Klinikseelsorger wirft zu Pfingsten einen Blick auf die Patientin KIRCHE
In seiner Auslegung zum Evangelium am heute Pfingstmontag (Lk 10, 21-24) wirft unser geistlicher Begleiter Pfarrer Christoph Kreitmeir, der als Seelsorger im Klinikum Ingolstadt kranken Menschen dient, einen Blick auf die Patientin Kirche.
Anbei die Worte seiner Predigt als Audio-Datei und anschließend im Text-Format:
Folgende Szene erlebe ich jeden Tag im Umfeld der Klinik: Blinklichter blitzen blau, Sirenen heulen auf, ein Krankenwagen biegt auf die Auffahrt zum Krankenhaus ein, die Türen öffnen sich und Krankenschwestern und -pfleger laufen hinzu.
Meist kommt der Patient in die Notaufnahme, wo versucht wird, seine Lebensfunktionen zu stabilisieren. Es kommen Patienten jeden Alters, jeder Nationalität, Männer und Frauen und Spezialkräfte übernehmen Erstversorgung, Weiterleitung in den Operationssaal oder auf die Intensivstation.
Am Pfingstmontag denke ich an die Patientin KIRCHE.
Auch sie zeigt viele Anzeichen von Krankheiten: Einige attestieren ihr Demenz, weil sie nur noch in der Vergangenheit zu leben und die Ansprüche der Gegenwart nicht wahrzunehmen scheint. Andere diagnostizieren Atemnot, weil sie vergeblich versucht, jedem Trend nachzulaufen und dabei den Atem und den Überblick verliert. Wieder andere stellen kühl fest, dass sie von Schwindsucht befallen ist. Vor ein paar Tagen erst kam in der ARD ein Fernsehbeitrag mit dem provokanten Titel „Kirche – überholt und überflüssig.“ Wohlgemerkt mit keinem Fragezeichen versehen.
Wahrlich, an Diagnosen mangelt es nicht – was zu fehlen scheint, ist ein erfolgversprechender Therapieansatz, denn auch alte Patientinnen wie die Kirche können durch Intensivmedizin und Folgetherapien wieder auf die Beine kommen.
Vielleicht sollten wir mal in die Krankenakte hineinschauen. Und was stellen wir da fest?
Wenn man in die Krankenakte unserer Patientin blickt, dann findet man eine eindrucksvolle Vorgeschichte:
Gott startete mit dem Volk Israel über eine lange Zeit. Immer wieder missachtete es sein Angebot und brach laufend den Bund. Trotzdem blieb Gott der treue Gott, der an dem Bund seinerseits festhielt.
Wir Christen glauben, dass Gott in Jesus seine Bundestreue in unüberbietbarer Weise erneuerte, dass er in seinem Schicksal uns allen ein Vorbild und eine Hoffnung gab, die selbst der Tod nicht zerstören kann.
Aus seinem Beispiel entwickelte sich eine Bewegung, die Christen. Nach Überzeugung der ersten Mitglieder der Kirche, die sich damals in Jerusalem versteckt hatten, war es Gottes Geist, der sie die Mutlosigkeit überwinden und neuen Mut schöpfen ließ, der es ihnen ermöglichte, auf die Gassen und Straßen zu gehen und die Frohe Botschaft zu verkünden.
Auch im Neuen Bund, der Kirche, gab und gibt es immer wieder Untreue, Fehlverhalten und Mutlosigkeit bei unserer Patientin. Aber ebenso gab es immer wieder das Aufstehen und Nichtaufgeben.
Gibt es vielleicht doch eine Therapie, die anschlägt? Ob es gelingt, die Patientin Kirche in einen stabilen Zustand zu bringen, sodass sie zumindest die Intensivstation verlassen kann?
Im Evangelium des heutigen Tages gibt es hierzu bemerkenswerte Hinweise. Jesus wandte sich an seine Jünger: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast.“ Und weiter: „Ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.“
Wenn es wirklich so wäre? Wenn es wirklich nicht darauf ankommt, was die Weisen und Klugen, was die Propheten und Könige und auch die Medien erkennen? Wenn es in der Tat für die Kirche, für uns als Gemeinschaft der Glaubenden eine Zukunft gibt, auch wenn uns die vermeintlich Klugen und Weisen und Mächtigen längst abgeschrieben haben, uns längst keine Zukunft mehr zugestehen wollen, uns ins Grab der Geschichte schieben wollen?
Seit der Offenbarung am Berg Sinai, seit vielen Jahrhunderten, ja Jahrtausenden erfahren Menschen, dass Gott der treue Gott ist, der immer wieder auf die Menschen zugeht.
Und wenn sich auch die Form, in der sich Menschen organisieren, um als Gemeinschaft auf dieses Angebot Gottes zu reagieren, im Laufe der Jahrhunderte ständig gewandelt hat, so bleibt doch gewiss: „Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, im Neuen Bund berufst du aus allen Völkern dein Volk und führst es zusammen im Heiligen Geist.“ So beten wir während der Heiligen Messe.
Die Patientin „Kirche“ mag auf der Intensivstation liegen, weil sie an diversen Krankheiten leidet, die kuriert oder wenigstens gelindert werden müssen – und dass dem so ist, daran bestehen wohl keine Zweifel. Aber noch steht nicht der schwarze Wagen des Beerdigungsinstitutes vor dem Hinterausgang, wo manche vermeintlich Weise und Kluge und Mächtige die Patientin „Kirche“ gerne hätten.
Noch gilt: Es gibt Fachkräfte, die mit ihrer ganzen Kraft alles dafür tun, dass die Patientin wieder auf die Beine kommt. Zwar nicht mehr jung und fit, aber lebensweise und mit viel Lebenserfahrung, Glaubens-, Hoffens- und Liebeskraft versehen.
Und es gilt über allem: Gott steht zu seinem Bund!
Und diese Gewissheit sollte uns am heutigen Tag Schwung und Kraft geben, gemeinsam zu überlegen, welche Therapie bei der Patientin „Kirche“ anschlagen könnte, für die die Gewissheit gilt, dass Gott der Treue ist, der seinen Bund nicht bricht.
Ein stiller Besuch am Krankenbett, ein Gespräch mit der Patientin, auch wenn sie es bewusst nicht mitbekommt, eine Berührung und vor allem Gebete haben, so ist meine Erfahrung als Klinikpfarrer, eine nicht zu unterschätzende Wirkung…
Amen.