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Pater Peter Uzor: „Es gibt noch mehr als die engen Grenzen unserer Wirklichkeit“

In seiner Auslegung zum Evangelium am ersten Adventssonntag (Mk 13, 33-37) verweist unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor darauf, wie wichtig es ist, Offenheit zu wagen, damit das Leben zu seiner Fülle kommt. 

Hier die Worte seiner Predigt:

Kennen Sie das auch: die Angst, nach Hause zu kommen und eine furchtbares Durcheinander vorzufinden? Die Angst oder gar die Erfahrung, dass jemand in meine Wohnung oder in mein Haus einbricht. Ein Alptraum: im Bett zu liegen und zuhören, dass da einer durch dein Zimmer schleicht. Und der Zorn, dass da jemand in die Intimsphäre meines Lebens eindringt!

Diese Lebenserfahrung nimmt Jesus als Beispiel dafür, dass wir „wachsam und bereit“ sein sollen. Der Menschensohn, so sagt er, der Herr über Leben und Tod, der eigentliche Hausherr dieser Welt, wird unvermutet kommen – wie einer, der mitten in der Nacht, völlig unangemeldet von einer langen Reise zurückkehrt.

Was ist das für eine Botschaft! Eine wahrhaft ’schöne Bescherung‘ zum ersten Advent!

Ist das eine Drohung? Soll das heißen: warte nur ab! Ich finde schon den Moment, an dem du nicht mit mir rechnest, an dem du nicht aufpasst. Ihr wisst doch, wie schnell das gehen kann – von einem Augenblick zum anderen ist alle scheinbare Sicherheit dahin. Plötzlich steht das Ende vor der Tür – der Hausherr kommt, um abzurechnen. Er fordert Rechenschaft, wie du mit all dem umgegangen bist, was er dir anvertraut hat. Ein düsterer Adventsanfang! Schaurig!

Aber Vorsicht! Kann man das nicht auch so verstehen: Jesus will uns nachdenklich machen. Er lässt uns aufhorchen. Er hält uns hier eine grundsätzliche Wahrheit vor Augen: Bedenke, dass Dein Leben einen tieferen Sinn hat! Sei wachsam, pass auf und richte Dich nicht vollkommen ein.

Diese Welt ist nicht schon das Ganze, sie ist nicht alles! – Es gibt noch mehr, noch Größeres und Schöneres, als es die engen Grenzen unserer Wirklichkeit bieten können! Du bist zu mehr berufen!

Und darum: Sei wachsam!

Lebe immer so, dass alles auf dieses Größere – besser: auf den Größeren, nämlich auf Gott hin offen bleibt! Lebe so, dass du Gott in alles mit hinein nimmst! Lebe so, dass du vor Gott bestehen kannst.

Wenn wir das versuchen, dann bekommt unser Leben in allem Hier und Jetzt tatsächlich eine andere Qualität, so die Botschaft Jesu. Dann bekommt die kleinste Kleinigkeit eine tiefere Bedeutung. Das hat Auswirkungen – immer – in jedem Augenblick. Mein Leben wird mehr und mehr zu einem Geschenk, das von Gott kommt. Jeder Tag und jeder Moment erhält einen ganz besonderen, ja einen ewigen Wert.

Das „Seid wachsam“ Jesu bedeutet: Nimm Gottes Gegenwart in diesem Augenblick wahr und nimm sie ernst! Nimm jeden Tag wichtig! Heute, am Sonntag, hier beim Gottesdienst; aber auch ansonsten. Immer und überall: In deiner Familie, bei deinen Freunden, im Alleinsein, bei deiner Arbeit. Sei aufmerksam und beobachte, was dir jetzt, hier und heute, geschenkt, angeboten und vielleicht auch zugemutet wird. Und bring es mit Gott in Zusammenhang.

Denn sonst könnte es geschehen, dass du das Wichtigste verpasst. Ja, es könnte sein, dass du Gott selbst einfach nicht wahrnimmst, ihn nicht erkennst.

Haben wir nicht solch ein Aufmerksam-Machen beileibe nötig? Ist es Ihnen nicht auch schon so ergangen, dass Sie auf einmal im Strom der Zeit und im Einerlei des Alltags unterzugehen drohen?

So könnte es auch in diesem Jahr wieder geschehen: wir lassen uns in den nächsten Wochen so sehr von der Geschäftigkeit und Hektik einfangen, dass das Eigentliche und Entscheidende auf einmal im Haus ist, wie ein Dieb in der Nacht: Weihnachten hätte sich dann herein gestohlen, wäre in unser Leben eingebrochen, ohne dass wir innerlich vorbereitet wären.

Das kann nicht nur in diesen Wochen geschehen; sondern das kann auch mit dem „Weihnachten“ unseres Lebens passieren.

Das Leben streicht vorbei. Und je älter wir werden, umso rasanter wird seine Fahrt. Und am Ende erschrecken darüber, dass wir vor Gott treten sollen. Gott kommt zu uns – und wir sind nicht bereit, weil wir die Tür zu ihm verfallen ließen, sie zugewuchert oder sogar vermauert ist.

Bis zur Reform des 2.Vatikanischen Konzils kannte die Kirche die sogenannten „niederen Weihen“. Die erste niedere Weihe war die Weihe zum „Türhüter“. Ganz bewusst war das eine Anspielung auf das Bild, das Jesus heute im Evangelium gebraucht hat: „Ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Es ist wie mit einem Menschen, der sein Haus verließ, um auf Reisen zu gehen: Er übertrug alle Verantwortung seinen Dienern, jedem eine bestimmte Aufgabe: dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein! – Seid also wachsam!“ (Mk 13,33f.)

Ein Bild und eine Aufforderung für uns alle: es ist unsere Aufgabe, die Türen der Welt offenzuhalten auf Gott hin. Wir sollen die Türen der Zeit öffnen für die Ewigkeit. Wir sollen alle Vorläufigkeit für das Ewige und Bleibende durchlässig machen. Es muss schließlich jemand wach und bereit sein, wenn der Herr kommt!

Ist es nicht so, dass in unserer Welt – und vielleicht auch in unserer Kirche – die Türen zu Gott hin vielfach zugeschlagen sind?

Wir suchen das Glück im Erfolg, im Vordergründigen. Wir setzen mehr auf den Schein als auf das Sein. Die äußere Schönheit ist wichtiger als die inneren Werte. Kraft, Stärke, Gesundheit und Jugend zählen mehr als Treue, Beständigkeit, Wahrheit, Verantwortung. Wir sehnen uns nach Gerechtigkeit und erfahren täglich das genaue Gegenteil. Wir versuchen uns abzusichern und alles im Griff zu behalten – und sind in Gefahr, dass wir uns darüber völlig verlieren.

Seid wachsam – haltet die Tür Gottes in euer Leben und in unsere Welt hinein offen!

Als Volk Gottes ist das unsere Berufung: Bereit-Sein und Wachsamkeit. Wachsam sein für das, was mein Gegenüber jetzt braucht: Mein Ehepartner, der Freund, die Nachbarin.

Wenn ich etwa im adventlichen Trubel weniger auf die Geschenke achte, als auf den, den ich beschenken will, dann stärke ich meine Wachsamkeit im Sinne des Evangeliums.

Dann nehme ich Gott mit hinein, dann öffne ich eine ‚Tür‘ für Größeres. Dann wird Advent zu einer Zeit seiner Ankunft.

In solch einer Haltung und Atmosphäre kommen wir auf die Spur: Gott kommt zu uns. Er kommt bei uns an. Wir halten die Tür offen, durch die er eintritt.

Lassen Sie uns im Advent, jeder für sich und wir zusammen als Gemeinde, bewusst und wachsam als „Türhüter“ unterwegs sein. Wachsam für Möglichkeiten und Chance, Gottes Nähe und sein Kommen zu spüren. Und das ist doch wohl beileibe nichts, vor dem wir uns fürchten müssten! Es ist vielmehr die Erfüllung unserer Hoffnung, die großartige Verheißung und Tröstung: Gott beruft uns, seine Hausgenossen zu sein, seine Freunde!

Amen!