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Pater Peter Uzor: „Alle Evangelien erzählen die Passion Jesu mit Osterleidenschaft“

Seine Auslegung zum Evangelium am Palmsonntag (Lk 22,14 – 23,56) stellt unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor unter die Überschrift „Heute wirst du mit mir im Paradies sein!“ – Mit Ostern in die Karwoche starten.

 

Anbei die Worte seiner Predigt:

 

Heute feiern wir Sonntag, den ersten Tag der Woche. Wir erinnern uns an Ostern. Das klingt paradox – eben haben wir die Passion gehört, ausdrücklich betitelt „Das Leiden unseres Herrn Jesus Christus nach Lukas“. Von Ostern scheinbar keine Rede. Aber:

Kein Evangelist hätte uns das Leiden Jesu überliefert, wenn er nicht Ostern erfahren hätte.

Alle Evangelien schauen mit Osteraugen auf das Ende Jesu.

Heute leiht uns Lukas seine Augen. Mit ihnen können wir Tröstliches, Heilsames, Österliches für unseren Start in die Karwoche entdecken. Lassen wir uns auf drei Schlaglichter ein.

 

Leiden lieben?

Die fünfte Kreuzwegstation lautet: Simon von Zyrene hilft Jesus das Kreuz tragen. Im Neuen Testament lesen wir, dass Simon vom Hinrichtungskommando gezwungen wird, das Kreuz – alleine! – zu tragen. Denn Jesus ist inzwischen viel zu schwach dazu. Nur das Lukasevangelium überliefert zusätzlich: Simon wird das Kreuz aufgeladen, „damit er es hinter Jesus hertrage.“

Wenn wir uns daraus einen Film machen, sehen wir Jesus, der vorangeht – und Simon, der mit dem Kreuz hinter ihm hergeht: Da geht es um Nachfolge! Das ist kein Zufall. Simon setzt das in die Tat um, wozu Jesus vorher im Lukasevangelium aufgefordert hat: Wer ihm nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich, und zwar täglich! (Lk 9,23; 14,27).

Das ist leicht missverstehbar. Ist es erstrebenswert, täglich zu leiden? In der Szene vom Ölberg haben wir gehört, wie Jesus betet. Er reißt sich überhaupt nicht darum, zu leiden und zu sterben. Lieber wäre ihm, Gott würde ihm diesen Kelch ersparen. Jesus betet wie wir im Vaterunser: Dein Wille geschehe! Im Gebet erfährt er Stärkung für das, was kommt. Auch Simon von Zyrene sehnt sich nicht danach, das Kreuz zu tragen. Er wird dazu gezwungen; es wird ihm aufgeladen! Diese Formulierung ist ganz nah an unseren Lebenserfahrungen: Was wird uns nicht alles aufgeladen – wir werden nicht gefragt! Wie tröstlich, dass das Lukasevangelium uns einen Nachfolger Jesu als Vorbild empfiehlt, dem es so geht wie uns. Er geht hinter Jesus her und trägt, was zu tragen ist. Kein unerreichbarer Superheld. Ein Nachfolger auf Augenhöhe. Es ist nicht christlich, Leid zu suchen. Wenn es uns aufgeladen wird, können wir uns an Simon halten. Jesus geht voran; wir können hinter ihm hergehen.

 

Vergeben?

Vergebung ist etwas Wunderbares.

Einander zu vergeben, gilt als vorbildlich christlich. Manchmal scheint es praktisch, nicht zu vergeben. Denn wenn unser Gegenüber noch Schulden bei uns hat, können wir die bei der nächsten Gelegenheit gegen ihn oder sie verwenden. Etwas anderes ist die Erfahrung: Manche Menschen würden gerne vergeben. Aber ihre Verwundung ist so groß, dass „einfach vergeben“ nicht geht. Wer ein Leben lang unter den Folgen sexueller Gewalt leidet, wer einen lieben Menschen durch das Verschulden eines anderen verloren hat, wer erleben muss, dass die Verantwortlichen sich wegducken, der oder die weiß: Manche haben gut reden, wenn sie meinen, irgendwann müssen wir als Christen doch einfach mal vergeben …!

Aber hat nicht Jesus am Kreuz seinen Henkern vergeben? Das Lukasevangelium formuliert da erstaunlich genau. Jesus betet. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Auch das ist kein Zufall. Jesus sagt nicht: „Ich vergebe euch!“ Mal eben so vom Kreuz herab – egal ob seine Peiniger Mitgefühl haben oder nicht. Jesus überlässt sie Gott und dessen Möglichkeiten. Die reichen weiter als alles, was wir Menschen machen können, was in unserer Macht steht.

Vergebung ist keine Leistung, an der wir zum Scheitern verurteilt sind.

Das ist tröstlich: für alle, die vergeben möchten und es nicht können. Und für alle, die erfahren müssen, dass ihnen Vergebung von Menschen versagt bleibt. Das Leid, das Menschen einander antun und voneinander erleiden, ist bei Gott in guten Händen. Gott sei Dank!

 

Heute!

Erinnern Sie sich noch an die Christmette? Da verkünden die Engel den Hirten: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren!“ (Lk 2,11) „Heute“ ist ein Schlüsselwort im Lukasevangelium. In Betlehem fällt es zum ersten Mal. Auch der erwachsene Jesus nimmt es in den Mund: als er in der Synagoge seiner Heimatstadt die alte Schrift neu auslegt (Lk 4,21) – und als er zu Gast beim Zöllner Zachäus ist, der umkehrt (Lk 19,9). „Heute“ und „Heil“ hängen im Lukasevangelium zusammen. „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!“ sagt Jesus dem anonymen Verbrecher zu, der neben ihm am Kreuz hängt. Der hat ihn vorher gebeten: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Auch wir sagen: „Ich denk an dich!“, zum Beispiel bei einem Trauerfall, vor einer Operation, einer Prüfung oder einem schwierigen Gespräch.

An jemanden denken bedeutet Solidarität, Gebet, Zuneigung.

Der anonyme Gekreuzigte baut auf Jesus. Und Jesus sagt ihm Heilung und Heil zu: Leben – nicht alleine, sondern mit ihm. Er kann in Frieden sterben – mitten in der Hinrichtung scheint das Paradies auf!

Das Lukasevangelium überliefert das Gespräch der drei Gekreuzigten, weil es seinen Lesern und Leserinnen Mut machen will: Auch sie können auf Jesus bauen – wie die Hirten, wie Zachäus, wie der anonyme Gekreuzigte. Es ist nie zu spät. Auch wenn sie – wie wir – lange nach Jesus leben: Sie können sich von ihm anrühren lassen, ihm vertrauen. Sie können mit neuen Augen sehen, sie können etwas oder sich ändern. Sie können Heil erfahren – nicht irgendwann, sondern ganz konkret: hier und heute. Sogar: Sie können österlich sterben.

 

Passion heißt Osterleidenschaft

„Passion“ heißt Leiden – und: Leidenschaft!

Alle Evangelien erzählen die Passion Jesu mit Osterleidenschaft. Das ist eine gute Perspektive für uns. Mögen wir Tröstliches, Heilsames, Österliches in der Karwoche erfahren: das hoffnungsvolle Grün der Palmzweige heute. Die Solidarität mit anderen beim Kreuzweg. Den gedeckten Tisch am Gründonnerstag. Die ernste Freude der Karfreitagsliturgie. Das Licht der Osterkerze in der dunklen Kirche in der Osternacht. Den Frühling, der nicht mehr aufzuhalten ist. Ich wünsche uns eine gesegnete heilige Woche!

Amen.