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Pfarrer Rainer Maria Schießler: „Das Leben des Christen, des Freundes Jesu, ist vielfältig und bunt“

In seinem Impuls zum Sonntagsevangelium (Joh 15,9-17) beschreibt Pfarrer Rainer Maria Schießler, welches Bild von Gott Jesus mit seinem Angebot der Gottesfreundschaft darlegt.

Hier (mit freundlicher Genehmigung) der Impuls, den Pfarrer Schießler auf seiner Facebook-Seite unter dem Titel „Freunde, nicht Knechte!“ veröffentlicht hat:

„Nicht mehr Knechte“ nennt Jesus alle, die seinem Gebot der Liebe, seinem einzigen übrigens, folgen.

Seitdem gibt es die Spannung zwischen diesem Evangelium und der kirchlichen Realität im Umgang miteinander. Nicht die Spannung im privaten, öffentlichen wie im kirchlichen Leben ist das Problem, aber ein ständiger Stau ist gefährlich. Man kann nicht immer unter Strom stehen. Der Strom will fließen.

Daher müssen die Worte des Evangeliums mit Leben gefüllt werden und allen bewusst sein: Das Leben eines Knechtes ist eintönig, fremdbestimmt. Das Leben des Christen, des Freundes Jesu, ist vielfältig und bunt.

Bei Predigten anlässlich der Wallfahrt zum Heiligen Rock Jesu in Trier wird gerne hervorgehoben, dass er aus einem Stück sei, also nahtlos, weil ihn ja die Soldaten bei Jesu Kreuzigung ausgelost haben. Man träumt natürlich von einer Kirche ohne Flicken und Nähte, in der einer das Sagen hat und alle andern gehorchen, eben nach der Art von Knechten. Aber schon die Kirche der ersten Generationen war vielfältiger und „noch weit bunter als das heutige pluralistische Christentum“ (Tomas Halík).

Jesus ist nackt am Kreuz gestorben.

Die Kirche hat sich viele bunte Röcke angezogen. „Kleider machen nun mal Leute“ und die einen sind dann eben wichtiger als die anderen – aber eben auch weitab von der Freundschaft, die Jesus meint und in der alle gleich sein sollen. Dazu kommt eine geradezu übermächtige Bürokratie mit ihren vielen Institutionen und verschiedensten Gewändern. Noch einmal der tschechische Priester, Soziologe und Religionsphilosoph Tomas Halik: „Bereits die großen Mystiker der Kirche wussten, dass sich die volle Schönheit und Wahrheit des Glaubens in seiner Nacktheit offenbart“.

Nacktheit als Einfachheit lässt uns dann aber auch die höchste Stufe der Freundschaft erfahren, zu der wir Christen berufen sind und die auch Jesus meint: Die liebevolle, aber offene und ehrliche Korrektur.

Schwächen und Fehler sind dann keine Hindernisse mehr. Man offenbart dem Freund nicht mehr nur seine eigenen Fehler, sondern auch die Schwächen des anderen, ohne ihn zu verlieren. Man weint und lacht miteinander. Der eine sät und erntet auf dem Acker des anderen.

Es ist wie mit der Netzhaut unseres Auges: Sie weist einen blinden Fleck auf. Das Gehirn gleicht diese blinde Stelle im Gesichtsfeld durch das andere Auge aus. Genau so ist ein wahrer Freund, wenn er jenen Teil unseres Selbst ausgleicht, der von uns nicht wahrgenommen wird. So verhindert er, dass wir einseitig werden und damit falsch sehen, und ist wie der zweite Flügel, der uns hilft, uns zu erheben und zu fliegen.

Als einen solchen Freund dürfen wir Jesus annehmen und diese Freundschaft sollen wir als Kirche weiterschenken.