Pfarrer Schießler: „Starre Vorstellungen verhindern, dass das Menschliche zum Zuge kommt“
In seiner Auslegung des heutigen Sonntagsevangelium vom Barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) erinnert Pfarrer Rainer Maria Schießler daran, was der Maßstab Jesu war.
Hier sein Impuls, den Pfarrer Schießler auf seiner Facebookseite veröffentlicht hat:
Kirchliche Verlautbarungen und Verordnungen werden meistens mit einer sehr frommen und langatmigen Ernsthaftigkeit betrieben, die auf viele von uns sehr unnahbar wirkt.
Ein – nicht unberechtigter – Vorwurf im Missbrauchsskandal in unserer Kirche wird oft genannt: Der Kirche geht´s doch eh nur um ihr eigenes Erscheinungsbild, ihr Ego, aber viel weniger um den Menschen, der da wirklich leidet. Täterschutz geht vor Opferfürsorge, heißt dann die Formel kurz und bündig.
Das Evangelium vom barmherzigen Samariter – immerhin ein Stück Weltliteratur – spricht da eine ganz andere Sprache.
Der Samariter hier kümmert sich nur um das Nächstliegende, er sorgt sich um den Darniederliegenden, und zwar sofort, ohne Wenn und Aber, ohne fromme oder unfromme Ausreden.
Gerade die fromme Ernsthaftigkeit aber ist ein Widerspruch in sich. Sie legt sich selber lahm, macht zum spontanen Handeln unfähig. Sie geht buchstäblich am Menschen vorüber, der unter die Räuber gefallen ist.
Starre Vorstellungen, Riten und Regeln verhindern, dass das Menschliche zum Zuge kommt.
Wahre Frömmigkeit aber kann nur größere Achtsamkeit dem Menschen gegenüber bedeuten und nur sie verhilft zu einer tieferen Lebendigkeit. Auf die Frage: „Wer ist mein Nächster“, antwortet Jesus daher mit: „Der, der da vor dir auf dem Boden liegt!“.
Um ihn nicht zu übersehen, braucht es die Wachheit für alles, was um uns vorgeht. Sie aber ist es auch, die zum Widerspruch gegen verhärtete Strukturen in einem achtlosen Miteinander reizt – und berechtigt.