Paul Kirchhof: „Die Verfassung funktioniert, wenn wir die Wurzeln hegen und pflegen“

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Vor über 70 Jahren, am 23. Mai 1949, wurde das Grundgesetz unterzeichnet, mit Ablauf desselben Tages trat es in Kraft. Neben dem zentralen Satz in Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ist auch die noch vor den Grundrechten stehende Präambel eine Lehre aus den Jahren 1933 bis 1945 – insbesondere durch den darin enthaltenen Gottesbezug („Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen …“). Die Mütter und Väter der Verfassung wollten damit auf die Begrenztheit menschlichen Tuns und die Gebundenheit politischen Handelns an sittlich-ethische Werte verweisen.

Diesbezüglich sagte der deutsche Philosoph und Autor Josef Brodat in einem Interview mit domradio.de vom 23. Mai 2019:

„Der Gottesbezug hat natürlich eine christliche Konnotation. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren zum großen Teil Christen und haben sich eben den christlichen Gott vorgestellt. Es ist aber ein offener Gottesbegriff.“

Der Gottesbegriff sei eine sog. „nominatio dei“, eine Nennung Gottes und keine „invocatio dei“, was Anrufung Gottes bedeuten würde. Deshalb sei die Verfassung „nicht im Namen Gottes erlassen“ worden. Vielmehr sei Gott „dort hineingenommen“ worden als Instanz, „die über die rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Alltagsgeschäfte auch vor dem Hintergrund der Geschichte als Akt der Demut hinausweist“, so Brodat weiter.

 

Der Bundestagsabgeordente Volker Kauder brachte im Interview mit domradio.de den hohen Wert der Religionsfreiheit, die im Grundgesetz verankert ist, zum Ausdruck. Dabei betonte er:

„Wir sind das Land der Religionsfreiheit. Die Religionsfreiheit wurde in Europa erkämpft und sie gehört zum Grundbestand der Freiheitsrechte der Bürger.“

Weiter sagte Kauder in dem Interview auch, dass er sich für verfolgte Christen einsetzt und in anderen Ländern sich so stark für Religionsfreiheit machen kann, weil sie bei uns gewährleistet ist. Dadurch, dass er in China und anderen Ländern unterwegs war, könne er eines klar feststellen:

„Dort, wo es keine Religionsfreiheit gibt, gibt es auch keine Freiheit.“

 

Der deutsche Verfassungs- und Steuerrechtler Prof. Paul Kirchhof, der an der Universität Heidelberg einen Lehrstuhl für Staatsrecht innehatte und Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht war und von 1987 bis 1999 Bundesverfassungsrichter war, sprach Mitte Juni in der Michaelsgemeinde in Bensheim über die Rolle der Religion in der Verfassung und warum es so wichtig sei, die Wurzeln der Verfassung zu hegen und zu pflegen. Darüber berichtete der Mannheimer Morgen.

Ähnlich wie Volker Kauder betonte Paul Kirchhof, dass die Religion in einem demokratischen Staat Teil einer Grundausstattung zur freiheitlichen Entscheidung sei und diese Freiheit im modernen Verfassungsstaat ihren Ausdruck in den Grundrechten, insbesondere der Religionsfreiheit, findet.

Die Religionsfreiheit sichere in Artikel 4 (2) GG die „ungestörte“ Religionsausübung, genauso wie die negative Freiheit, nicht zu glauben. Die Idee der Verfassungsväter dabei war: einen besseren Staat mit Gott als verfassungsmäßig garantiertes Alternativkonzept zu einem Staat ohne Gott, wie ihn die Deutschen in den Jahren zuvor miterlebt haben, so Kirchhof weiter.

Die hohe Bedeutung der weltanschaulichen Neutralität des Staates betonte Paul Kirchhof, indem er hervorhob:

„Nicht ein Staat, sondern der Mensch hat einen Gott.“

Wie in der Vergangenheit in vielen Interview und Vorträgen (siehe unten) brachte Paul Kirchhof, der selbst gläubiger Christ ist, auch in Bensheim zum Ausdruck, dass für ihn die Religion eine der wesentlichen Entstehungsbedingungen für eine freiheitliche Staatsverfassung sei. So nehme das Grundgesetz die geradezu revolutionäre Aussage des Christentums auf, dass nicht mehr der König als Abbild Gottes gilt, sondern die Unantastbarkeit von Menschenwürde und Freiheit jedem einzelnen Menschen zugesprochen wird, so der 76-jährige weiter. Dies sei der Ausgangspunkt unserer freiheitlichen Gesellschaft, deren Wurzeln tief in Aufklärung und Christentum verankert seien. In einem bildlichen Vergleich führte er weiter fort, dass diese Wurzeln den Baumstamm nähren, der sinnbildlich für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit steht.

Daraus schlussfolgernd hielt Paul Kirchhof fest:

„Die Verfassung funktioniert, wenn wir die Wurzeln hegen und pflegen.“

 

Wie aktuell in Bensheim unterstreicht Paul Kirchhof die hohe Bedeutung des christlichen Glaubens für unser freiheitliches Leben seit vielen Jahren in Vorträgen und Interviews. Im Gespräch mit Radio Vatikan sagte er einmal:

„Ich glaube, gerade in unserer Gegenwart, in der die Kulturen aufeinanderprallen, in der wir das Problem eines weltweiten Terrorismus haben, in der die Weltoffenheit der Märkte die unterschiedliche Verteilung der Güter bewusst macht, zeigt sich dieser Glaube als die Antwort auf unsere Zukunft. Der Grundgedanke – dass jeder Mensch die gleiche Würde hat – kommt aus Griechenland und aus dem Judentum; er hat aber im Christentum seine wesentliche Ausprägung erfahren.“

Dazu betonte er weiter:

„Der Mensch ist Ebenbild Gottes, Gott ist Mensch geworden. Das ist ein nahezu revolutionärer Gedanke. Das heißt: Jeder Mensch kann diesem Gott eine Heimat geben! Das ist ja ein radikaler Gleichheits- und Freiheitssatz, wie es ihn in der Rechtsgeschichte als solchen noch nie gegeben hat. Und er ist gegenwärtig, wo wir in der Offenheit der Welt die Verschiedenheit der Menschen, aber auch der Völker, der Gruppen, der Kulturen empfinden, aktueller denn je.“

 

Im Jahr 2009 hob Paul Kirchhof im Zuge des Volksbegehrens zum Religionsunterricht in Berlin ebenso die Bedeutung des christlichen Glaubens für Verfassung und Gesellschaft hervor, indem er u.a. äußerte:

„Der christliche Glaube ist eine unabdingbare Voraussetzung unseres Grundgesetzes.“

Dazu betonte Kirchhof mit Blick auf das Grundgesetz:

„Die Annahme der Menschenwürde gründet sich auf der christlichen Überzeugung, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist.“

Zugleich warnte er vorausschauend:

„Wehe dem, der Ethos und Religion aus der Gesellschaft herausdrängt. Das Fundament unserer Verfassung würde verkümmern.“

Quellen: katholisch.de, domradio.de (1), domradio.de (2), morgenweb.de, radiovaticana.va, pro-medienmagazin.de