Liedermacher Wolf Biermann: „Ich bin Teil der christlichen und jüdischen Kultur. Ich atme eure Luft“
Am heutigen 15. November feiert der Liedermacher Wolf Biermann, der 1953 in die DDR übersiedelte und 1976 nach Beschluss des Politbüros der SED ausgebürgert wurde, seinen 85. Geburtstag. Im Vorfeld seines Geburtstages überraschte er sein Publikum mit einem Sammelband mit Gedichten und Texten, die sich mit seinem Ungläubigsein auseinandersetzen.
Das Werk, das den prägnanten Titel „Mensch Gott!“ trägt, ist eine Zeitreise durch Biermanns biografisches Ringen mit Gott, dem Glauben und dem Zwang, sich mit dem Christen- und Judentum auseinanderzusetzen. Gegenüber der in Bielefeld erscheinenden „Neuen Westfälischen“ sagte er zum Thema Glauben:
„Ich war lebenslänglich ein Gläubiger.“
Dazu betonte er allerdings:
„Mein Glaube ist verrückter als eurer an Gott oder Götter. Ich glaube nämlich an den Menschen!“
Mit dieser Aussage wolle er sich aber „keineswegs“ über gläubige Menschen lustig machen. Ganz im Gegenteil befindet Biermann, dass er christliche Luft atmet, was er wie folgt darlegt:
„Ich bin Teil der christlichen und jüdischen Kultur. Ich atme eure Luft.“
Zudem betont der 85-Jährige:
„Die Hoffnung gebe ich gerade rechtzeitig auf: im Tod.“
Er wolle noch ein „paar eckige Runden drehen“, so der Liedermacher und Lyriker, der mit zahlreichen Literaturpreisen West- und später Gesamtdeutschlands ausgezeichnet wurde.
Im Interview mit dem Nordkurier berichtete Wolf Biermann, dass er schon eine Vorstellung habe, wo er beerdigt werden wolle. Seine letzte Ruhestätte möchte er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, wo Literaturgrößen wie Bertolt Brecht, Heiner Müller, Anna Seghers, Helene Weigel, Hanns Eisler oder Stephan Hermlin beerdigt sind. Dazu erklärt Biermann:
„Und wenn ich irgendwann mal begraben werden muss, dann möchte ich gerne dort leben, wo ich wirklich viele vertraute Freunde habe und auch treue alte Feinde, mit denen ich mir die Zeit vertreiben kann, wenn ich tot bin.“
In diesem Kontext brachte er zum Ausdruck, dass er sich auch mit 85 Jahren mit dem Thema Sterben weniger beschäftigt. Bezüglich der eigenen Endlichkeit sagt er:
„Da ich lebendig lebe, muss ich nicht dauernd an den Tod denken. Es hat sich auch zu mir schon rumgesprochen, dass die Menschen sterblich sind.“
Dass er sich in seinem jüngsten Werk mit dem Thema Glaube und Religion beschäftigt, habe „überhaupt nichts“ mit seinem Alter zu tun, was er wie folgt weiter darlegt:
„Seitdem ich Gedichte und Lieder schreibe, befinde ich mich in einem Disput mit Gott, an den ich allerdings nicht glaube.“
Weiter führte er aus, dass er nun mal in der deutschen Sprache schreibe, die nur verstehen könne, wer Martin Luthers Werk gut kenne. Diesbezüglich betont Wolf Biermann:
„Er [Martin Luther] ist der Schöpfer unserer deutschen Sprache. Egal ob jemand an Pflaumenmus oder an die Liebe glaubt, er muss Luther lesen und gerät so automatisch in diesen Disput.“
Dass er bibelfest ist, zeigte der Liedermacher und Lyriker, als er seiner Freude über das schwache Ergebnis der Linkspartei bei der vergangenen Bundestagswahl Ausdruck verlieh. Gegenüber der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“ erzählte Biermann, dass er folgenden Gedanken hatte, nachdem er das Wahlergebnis der Linke von gerade einmal 4,9 % mitbekommen hatte:
„Da dachte ich an das Bibelwort: ‚Den Seinen gibt’s der Herr im Schlafe!‘ Und ich fand das großzügig, dass Gott, obwohl er ja weiß, dass ich nicht an ihn glaube, diese 4,9 Prozent für mich manipuliert hat.“
Beim Lesen des neuestes Biermann Werkes „Mensch Gott!“ kommen einem gottgläubigen Menschen eventuell folgende Worte des Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers C. S. Lewis (1898-1963) in den Sinn, der einst feststellte: „Wenn du gegen Gott argumentierst, argumentierst du gegen die Macht, die dich überhaupt in die Lage versetzt, zu argumentieren.“
Quellen: efo-magazin.de, domradio.de, nordkurier.de, welt.de
Update [9.12.21]:
Im Interview mit rbb-Inforadio begründete Wolf Biermann: „Ob ich an Gott glaube oder nicht spielt eigentlich keine Rolle.“ Weil er in Europa nun einmal in einer christlich-jüdischen Kultur lebe, müsse er mit diesem Gott, an den er nicht glauben könne, im Gespräch bleiben.
Mehr dazu unter inforadio.de
Anbei der Song „Ermutigung“, den Wolf Biermann 1976 in der Kölner Sporthalle präsentierte: