Jürgen Habermas warnt vor „auf die Immanenz zurückgelenkte Glaubenseinstellung“
Der Philosoph Jürgen Habermas, der einer der weltweit meistrezipierten Philosophen und Soziologen der Gegenwart ist, hat in einer Festschrift für den Frankfurter Religionsphilosophen Thomas Schmidt vor einer Verflachung der christlichen Glaubensgehalte gewarnt.
Mit der Headline „Bischöfe, aufgepasst! Jürgen Habermas pocht auf Transzendenz“ überschreibt Christian Geyer seinen Kommentar in der F.A.Z. (Ausgabe Samstag, 11. Oktober 2025 · Nr. 236 · Seite 13) zum Grußwort von Jürgen Habermas für die Festschrift für den Frankfurter Religionsphilosophen Thomas Schmidt („Den Diskurs bestreiten“, Nomos Verlag 2025).
Wie Christian Geyer berichtet, kritisiert Habermas darin ein Religionsverständnis, das u.a. seine Glaubensinhalte bei einer zuversichtlichen Lebensweise bewenden lässt und selbst dann noch von einer „religiösen Glaubenspraxis“ spreche, wenn es sich um eine „auf die Immanenz zurückgelenkte Glaubenseinstellung“ handele, bei der es „nicht mehr auf die Glückseligkeit einer alles Innerweltliche transzendierenden Erfüllung“ ankomme. Zum transzendenten Anspruch des christlichen Glaubens erklärte Habermas:
„Die christliche Hoffnung richtet sich unter anderem auf die Auferstehung von den Toten und eine Erlösung von allen Übeln dieser Welt und ist ihrerseits abhängig vom Glauben an die Verheißung Gottes. Dieser Akt des Glaubens an das Eintreten des Verheißenen prägt auch den Modus des täglichen Lebens.“
Jürgen Habermas, der sich selbst als „religiös unmusikalisch“ bezeichnet, hatte bereits in den letzten Jahren den Wert des Transzendenten hervorgehoben.
In seinem 2019 im Suhrkamp-Verlag erschienenen Werk „Auch eine Geschichte der Philosophie. Bd. 2: Vernünftige Freiheit. Spuren des Diskurses über Glauben und Wissen“ warnt Habermas vor einer verkümmernden Vernunft infolge einer Abkehr des Menschen vom Transzendenten. Diesbezüglich schreibt er:
„Die säkulare Moderne hat sich aus guten Gründen vom Transzendenten abgewendet, aber die Vernunft würde mit dem Verschwinden jeden Gedankens, der das in der Welt Seiende insgesamt transzendiert, selber verkümmern.“
Jürgen Habermas: Auch eine Geschichte der Philosophie. Bd. 2: Vernünftige Freiheit. Spuren des Diskurses über Glauben und Wissen. Suhrkamp, Berlin 2019, S 807.
Bereits 2001 forderte Jürgen Habermas in seiner berühmten Paulskirchenrede, die Religion wieder in den öffentlichen Diskurs einzubeziehen, und betonte, dass der religiöse Bürger im säkularen Staat als religiöser Bürger wieder ernst genommen werden müsse und ihm nicht zugemutet werden dürfe, in öffentlichen Diskursen von seiner Religiosität zu abstrahieren. Weiter sagte er, dass wir zum Beispiel zur Fundierung des für unsere Gesellschaften zentralen Begriffs der Menschenwürde wieder „rettende Übersetzungen“ des jüdisch-christlichen Begriffs der Gottebenbildlichkeit benötigten. Dieses Verständnis gehöre zum Fundament des Menschenwürdebegriffs.
Wenn sich die Gesellschaft nicht von „wichtigen Ressourcen der Sinnstiftung abschneiden“ wolle, müsse sie sich „einen Sinn für die Artikulationskraft religiöser Sprachen bewahren“, betonte Habermas damals.
Bei seinem Treffen in der katholischen Akademie in München im Jahr 2004 mit dem Theologen Joseph Kardinal Ratzinger, der ein Jahr später zum Papst Benedikt XVI. gewählt wurde, betonte Habermas nicht nur die Notwendigkeit des Respektes gegenüber den Gläubigen, der generell auf der Achtung vor Personen und Lebensweise gründe, sondern er verwies auf etwas Entscheidendes: In den Religionen, sofern sie nur Dogmatismus und Gewissenszwang vermieden, könne „etwas intakt bleiben, was andernorts verloren gegangen ist“.
Quellen: faz.net; Jürgen Habermas: Auch eine Geschichte der Philosophie. Bd. 2: Vernünftige Freiheit. Spuren des Diskurses über Glauben und Wissen. Suhrkamp, Berlin 2019, S 807.; spiegel.de, welt.de (1), welt.de (2), herder.de