist der 9. November. Dieses Datum ist sehr geschichtsträchtig für uns Deutsche.

1918 wurde die erste Republik nach vier schweren Jahren des ersten Weltkrieges ausgerufen. An diesem Tag  scheiterte Hitler 1923 in seinem Putsch, um dann später zum fanatischen Diktator aufsteigen zu können. 1938 zerstörte am 9. November ein primitiver Mob von Nazis die Gotteshäuser und Synagogen der Juden und 1989 fiel ganz unerwartet die Berliner Mauer, was dann zum Beginn des Zerfalls der Sowjetunion führte.

Ein Auf und ein Ab von Gut und Böse, von Unfreiheit und Befreiung, ein Auf und ein Ab …

Beim Hören des Evangeliums spürte ich im Hören, dass Jesus den Jerusalemer Tempel von aller Geschäftemacherei reinigte und sich und sein Dasein als neuen Tempel Gottes vorstellte, etwas ganz anderes. Die heutigen Tempel, die heutigen Kirchen in unserem Land sind viele, sehr viele. Die meisten von ihnen stehen gut da, nicht wenige sind wirklich wunderschöne Orte der Architektur, der Kunst und der Spiritualität. Noch! ABER es geht der Rotstift um, der die katholische und die evangelische Kirche immer mehr dazu zwingt, darüber nach zu denken, welche Gebäude erhaltenswert sind und welche man schließen, profanieren, verkaufen oder abreißen muss. Der zigtausendfache Austritt von ehemaligen Kirchensteuerzahlern zwingt dazu und der Zeitgeist, der solche Orte scheinbar nicht mehr braucht. In den heißen Sommern werden die Kirchen zwar als kühle Orte neu entdeckt, werden sie aber als Orte des Gebetes, der Einkehr, des Zwiegesprächs mit Gott und vor allem der Zusammenkunft der Gemeinde zum Gottesdienst wieder neu entdeckt?

Beim Hören von Lesung und Evangelium entstand in mir eine Sehnsucht nach einer heilen Welt, welche die Kirche einmal repräsentierte.

War das so , ist das Illusion und Träumerei oder besteht wirklich die reelle Chance, dass es zur materialistischen Welt mit ihrer Kälte und Brutalität eine Gegenwelt Gottes mit Wärme, Geborgenheit, Miteinander und Füreinander gibt?

Jedes Mal, wenn ich jemanden in einer Kirche oder Kapelle beten sehe, vielleicht sogar noch auf Knien mit gefalteten Händen, dann bin ich innerlich wirklich berührt. Berührt von dieser Anderwelt, die in diesem Augenblick in diese Realität hereinbricht.

Jedes Mal, wenn ich miterleben darf, dass Jung und Alt, mit Kinderwagen und Rollator oder Rollstuhl sich zu einem Gottesdienst oder einer heiligen Messe mit Eucharistiefeier trifft, dann geht mir das Herz auf.

Jenseits vom Alltag sucht man ein anderes Gemeinschaftserlebnis und man schart sich um eine heilige Mitte, von der eine besondere Kraft ausgeht.

Jedes Mal, wenn ich erleben darf, wie Kranke oder deren Angehörige oder Hinterbliebene von soeben im Krankenhaus Verstorbenen den Raum der Klinikkapelle aufsuchen, um Trost, Halt, Kraft und Frieden zu finden, dann bin ich davon echt berührt. Wir brauchen solche Orte, wir brauchen sie so dringend!

Wir feiern heute den Weihetag der Lateranbasilika in Rom. Diese Kirche ist auch heute noch die Bischofskirche des Papstes. Auf beiden Seiten ihres Haupteinganges ist folgende Inschrift zu lesen: „omnium Urbis et Orbis ecclesiarum Mater et Caput – Mutter und Haupt aller Kirchen der Stadt und des Erdkreises“.

Kirchen und Tempel sind Orte, an denen Menschen mit Gott in Berührung kommen wollen und auch können.

Der Blick auf die „Mutter aller Kirchen“ lässt eine Sehnsucht nicht nur in mir wachsen nach einer Kirche als weiten, bergenden Raum, wo man Schutz und Heimat finden kann. Diese Sehnsucht wächst immer mehr bei nachdenklichen Menschen.

Wir brauchen Kirchen als diese Schutzräume.

Wir brauchen Kirche als Gegenmodell zu dieser Welt, in der die Gottespräsenz immer leiser zu werden droht.

Wir brauchen Reinigungsprozesse, wie sie Jesus im Evangelium vorlebte, die uns wieder zum Eigentlichen, zu dem, was uns Nahrung, Gemeinschaft, Heimat, Freude, Frieden und Gotteskindschaft schenkt.

Wenn wir das wieder spüren, was wir wirklich brauchen, dann finden wir auch wieder zu uns selbst, zueinander und zu Gott. Amen.

Hinweis: Mehr geistliche Impulse von Pater Kreitmeir gibt es auf seiner Webseite unter:

www.christoph-kreitmeir.de