Nora Bossong: „Ein Verständnis dessen, was Transzendenz ist, fehlt uns heute“
Die vielfach preisgekrönte Schriftstellerin Nora Bossong erklärte vor drei Jahren im Magazin der Süddeutschen Zeitung, wie man es schaffen kann, als liberale Frau des 21. Jahrhunderts katholisch zu sein. Dabei schilderte Bossong den Halt und die Orientierung, die sie im christlichen Glauben findet (wir berichteten). Aktuell sprach die 43-jährige Bestsellerautorin im Interview mit domradio.de über ihr Aufgehobensein im Glauben und in der Gemeinschaft der Gläubigen.
Nora Bossong berichtete im Domradio-Interview, dass sie den Brief von Papst Franziskus über die Literatur inspirierte, sich mit dem Traktat des italienischen Philosophen Pico della Mirandola (1463-1494) zu beschäftigen. In diesem beschreibe Mirandola den Menschen „als im Prinzip“ unfertiges Wesen, das „sich zum Höheren hin entwickeln oder strecken, (…) aber auch zum Niederen herabfallen“ könne. In dieser „Unfertigkeit des Menschen“ stecke auch unser Freiheitspotenzial und unsere Würde. An dem Bild in Mirandolas Werk, in dem Adam Gott als wunderbaren Schöpfer preist, der „den Menschen zu seinem eigenen Bildhauer gemacht“ habe, halte sie sich „immer fest“, erklärte Nora Bossong.
Eine Gemeinsamkeit von Literatur und Religion liegt für die 43-Jährige in der notwendigen Vorstellungskraft, um sich in beiden Themenfeldern einzufinden, sowie darin, „dass wir mit etwas umgehen, was nicht materiell vor uns liegt“. Einen wesentlichen Unterschied zwischen Literatur uns Religion erkennt sie darin, dass es in der Literatur die reale Existenz der beschriebenen Person nicht braucht, um einen Wahrheitsgehalt im Erzählten zu transportieren. Dazu erklärt die Schriftstellerin:
„Bei meinem Glauben an Gott verhält es sich anders. Da kann ich nicht einfach sagen, naja, dass es ihn nicht gibt, ist ja klar, aber trotzdem hat er einen Wahrheitsgehalt.“
So unterscheide sich „die Ereignishaftigkeit eines in die Geschichte eintretenden Gottes“ von einem Protagonisten eines menschlichen Autors „ganz fundamental“. Dabei hebt Bossong die Beziehungsebene insbesondere hervor, indem sie betont:
„Der Glaube ist deutlich mehr. Es ist ja auch ein Beziehungsgefüge zwischen Gott und mir.“
So ein Gefüge könne sie mit einer Erzählfigur nicht aufbauen, schilderte die Bestsellerautorin weiter.
Für die lebendige Beziehung zu Gott ist für Nora Bossong, die in ihrer katholischen Pfarrgemeinde in Berlin als Messdienerin tätig ist, auch die Kirche als ein erlebbarer „Ort des Austausches und auch des Geborgenseins und des Aufgefangenenseins“ wichtig. Dafür brauche es ein Verständnis von einer Kirche, die wie eine Familie ist, für die Menschen authentisch präsent ist und die Menschen in existenziellen Situationen des Lebens nicht alleine lässt, schilderte Bossong.
Als ermüdend empfindet sie es, wenn sie sich heutzutage für ihr Bekenntnis zum katholischen Glauben rechtfertigen muss. Dabei entdeckt sie nicht selten eine Diskrepanz zwischen den „ewig gleichen spitzfindigen, in Anführungszeichen, spitzfindigen Überlegungen“, die „gerne von Leuten mit kulturwissenschaftlichem oder philosophischem Hintergrund“ kommen würden, und einem tatsächlichen Verständnis vom christlichen Glauben. So sei ein grundlegendes Verständnis „von den Grundbegriffen des Christentums, von den Grundbegriffen der Liturgie, der Eucharistie, des Personenverständnisses überhaupt nicht mehr da“. Weiter fügte sie an:
„Und auch ein Verständnis dessen, was Transzendenz ist, fehlt uns heute.“
Ein Großteil der Menschen in unseren Breiten blicke auf die Welt „entweder in einem rein fiktiven oder in einem rein materiellen“ Verständnis und habe zunehmend verlernt, „darüber hinaus zu denken“, zeigt sich Bossong im Domradio-Interview überzeugt.
Mit einem Blick auf die gesamte Welt sieht die Situation auch im Jahr 2025 nach Christus anders aus als hierzulande. Kürzlich veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz auf ihrer Webseite Zahlen zu Katholiken weltweit und in Deutschland.
Demzufolge reduzierte sich in Deutschland im Jahr 2023 die Anzahl der Katholiken auf 24 Prozent der Gesamtbevölkerung (20.345.872 Kirchenmitglieder bei einer Gesamtbevölkerung von 84,7 Millionen). Der evangelischen Kirche gehörten 18,6 Millionen Menschen an. Weltweit dagegen übersprang die Marke der Katholiken erstmals die 1,4 Milliarden-Marke. Das Magazin „Kirche und Leben“ titelte dazu mit der Headline „Neuer Rekord: Weltweit mehr als 1,4 Milliarden Katholiken – und Europa?“.
Bereits im Dezember 2023 erklärte das Nachrichtenportal N-TV Papst Franziskus zum Mann der Woche und titelte mit der Schlagzeile „Das Christentum wächst global überraschend stark“. Zur Wachstumsrate des Christentums 2023 Jahre nach Christus berichtete N-TV: „Während in Deutschland die Kirchenaustritte zahlreich bleiben, vollzieht sich in globalem Maßstab eine überraschende Hinwendung zum Christentum. Im Jahr 2023 hat die Zahl der Christen weltweit erstmals die Marke von 2,6 Milliarden Menschen überschritten. Zurzeit wächst das Christentum mit einer Jahresrate von 1,18 Prozent im Jahr, also gut 30 Millionen Gläubigen. Jeden einzelnen Tag wird die Christengemeinschaft damit um rechnerisch 82.000 Menschen größer.“
Quelle: domradio.de, dbk.de, kirche-und-leben.de, n-tv.de