Soziologe Hartmut Rosa: „Religion macht das Getragensein erfahrbar, erspürbar und denkbar“

Der Soziologe und Politikwissenschaftler Prof. Hartmut Rosa, der an der Friedrich-Schiller-Universität Jena lehrt und Direktor des Max-Weber-Kollegs der Universität Erfurt sowie Mitherausgeber der Fachzeitschrift Time & Society sowie des Berliner Journals für Soziologie ist, gilt als einer der bedeutendsten Soziologen in der deutschsprachigen Welt. Im Interview mit der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“ erklärte der 54-Jährige im Juli 2019, dass er in der katholischen Kirche eine „besonders resonanzfördernde Beziehung“ sehe, worin auch der Grund liege, dass gläubige Christen tendenziell glücklicher seien. Aktuell sprach Hartmut Rosa in der SRF-Sendung „Sternstunde Religion“ über die religiöse Erfahrung als Antwort für gelingendes Leben in der Beschleunigungslust der Moderne.

Rosa, dessen Analysen der Spätmoderne und der stetigen Beschleunigung im wissenschaftlichen Bereich hohe Beachtung finden, erkennt im soziologischen Blick, dass unsere Gesellschaft von einem „Steigerungszwang“ durchzogen ist, was sich in der Wirtschaft wie auch in den stetig wachsenden To-do-Listen und im Optimierungswahn zeige.

Das alles sei nicht per se schlecht, aber es bedürfe eines neuen Gleichgewichts. Denn eigentlich habe der Mensch, so Rosa, eine tiefgehende Sehnsucht nach einem anderen Welterleben, nämlich nach Resonanzbeziehungen. Man möchte berührt und bewegt werden. Der ständige Zeit- und Aufgabendruck verhindere jedoch diesen lebendigen Austausch mit der Welt. Dies stehe aber der tiefen Sehnsucht des Menschen nach einem Erleben von Resonanzbeziehungen, einem Berührt- und Bewegtwerden entgegen.

In einem Interview mit der TAZ erklärte Hartmut Rosa, was für ihn Resonanz bedeute. Dazu sagte er:

„Ich meine damit [mit Resonanz], dass einem Menschen die Welt als antwortend, atmend, tragend, wohlwollend oder sogar gütig erscheint.“

Eine Beziehung zwischen zwei Personen sehe er als Resonanzbeziehung, „wenn sie sich in der Tiefe berühren und sich wechselseitig antworten“, so Rosa gegenüber der TAZ.

Im aktuellen Interview in der SRF-Sendung „Sternstunde Religion“ betonte Rosa zudem, dass ein „sich anrufen lassen“ im Sinne einer Haltung des „Hörens“ und „Antwortens“ essentiell für das menschliche Leben und Voraussetzung für eine persönliche Verwandlung sei, wobei das Ergebnis dieser Veränderung unverfügbar sei. In seinem neuen Buch „Unverfügbarkeit“ geht Hartmut Rosa darauf näher ein.

Der Glaube an Gott ist für Hartmut Rosa eine Dimension, die das menschliche Leben bereichert. So zieht es ihn auch selbst immer wieder in die Kirche, wo er auch als Organist am Gemeindeleben teilnimmt. Wie schon im Zeit-Interview im Juli 2019 erklärte Rosa auch im SRF, dass Religion eine besonders resonanzfördernde Beziehung ist. Dazu erklärte der Soziologe:

„Religion hat die Funktion und den Sinn, dass sie uns die Seite eines antwortenden Universums erfahren lässt.“

Durch Rituale, Gebete, das Abendmahl und Lobpreis werde „das Getragensein erfahrbar, erspürbar und denkbar“. Dadurch sei Religion „wohl weithin so wirksam“, so Rosa weiter. Durch das Lesen der Bibel erfahre der Mensch u.a.:

„Da ist einer, der hört Dich, der sieht Dich, der meint Dich. Man steht damit in einem Antwortverhältnis.“

Im Zeit-Interview im Juli 2019 betonte Rosa, dass gläubige Menschen „tendenziell glücklicher“ seien, weil im Glauben „das Gefühl dafür, dass ich mit etwas Größerem verbunden bin“ entstehe. Weiter sagte er, dass es heute einen Druck gebe, möglichst schnell und effizient zu sein, dem man in der Religion entgehen könne. Dazu erklärte er:

„Sie [die Religion] hat oft für die nötige Entlastung der Menschen gesorgt, etwa durch die Beichte. Ja, du bist schuldig, du bist nicht genug, aber Gott liebt dich trotzdem. Diese emotionale Entlastung ist nicht zu unterschätzen.“

In der katholischen Kirche sieht Hartmut Rosa, der nach eigenen Worten aus einem katholischen Milieu kommt, aber mittlerweile der evangelischen Kirche angehört, eine „besonders resonanzfördernde Beziehung“. Für viele Menschen sei heute hingegen die Arbeit zu einer Art Ersatzreligion geworden, so der Soziologe gegenüber der Zeit-Beilage „Christ und Welt“ weiter.

Dahingehend resümierte Rosa in der aktuellen SRF-Sendung, dass der Mensch, ob religiös oder nicht, einen Sinn dafür brauche, wie man mit dem Leben, der Welt oder dem eigenen Existenzgrund verbunden ist.

Hinweis: siehe dazu auch unten – Video-Clip „Johannes Hartl über Sinn des Lebens“

Quellen: srf.ch, zeit.de, domradio.de, taz.de

 

 

 

Impuls – Der Theologe Dr. Johannes Hartl in 7 Minuten über den Sinn des Lebens: