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Pater Peter Uzor: „Gott ist geschichtlich konkret Mensch geworden“

Seine Predigt zum Evangelium zum ersten Weihnachtsfeiertag „Und das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,1-14) geht unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor dem christlichen Glauben der „Fleischwerdung“ Gottes nach und beschreibt dabei die tiefe Bedeutung dieses Begriffes. Seine Predigt leitet er mit folgenden Worten ein:

„Wem verdanken wir dieses schöne Fest? Wer ist Regisseur dieses Nachtstücks, dieses Krippenspiels? So schön Weihnachten ist, wir haben es nicht erfunden. Gott lenkt unseren Blick auf ein winziges Kind. Heute am helllichten Tag feiern wir das Geheimnis der langen Nacht und bringen dem noch namenlosen Kind unsere seltsamen Geschenke: unseren Atem, unsere gemischten Gefühle, unser Suchen und Fragen, unsere Kindheitserinnerungen, meine Vergesslichkeit, meine Müdigkeit und meine tiefe Sehnsucht, von Ihm angeblickt zu werden. Wir können es nicht fassen! Gott hautnah bei uns, als stiller Gast in uns, als Zeitgenosse dieser gefährdeten Welt. Was soll Gott uns schenken? Ein staunendes Herz, einen aufmerksamen Blick, ein empfangsbereites Herz …“

 

Anbei die Worte der Predigt von Pater Dr. Peter Uzor zu Joh 1,1-14:

 

Vielleicht kennen Sie die Fernsehsendung eines deutschsprachigen Privatsenders mit dem Titel „Undercover Boss“. Wenn Ihnen dieses Format aber unbekannt ist, hier einige Hintergrundinformationen: Im Mittelpunkt stehen „Bosse“, also hochrangige Führungskräfte von großen deutschen Unternehmen und Firmen. Sie tauschen eine Woche lang ihr komfortables Büro und die Annehmlichkeiten der Chefetage gegen die harte Realität an der Basis ein. Sie werden aufgrund ihrer Bekanntheit zunächst von Maskenbildnern mit viel Aufwand unkenntlich gemacht, zum Teil durch Perücken und falsche Zähne, und bekommen einen neuen Namen. Sie werden zwar von einem Kamerateam begleitet, aber unter dem Vorwand, dass es sich um eine TV-Dokumentation handelt über einen Arbeitslosen, der verschiedene Jobs ausprobieren soll. Sie lernen dadurch verdeckt, „undercover“, die verschiedenen Unternehmensbereiche und Mitarbeiter kennen.

Sie erfahren von deren Verbesserungsvorschlägen, aber auch von deren persönlichen Wünschen oder Problemen. Sie geben erst am Ende ihre wahre Identität preis. Sie laden ihre ahnungslosen „Opfer“ in die Zentrale ein, um mit ihnen über deren Tätigkeiten und Perspektiven zu sprechen, aber auch, um sie zu belohnen, entweder mit einem Gutschein, einer Reise oder einer Beförderung. Die spannende Frage ist jedes Mal: Wird das Experiment den Chef verändern? Und wie reagieren die Mitarbeiter, wenn sie erfahren, dass ihr Chef unerkannt direkt an ihrer Seite gearbeitet hat?

Warum erzähle ich Ihnen heute, am hochheiligen ersten Weihnachtstag, von dieser so profanen Doku-Soap aus dem Privatfernsehen? Nun, sie kann uns helfen, das Evangelium, das wir gerade gehört haben, und damit das Geheimnis der Menschwerdung Jesu besser zu verstehen.

Sie wissen vielleicht: Der Evangelist Johannes erzählt keine Geschichte von Jesu Geburt, so wie seine „Kollegen“ Matthäus und Lukas in ihren Weihnachtserzählungen es tun. Er beginnt stattdessen mit einem Prolog, einem Vorwort. Wir haben es gerade als Evangelium gehört. Dieser Prolog ist von großer sprachlicher Schönheit und inhaltlicher Tiefe. Er ist eigentlich ein Lied, ein „Weihnachtslied“: Es besingt in drei Strophen das Kommen Jesu in diese Welt: zu den Menschen allgemein, zu den Seinen, dem Volk Israel, und zu der Gemeinde, die sich zu ihm bekennt.

Ein Satz fasziniert an diesem Prolog ganz besonders: „Und das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14). Johannes wählt hier für die Menschwerdung Jesu keinen erhabenen oder edlen Begriff.

Es könnte ja auch heißen, das Wort sei „Leib“ geworden oder „Körper“. Es heißt stattdessen: Das Wort ist „Fleisch“ geworden – eine recht genaue Übersetzung des griechischen Originals (sarx). Die Menschwerdung Jesu wird deshalb auch als „Fleischwerdung“ bezeichnet, als „Inkarnation“ (von lateinisch caro für Fleisch).

Es ist also alles andere als ein Zufall, dass Johannes gerade dieses Wort „Fleisch“ verwendet, um die Menschwerdung Jesu zu beschreiben. „Fleisch“ ist ja das, was nach dem Tod schnell verwest. „Fleisch“ ist darum in der Bibel ein Ausdruck für die Vergänglichkeit, Hinfälligkeit und Schwachheit des Menschen: Alles Fleisch, so heißt es im Alten Testament, „ist wie das Gras und all seine Schönheit wie die Blume auf dem Feld. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn der Atem des Herrn darüber weht“ (Jes 40,6f). Damit aber, mit „Fleisch“, mit Vergänglichkeit, Schwachheit und Hinfälligkeit, hatten weder die Gottheiten des Alten Orients noch JHWH, der Gott des Alten Bundes, etwas zu tun. Davon wurden sie scharf abgegrenzt.

Es verwundert darum nicht, dass es im frühen Christentum Gruppierungen gab, die die „Inkarnation“ geleugnet haben, die überzeugt waren, Jesus, der Sohn Gottes, habe nur zum Schein menschliche Gestalt angenommen oder der Mensch Jesus sei erst später von Gott adoptiert worden. All diesen Ideen ist ja, wie gesagt, eines gemeinsam: Sie wollen dem schockierenden und beinahe undenkbaren Paradox entkommen, das aber so zentral für unseren christlichen Glauben ist:

Jesus, der Sohn Gottes, ist Mensch geworden – nicht nur zum Schein, nicht wie bei einer Adoption, auch nicht als Experiment für eine Woche, sondern wirklich, ganz konkret. Er hat Hunger, er leidet Schmerzen, er stirbt.

Derartige Vorstellungen finden sich übrigens auch heute noch. Da heißt es in einem bekannten Weihnachtslied: „Des ew’gen Vaters einzig Kind / jetzt man in der Krippe find’t; / in unser armes Fleisch und Blut / verkleidet sich das ewig Gut“ (Gotteslob 252,2). Auch das klingt doch so, als ob Jesus nicht wirklich Mensch geworden ist, sondern bloß so getan hat – eben wie der „Undercover Boss“, der getarnt und geschminkt seine Mitarbeiter aufsucht und nur scheinbar seinen Chefposten gegen das einfache Angestelltendasein eintauscht. Nein, so sagt es Johannes mit dem anstößigen Wort „Fleisch“: Jesus, der Sohn Gottes, hat wirklich „das ganze Geschick eines Menschen in dieser Welt, zwischen Geburt und Tod gespannt, durchlebt und durchlitten“ (Heinz Zahrnt).

Weihnachten ist das Fest der Liebe, so sagt man immer wieder. Das ist auch richtig. Viele Menschen gehen in diesen Tagen liebevoller miteinander um als sonst. Da werden Weihnachtsgrüße geschickt – oft sogar noch handgeschrieben. Da werden Geschenke ausgesucht, verpackt und mit lieben Worten einander überreicht. Da wird der Heilige Abend, wenn immer es geht, mit den Menschen gefeiert, die einem besonders nah und lieb sind.

All das hat einen tiefen Grund in der Botschaft des Weihnachtsfestes, in der Geburt Jesu.

In dem, was er gesagt hat und wie er gelebt hat, ist Gott uns Menschen besonders nahegekommen. In ihm ist Gott Mensch geworden. Nicht zum Schein, sondern geschichtlich konkret.

Und durch ihn, so sagt es der Evangelist Johannes heute am Ende seines „Weihnachtsliedes“, gehören wir, die wir uns zu ihm bekennen, zur Familie Gottes und sind reich beschenkt, mit Liebe und Zuwendung. Daran können uns die Geschenke erinnern, die wir geschenkt bekommen haben. Besonders jene, in denen ganz viel Liebe drinsteckt.

Amen.