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Pater Christoph Kreitmeir: „Jesus ‚bespielt‘ mehrere Verstehens- und Gefühlsebenen“

In seiner Auslegung zum heutigen Sonntagsevangelium (Mt 20, 1-16) beschreibt unser geistlicher Begleiter Pater Christoph Kreitmeir die Bedeutung des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg und welche Wirkung die Reflexion darüber für ein erfüllendes Leben haben kann.

Anbei die Worte seiner Predigt als Audio-Datei und anschließend im Text-Format:

 

 

Das soeben gehörte Gleichnis Jesu ist in seinem Aufbau wieder einmal genial und „bespielt“ mehrere Verstehens- und Gefühlsebenen beim Zuhörer.

Zum einen geht es um die Tatsache, dass ein Arbeitgeber immer wieder neu nach Arbeitern sucht, sogar mehrfach täglich. Das trifft die heutige Situation der Arbeit allgemein sehr genau in Deutschland. Fachkräftemangel wohin man schaut. Das Handwerk vor allem, aber auch Weltfirmen wie AUDI zum Beispiel halten Ausschau nach guten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, finden sie aber immer schwerer. Dies hat verschiedenste Gründe, darunter leidet aber nicht nur die Wirtschaft, sondern auch unser Wohlstand und letztlich sogar der soziale Friede.

Dann geht es um das Thema Gerechtigkeit. Der eine bekommt für soundsoviel Arbeit den ausgemachten Lohn und regt sich darüber auf, dass der andere, der zeitlich weniger gearbeitet hat, den gleichen Lohn bekommt. Das ist so eine Sache mit der Gerechtigkeit der Entlohnung. Ich frage mich oft, ob es berechtigt ist, wieviel eine Norma- oder Aldimitarbeiterin oder jemand im mittleren oder höheren Management einer Firma bekommt. Die Kategorie „gerecht“ gilt für mich da schon lange nicht mehr. Und Recht und Gerechtigkeit sind sowieso zwei paar Stiefel, wie wir wohl alle wissen.

Die letzten Sätze des Gleichnisses über die Arbeiter im Weinberg haben es aber auf einer anderen, einer tieferen Ebene in sich.

Der Satz „Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will?“, den der Gutbesitzer zu dem vermeintlich neidischen Arbeiter der ersten Stunde sagt, deutet die Tatsache an, die hinter dem Gleichnis Jesu steht:

Gott und seine Güte und Großzügigkeit sprengen unsere Bewertungskriterien.

Gott gibt soviel und wem er will … und daran reiben wir uns eigentlich irgendwie alle.

Warum hat der vermeintlich Gute mehr Pech im Leben, erleidet mehr Unglück, Krankheit und Not als der Schuft oder das Schlitzohr? Stimmt diese Meinung überhaupt? Bei den vermeintlich Schönen und Reichen ist auch nicht immer alles Gold, was glänzt, weiß Gott nicht, und, wenn man genau hinsieht, dann findet man dort auch nicht wenige Schicksalsschläge und verstecktes Unglück.

Gott darf gottgleich großzügig handeln und wir sollen uns in unserer menschlichen Enge und Schwäche davon inspirieren lassen.

Denn letztlich wissen wir ja, dass es Bereiche gibt, die mehr und größer werden, wenn man sie teilt und hergibt: Zeit zum Beispiel, Wissen, Freude und Liebe werden größer, wenn man sie teilt.

Der im Gleichnis dann folgende Satz, der als Frage gestellt ist – „Oder ist dein Auge böse, weil ich gut bin?“ – , beinhaltet eine tiefe psychologische Erkenntnis. Wir sehen die Welt und unser Gegenüber immer mit unseren Augen, also mit unserer gefärbten Meinung. Es kann ein wunderschöner Tag sein, wenn ich stinkig gelaunt oder depressiv bin, dann erreicht mich das Schöne nicht, nein, ich muss es negativ und dunkel färben.

Die Psychologie nennt dieses Phänomen „Projektion“ oder „Übertragung“. Mein Blick, meine Meinung, meine Einschätzung, meine Stimmung kehre ich nach außen, stülpe sie der Welt oder meinen Mitmenschen über und lasse sie dadurch gar nicht sie selbst sein.

Das Ganze geht aber auch andersherum und positiv. Sobald ich gut, positiv, liebevoll, großzügig, barmherzig, freundlich oder gütig denke und fühle und daraus dann auch handle, kann es sein, dass ich ähnliches dann sehr bald zurück bekomme. Das „funktioniert“ nicht immer, aber doch erstaunlich oft.

Hier gilt die Weisheit, die eigentlich alle Religionen und seriösen Philosophien vertreten:

„Schaffe in dir Frieden und der Frieden wird von dir ausgehen und sich ausbreiten.

Schaffe in dir Klarheit und dein klarer Blick wird die Welt erhellen, deine klare Sprache wird das Verständnis untereinander fördern und deine geklärten Emotionen werden wie ein Jungbrunnen für dich und andere sein.

Schaffe in dir Freude und sie wird aus dir heraussprudeln und andere erfrischen und produktiv anstecken.

Schaffe in dir einen Raum der Leere und Weite und die Fülle der Liebe, die Fülle Gottes wird sich in ihn hineingießen.

Sei wie eine Schale, aus der dann diese Liebe und Großzügigkeit Gottes überfließen kann, damit Leben, Liebe, Güte und Frieden wachsen können.

In allem aber halte dich frei für GOTT und sein Wesen wird die Freiheit in dir wachsen lassen.“

Amen.

Hinweis: Aktuell ist das neue Buch „Welche Farbe hat der Tod?“ (Gütersloher Verlagshaus, 30.8.2023) von Pater Christoph Kreitmeir erschienen. Mehr Infos dazu gibt es im Interview mit Pater Kreitmeir:

HIER