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Pater Dr. Peter Uzor: „Der unendliche Gott ist ein DU, ein personales Gegenüber“

Seine Auslegung des Evangeliums zum 1. Weihnachtsfeiertag (Joh 1,1-18) stellt unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor unter das Thema „Weihnachten – Staunen über das Wunder des Lebens“ und beschreibt dabei das Geheimnis der Menschwerdung Gottes.

 

Anbei die Worte seiner Predigt:

 

Dass Gott Mensch wird, ist unerhört und übersteigt menschliches Verstehen. Er, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt, wie es im Credo heißt; er, der Schöpfer der unendlichen Weiten des Weltalls, in dem unser Planet Erde und mehr noch der Mensch als winziges Stäubchen am Rande existieren. Dieser Gott soll zu einer bestimmten geschichtlichen Stunde in Palästina, einem Randbezirk des römischen Reiches, in Jesus von Nazaret Mensch geworden sein? Diese Aussage ist so unerhört, dass sie – obwohl für Christen eine zentrale Glaubenswahrheit – immer eine Herausforderung an menschliches Verstehen bleiben wird.

Das christliche Glaubensbekenntnis gibt auch einen Grund für dieses unerhörte Geschehen an: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen […].“ Eine Aussage, die mich staunen lässt.

Dieser unendliche Gott ist nicht lediglich eine souveräne Macht, gewaltig und unnahbar. Er ist ein DU, ein personales Gegenüber.

Da ist ein göttlicher Wille, der sagt: „Für dich, für dein Heil bin ich gekommen!“ Aber warum? – „Weil dein Leben kostbar ist in meinen Augen.“ Weihnachten ist deshalb nicht nur eine Herausforderung an menschliches Verstehen. Es ist mehr noch Grund zum Staunen; darüber zu staunen, dass ich, Mensch und Winzling in diesem Welten-All, von Gott angesehen und bejaht bin. Dass mein Leben kostbar ist in seinen Augen.

Deshalb feiern wir Christen dieses Fest Jahr für Jahr. Wir tun es zu Recht, um immer mehr hineinzuwachsen in diese unerhörte Botschaft von der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes. Um zu staunen über das Wunder des Lebens, das im Kind von Betlehem aufleuchtet.

Die Heilige Schrift nähert sich dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes von verschiedenen Seiten her an. So stellt uns Lukas in anschaulichen Bildern Maria und Josef mit dem Kind in der Krippe vor Augen; dazu die Engel, die dem Geschehen himmlischen Glanz verleihen; schließlich auch die Hirten, die den Alltag mit seiner Erdenschwere an die Krippe herantragen.

Geerdete Frömmigkeit und himmlische Botschaft verbinden sich.

Zahlreiche und kunstvoll gestaltete Krippendarstellungen versuchen dem Weihnachtsgeheimnis seinen Ausdruck zu verleihen.

Der Verfasser des Hebräerbriefes setzt einen anderen Akzent. Er stellt die Menschwerdung des Gottessohnes hinein in die Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel. Knapp und bündig formuliert er: „Vielfältig und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn …“.

Der Evangelist Johannes fasst das Weihnachtsgeheimnis in die prägnante Aussage: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Aus dem Gebet „Der Engel des Herrn“ dürfte das Wort vielen bekannt sein. Diese Aussage „Und das Wort ist Fleisch geworden […]“ hat es in sich. Es lohnt sich, dabei zu verweilen.

Der Evangelist Johannes überliefert keine Kindheitsgeschichte. Er beginnt sein Evangelium mit einem feierlichen Hymnus. Im meditierenden Nachsinnen spürt er dem Geheimnis der Person Jesu nach. In drei markanten Sätzen sei seine Weihnachtsbotschaft kurz vorgestellt.

„Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott. Und das Wort war Gott.“ Für Johannes ist Jesus nicht einfach nur ein bedeutender, außergewöhnlicher Mensch oder ein großer Prophet, wie er etwa im Judentum und im Islam gesehen wird. Jesus ist für ihn das lebendige Wort des Vaters, in dem der himmlische Vater sich selbst ausspricht.

Jesus gehört ganz zu Gott, ganz zum Vater. Er ist ganz bei Gott beheimatet.

Wo ich mit Jesus zu tun habe, sein Wort höre und mich im Gebet an ihn wende, da rühre ich an das Geheimnis Gottes und trete mit dem lebendigen Gott in Verbindung. Wenn ich Jesus mit seinem Namen anspreche, sage ich nie Jesus allein, sondern immer: „Jesus und …“. Jesus führt mich ein in den Beziehungs-raum, in dem er selbst lebt, in dem er beheimatet ist: in sein Leben mit dem Vater. Jesus wird später von sich sagen: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30).

Die zweite Weihnachtsbotschaft heißt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Das Wort „Fleisch“ ist zunächst irreführend. „Fleisch“ hat in der biblischen Welt eine besondere Bedeutung. Es bezeichnet das menschliches Leben, insofern es begrenzt, verwundbar und gebrechlich ist. Wo Krankheit, Leid und Tod in das Leben einbrechen, wo meine Sehnsucht nach Glück und Erfüllung scheitert, wo Hoffnungen und Lebenspläne zerbrechen, da spricht die Bibel von „Fleisch“. Schicksalhaftes oder von Menschen verursachtes Leid wie Verfolgung, Vertreibung und Flucht – die großen Nöte unserer Zeit – dies verbindet die Bibel mit dem Wort: „Alles Leben ist Fleisch.“

Die weihnachtliche Botschaft des heiligen Johannes sagt nun: „Und das Wort ist Fleisch geworden.“

Das lebendige Wort geht dahin, wo der Mensch seine Not, seine Grenzen und seine Wunden erfährt.

An dem Platz, an dem ich lebe, hoffe und leide, an dem ich suche und kämpfe und so oft überfordert bin: Gerade hierher kommt er, hier ist er da. Dieses mein verwundbares Leben macht er sich zu eigen, sodass meine Not die Seinige wird.

Was heißt das?

Jesus ist nicht nur der, der ganz zu Gott gehört. Er gehört auch ganz zu uns Menschen mit all unseren Grenzen und Nöten. Er ist ganz einer von uns geworden. Wir sind in unserem Lebenskampf nicht allein. Er ist bei uns. Er wird uns nie im Stich lassen.

Es ist deshalb ein guter alter Brauch, beim Gebet des Angelus („Engel des Herrn“) kurz innezuhalten. In manchen Gegenden läuten dabei die Glocken. Sie erinnern daran, dass er auf verborgene Weise mit uns unterwegs ist. Denn: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ (Joh 1,14) Der Sohn Gottes hat unter uns gewohnt. Vermutlich nur etwa 33 Jahre dauerte das Menschenleben Jesu. Im Englischen gibt es das Wort „dwell“ das uns auf anderen Aspekt hinweist. „To dwell“ bedeutet „wohnen“: er hat unter uns gewohnt. Es bedeutet aber auch „verweilen“ „bleiben“, „einnehmen“, „sich ausdehnen“. Während unser deutsches „wohnen“ danach klingt, als hätte Jesus den Mietvertrag seiner Wohnung nach 33 Jahren einfach wieder gekündigt und wäre zurück in den Himmel gezogen, macht das englische Wort „dwell“ einen anderen Aspekt deutlich:

Jesus nimmt den Raum ein. Er bleibt auch nach seinem Tod, seiner Auferstehung und Himmelfahrt in dieser Welt.

Gott zeltet nicht einfach für eine kurze Zeit auf der Erde und bricht dann hier wieder alle Zelte ab. Gott hat die Zeit erschaffen, er trägt sie in seinen Händen. Und damit berührt er unsere Erde, unsere Zeit nicht nur punktuell, er bleibt dauerhaft darin wohnen. Er erfüllt die Zeit.

„Er kam in sein Eigentum […] Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“

In der Saint Paul’s Cathedral in London hängt ein Gemälde von William Homan Hunt (1904). Es trägt den Titel „Licht der Welt“. Das Gemälde zeigt Jesus Christus, der vor einer verschlossenen Türe steht. In der einen Hand hält er eine Lampe, mit der andern klopft er an die Tür. Die Tür hat auf seiner Seite keinen Griff zum Öffnen. Er kann nur eintreten, wenn jemand die Tür von innen öffnet. Jesus Christus drängt sich nicht auf, will der Künstler damit sagen. Aber – der Herr klopft beständig an. Das heutige Evangelium lädt dazu ein, die Türe zu öffnen und ihn aufzunehmen.

Jesus drängt sich niemandem auf. Er respektiert meine Freiheit. Wenn ich ihm in Freiheit das Haus meines Lebens von innen her öffne, kann er und wird er eintreten. Ihn einladen in mein Leben, ihn willkommen heißen: Das ist Weihnachten.

Wo ich meine Grenzen erlebe und an ihnen leide: sei mir willkommen, tritt ein in mein Leben … Wo es in der Familie schwierig ist, in der Erziehung, in der Schule: sei mir willkommen, tritt ein in mein Leben … Wo ich erlebe, wie so vieles weniger wird: in der Pfarrgemeinde, den Gottesdiensten, den Vereinen: sei mir willkommen, tritt ein … Wo die Sorge um das Zusammenleben in unserer Gesellschaft, zunehmende Rücksichtslosigkeit und Gewalt mich bedrängen: sei mir willkommen, tritt ein …

Wo er eintritt in mein Leben, geschieht etwas: Ich sehe nicht mehr nur die Grenzen, das Schwere, die Probleme – dies alles sicherlich auch. Ich sehe mehr: Dass ich in und mit meinen Grenzen und Sorgen einen kostbaren Schatz in mir trage: als Kind des Vaters.

So verbindet sich Weihnachten mit einer Einladung: Ihm die Herberge meines Lebens von innen zu öffnen. Damit er eintreten kann. Das Wort will „Fleisch“ werden und in uns und unter uns wohnen. Gehen wir mit Ihm, dann sind wir gut gerüstet für den Weg in die Zukunft. Amen.

Anbei die Interpretation „O Come, All Ye Faithful“ von Pentatonix, die die Worte von Pater Peter schön nachklingen lässt:

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