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Pater Peter Uzor: „Sinn kann auch da noch sein, wo das Glück keine Chance mehr hat“

Was lässt menschliches Leben gelingen? Was ist wirklich wichtig im Leben? In seiner Predigt zu Allerheiligen stellt unser geistlicher Begleiter Pater Peter Uzor den von einer Studie ermittelten 4 G’s, die Menschen vermeintlich glücklich machen, den Wert der Sinnfindung entgegen, der sich auch dann noch finden lässt, wenn die 4 G’s (Gesundheit, Geselligkeit, Geld und gute Gene) fehlen bzw. abhanden kommen. Zur Unterlegung seiner These führt er dazu beispielhaft Biographien von Vorbildern im Glauben an, die in der katholischen Kirche als Heilige verehrt werden.

Hier die Worte seiner bedenkenswerten Predigt:

Vor einigen Jahren wurde eine in ganz Deutschland erstellte Studie veröffentlicht. Bei dieser Untersuchung war gefragt worden, was die Menschen glücklich macht. Das Ergebnis dieser Studie stellte keine große Überraschung dar. Es sind vor allem die vier G’s, die Menschen Glück verleihen: Gesundheit, Geselligkeit, Geld und gute Gene, also Erbanlagen.

Ich wünsche jedem und jeder von Ihnen und mir selbst, dass wir möglichst glücklich sind;

dass wir gesund sind, dass wir angenehme und Geborgenheit schenkende Gesellschaft haben, wenn wir sie brauchen, dass wir über ausreichend Geld verfügen, um unser Leben bestreiten zu können, und dass unsere Gene, unsere Erbanlagen, förderlich für unser Wohlbefinden sind.

Nachdenklich macht diese Studie allerdings, wenn ich auf die Heiligen schaue, derer wir heute in ihrer Gesamtheit gedenken.

Was die vier G’s, die Menschen glücklich machen – Gesundheit, Geselligkeit, Geld und gute Gene – betrifft, so hatten nicht wenige von den heiligen Männern und Frauen nicht allzu viel von den Faktoren des Glücks.

Da gibt es welche, die gar nicht gesund, sondern sehr oft krank waren wie die heilige Therese von Lisieux, eine französische Ordensfrau im 19. Jahrhundert. Schon als Kind hatte sie eine schlimme Krankheit, von der sie in den Augen der Zeitgenossen nur durch ein Wunder geheilt worden war. Im Kloster erkrankte sie dann so schwer an Tuberkulose, dass sie nach eineinhalbjährigem Leiden bereits im Alter von 24 Jahren verstarb.

Andere hatten ganz wenig menschliche Gesellschaft wie die Einsiedlerinnen und Einsiedler, zum Beispiel der heilige Antonius von Ägypten. Er zog sich um das Jahr 300 in die ägyptische Wüste zurück. In seiner Einsamkeit war er vielen Versuchungen ausgesetzt. Diese werden auf Gemälden oft als Schweine dargestellt. Daher trägt er in manchen Gegenden den etwas derben Namen „der Sau-Toni“.

Andere hatten ganz bewusst wenig bis gar kein Geld und pflegten die Armut als Ideal, wie etwa der heilige Franz von Assisi. Der reiche Kaufmannssohn aus Italien stellte sich nach seiner Bekehrung nackt auf den Marktplatz seiner Heimatstadt, weil er nicht einmal das Gewand, das ihm sein Vater geschenkt hatte, sein Eigen nennen wollte.

Und nicht wenige Heilige waren nicht immer nur Frohnaturen, die mit Glücksgenen gesegnet waren, sondern mussten auch depressive Phasen durchmachen wie die heilige Theresa von Avila, die große Ordensreformerin und Mystikerin aus dem Spanien des 16. Jahrhunderts. Sie musste erst durch innere Krisen hindurch lernen, anstatt auf eigene religiöse Leistungen, auf die Freundschaft Gottes zu vertrauen.

Im Leben vieler Heiliger herrschen Krankheit, Abgeschiedenheit, Armut und innere seelische Kämpfe vor. Von Gesundheit, Geselligkeit, Geld und guten Genen keine Spur.

Die vier G’s, die Menschen glücklich machen, spielen auch bei den Seligpreisungen Jesu keine Rolle. Jesus preist vielmehr die Menschen selig, in deren Leben Armut, Trauer, Barmherzigkeit, Gerechtigkeitssinn und Liebe zum Frieden dominieren.

Für Jesus gibt es offensichtlich ein Ziel im Leben, das über das Glück hinausgeht. Die Philosophen nennen dieses höchste Gut, das sogar das Glücklich-Sein noch übertrifft, den Sinn.

Die Armut hat Franziskus vielleicht nicht glücklich gemacht, aber sie hatte für ihn Sinn: Ein Armer liefert dem Mitmenschen keinen Anreiz, ihm mit Gewalt den Besitz zu nehmen. Armut fördert so den Frieden. Und Frieden war für Franziskus von höchster Bedeutung, mehr als Vogelpredigt und Sonnengesang.

Die Krankheit hat Therese von Lisieux nicht glücklich gemacht, aber gerade durch ihre Krankheit war sie darauf angewiesen, in ihrer Schwachheit auf Gottes Hilfe zu vertrauen. So machte sie religiöse Erfahrungen, die sie dann in einem Buch über ihr Leben festgehalten hat. Dieses Buch hat vielen Menschen geholfen zu glauben. Dadurch erhielt das Leben von Therese einen tiefen Sinn.

Ein Einsiedler wie Antonius von Ägypten ist wohl nicht glücklich darüber, dass er allein ist. Aber die Einsamkeit macht ihn frei von den Zwängen des Zwischenmenschlichen, frei für Gebet und Gott. Und diese Freiheit vermittelt ihm tiefe Einsichten in den Urgrund und den Sinn des Lebens. Aus diesen Einsichten heraus kann ein Eremit dann denen Ratschläge geben, die ihn darum bitten. So hat das Leben eines Einsiedlers einen Sinn auch für andere Menschen.

Die Traurigkeit hat Theresa von Avila nicht glücklich gemacht, aber auch diese depressiven Phasen hatten einen Sinn für sie: Sie hat dadurch erkannt, dass spirituelle Vollkommenheit nicht gemacht werden kann, sondern von Gott geschenkt werden muss.

Die Heiligen waren vielleicht nicht immer glücklich, aber ihr Leben war sinnvoll.

Das ist tröstlich für die vielen Menschen, denen eines oder mehrere der vier G’s fehlen: die nicht gesund sind, die allein sind, die arm sind oder die von ihren Erbanlagen her belastet sind.

Ein sinnvolles Leben kann ich auch als schwer kranker oder als einsamer Mensch führen; ein sinnvolles Leben kann es auch mit Hartz IV und depressiv machenden Genen geben.

Diese Einsicht, dass Sinn auch dort noch vorhanden sein kann, wo das Glück nicht oder nicht mehr gegeben ist, kann in schwierigen Lebenssituationen auch Kraft verleihen. 

Eheleute können etwa ihre Beziehung weiterführen, obwohl sie miteinander unglücklich sind, weil sie es für sinnvoll halten, um der kleinen Kinder willen noch eine Zeit lang zusammenzubleiben.

Meinen Beruf werde ich nicht wegschmeißen, obwohl er mich gerade nicht glücklich macht, weil die Tätigkeit sinnvoll ist oder mir zumindest mein Auskommen sichert.

Sogar schlimme Schicksalsschläge kann ich mit der Suche nach einem Sinn vielleicht besser verkraften.

Eltern, die ein Kind verloren haben, gründen eine Selbsthilfegruppe für andere Eltern, denen das Gleiche widerfahren ist. Aus der Erfahrung des eigenen Leides können sie anderen eine Stütze sein, die das Gleiche durchmachen. Dadurch wird nichts gut. Aber etwas, das schlimm ist und schlimm bleibt, wird doch irgendwie ein Sinn abgetrotzt.

Ich wünsche Ihnen allen und mir selbst ganz viel Glück: gute Gesundheit, angenehme Gesellschaft, das nötige Geld und gute Erbanlagen. Ich wünsche uns allen viel Erfolg beim Streben nach Glück.

Ich wünsche Ihnen und mir aber auch, dass wir nicht vergessen, dass Sinn noch wichtiger als Glück ist; und dass Sinn auch da noch sein kann, wo das Glück keine Chance mehr hat. Das zeigen uns viele der Heiligen, an die wir heute denken.

 

Unser geistlicher Begleiter Pater Peter Uzor ist Pfarrer in der oberfränkischen Pfarrgemeinde St. Otto Ebersdorf bei Coburg. Anfang der 2000er Jahre wurde er an der Universität Bamberg für die beste Doktorarbeit im Fachgebiet Theologie ausgezeichnet.