Pater Christoph Kreitmeir: „Im Advent soll der Mensch wach werden zu sich selbst“

In seiner Auslegung zum Sonntagsevangelium (Lk 3, 10-18) geht unser geistlicher Begleiter Pater Christoph Kreitmeir auf den Advent als Zeit der Erschütterung ein, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst. Dabei nimmt er Bezug auf Gedanken des Jesuitenpaters Alfred Delp, der Mitglied des Kreisauer Kreises im Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Hier die Worte seiner Predigt als Audio-Datei und anschließend im Textformat:

 

 

Auf der Suche nach Inspiration für meine Predigt stieß ich auf folgenden Satz des Jesuitenpaters Alfred Delp, der mich sofort aufhorchen lies: Advent ist eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst.“

Wach werden!

Nicht nur gegenüber den Zeitläuften, dem, was um uns herum geschieht. … Und dieses dann mit Hoffnung, Glaubensmut und Engagement trotz allem durchdringen … und auch mit Gebet.

Wach werden!

Nicht nur gegenüber anderen, den lieben Mitmenschen, denen, die mich brauchen, sondern auch gegenüber denen, die mich nerven, die andere ausnutzen, missbrauchen oder sonst Böses im Schilde führen. Und auch hier Tun und Sein-lassen, Widerstand und Ergebung.

Wach werden!

Mir selbst gegenüber, wie Alfred Delp sagt. Und das geschieht nicht selten durch Erschütterung, Krise und Infragestellung.

Pater Delp war jemand, der aufgrund seines christlichen Glaubens und seines Priesterseins aus Wachheit und Erschütterung gegenüber den Nazis nicht nur misstrauisch, sondern ein entschiedener Widerstandskämpfer wurde.

1944 schrieb er in einer Zelle, wo er auf seine Hinrichtung wartete, folgende Zeilen, die mich spirituell und auch als Mensch in Zeiten von Corona wachrütteln und aufhorchen lassen:

Es fehlt vielleicht uns modernen Menschen nichts so sehr als die echte Erschütterung: wirklich da, wo das Leben fest ist, eine Festigkeit zu spüren, und da, wo es labil ist und unsicher ist und haltlos ist und grundlos ist, das auch zu wissen und das auch auszuhalten.

Das ist vielleicht die allerletzte Antwort auf die Frage, warum uns Gott in diese Zeit geschickt hat und warum er diese Wirbel über die Erde gehen lässt und warum er uns so in Chaos hineinhält und ins Aussichtslose und ins Dunkle und warum von all dem kein Ende abzusehen ist: weil wir in einer ganz falschen und unechten Sicherheit auf der Erde gestanden haben. …

Die eine große Advent-Frage für uns ist, ob wir aus diesen Erschütterungen heraus kommen mit dem Entschluss: Ja, aufstehen! Es ist Zeit, vom Schlafe zu erwachen. Es ist Zeit, dass irgendwie ein Wecken beginnt, und es ist Zeit, dass man die Dinge wieder stellt, wie sie von Gott, dem Herrn, gestellt sind. …

Advent ist eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst. Die Voraussetzung des erfüllten Advent ist der Verzicht auf die anmaßenden Gebärden und verführerischen Träume, mit denen und in denen sich der Mensch immer wieder etwas vormacht. Er zwingt so die Wirklichkeit, ihn mit Gewalt zu sich zu bringen, mit Gewalt und viel Not und Leid.“

Die nun gehörten Worte eines authentischen Gottesmannes in glaubensferner Zeit hinterlassen wohl nicht nur bei mir die Frage „Was soll ich also tun?“

Genau diese Frage „Was sollen wir also tun?“ stellen die wachen und suchenden Menschen dem Propheten Johannes dem Täufer in der Wüste. Die Leute allgemein stellen ihm diese Frage, aber auch spezielle Berufsgruppen, wie die Zöllner und Soldaten. Die Antworten des authentischen Gottesmannes in glaubensfreundlicher Zeit sind klar und deutlich: Schau nicht nur auf dich, sondern teile das, was du hast mit dem, der nichts hat.

Die Zöllner fordert er überraschenderweise nicht dazu auf, ihren Beruf an den Nagel zu hängen, denn nicht der Beruf an sich ist unrein, sondern nur das jeweilige Verhalten im Beruf ist gut oder nicht gut.

Den Soldaten verbietet Johannes nicht den Dienst an der Waffe, sondern er fordert von ihnen, niemandem Gewalt oder Unrecht anzutun.

Trotz Macht das Rechte tun – das ist nicht einfach, denn Macht korrumpiert leicht und kann missbraucht werden. Trotz Überlegenheit diese nicht ausspielen, das ist das, was Johannes will.

All diese von Johannes dem Täufer geforderten Verhaltensweisen weisen schon auf die Gesinnungs- und Handlungsethik von Jesus von Nazareth hin, dessen Vorläufer Johannes ja ist. Im Gottesloblied Nummer 247 singen wir zu Weihnachten genau dieses Tun Jesu: „Er entäußerte sich all seiner Gwalt, wird niedrig und gering und nimmt an eines Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding. … Er kommt aus seines Vaters Schoß und wird ein Kindlein klein; er liegt dort elend, nackt und bloß in einem Krippelein.“

Macht, Stärke und Vorteile drangeben aus Liebe. Das ist die Botschaft des Johannes und das ist die Botschaft von Jesus Christus.

Es gibt Zeiten im Leben, wo wir herausgefordert werden, unsere Werte und das, was uns scheinbar trägt, zu hinterfragen und Kundige um Rat zu bitten: „Was sollen wir (also) tun?“ Pater Delp erlebte es selbst und deshalb konnte er sagen und es auch selbst leben: „Advent ist eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst.“

Amen.