Schriftstellerin Nora Bossong: „Ich erlebe die Wandlung immer wieder als Wunder“

In einer Zeit, in der in unseren Breiten viele Menschen den Kirchen den Rücken zuwenden und ihr Seelenheil woanders suchen, geht die vielfach preisgekrönte Schriftstellerin Nora Bossong den umgekehrten Weg, indem sie ihre Beziehung zur Kirche intensiviert. Im Alter von 39 Jahren empfing sie die Erstkommunion. Das „Süddeutsche Zeitung Magazin“ wollte im Interview mit ihr nun erfahren, wie man es schaffen kann, als liberale Frau des 21. Jahrhunderts katholisch zu sein.

Die 40-jährige Schriftstellerin, die 2020 mit dem Thomas-Mann-Preis sowie dem Joseph-Breitbach-Preis ausgezeichnet wurde, verriet im Interview mit dem SZ-Magazin, dass sie im Jahr 2019 wegen der Missbrauchsskandale selbst mit den Gedanken an einen Kirchenaustritt spielte. Sie sei damals in einer grundlegenden Sinnkrise sowohl hinsichtlich ihres Glaubens als auch hinsichtlich „der Kraft der Literatur“ gewesen, wo sie den Halt der Kirche gebraucht hätte.

Als dann ihr Vater starb, fand sie „in dem Moment, in dem der familiäre Halt wegbrach“, wieder Halt im Glauben. In der Feststellung, wie sehr sie auf die Stütze von Glauben und Kirche angewiesen war, habe sich für sie das Themakirchenaustritt auf einmal erübrigt. Konkreten Halt findet Nora Bossong in der Liturgie (Wortgottesdienst) und Eucharistie, durch die sich Christen in der Heiligen Messe Tod und Auferstehung Jesu vergegenwärtigen. Dazu erklärt die Schriftstellerin, die Literatur am Literaturinstitut in Leipzig und Kulturwissenschaften, Philosophie und Komparatistik an der Humboldt-Universität von Berlin studierte:

„Ich erlebe die Wandlung immer wieder als Wunder und fühle mich in einen größeren Zusammenhang eingebunden, der das Hier und Jetzt übersteigt.“

Dies habe sie schon im Mädchenalter so empfunden. Weiter betont sie:

„Wenn ich verzweifelt bin, fühle ich mich in einer Kirche aufgehoben.“

Dieses Aufgehobensein beschreibt Bossong wie folgt ganz konkret:

„Mir gibt die Messe Halt, weil sie alles Alltägliche in Relation setzt. Sie baut eine Distanz zum Hier und Jetzt auf, aus der ich meine weltlichen Angelegenheiten, präziser betrachten kann.“

Dies würde ihr im Leben fehlen, wenn sie wie so viele Menschen heutzutage „auf diese transzendentale Erfahrung“ verzichten würde. Als Ursache für das Phänomen unserer Zeit, sich nicht mit Gott zu beschäftigen, sieht Nora Bossong in der „Fokussierung auf uns selbst“. Dabei ist ihr bewusst, dass der Mensch sich nur noch um sich selbst dreht, wenn er sich als letzte Instanz begreift.

Hinsichtlich Reformfragen der Kirche äußerte sich Nora Bossong im Interview mit dem SZ-Magazin zu den unterschiedlichsten Aspekten wie u.a. Zölibat, Frauenordination oder Haltung zur Abtreibung und Verhütung. Bezüglich ihrer Haltung zur Kirche der Zukunft sei sie „hin- und hergerissen“ und habe dabei „konservative, aber auch reformerische Anteile“. Klar ist ihr, was sie nicht möchte, nämlich eine Kirche, die verweltlicht ist und sich dem Zeitgeist anpasst. Deshalb sei sie bei so manchen Reformfragen wohl so zurückhaltend.

Weiter erklärte die Schriftstellerin, dass sie es akzeptiere, „dass in der Kirche andere Regeln gelten“. Dazu betont sie:

„Eine gewisse Form des Aus-der Zeit-gefallen-Seins halte ich im Fall der Kirche für richtig, ja notwendig.“

Auch wenn sie in ihrer Haltung nicht so konservativ sei wie der Schriftsteller und Katholik Martin Mosebach, findet sie nichts desto trotz:

„Die Kirche darf in keinem Fall so werden, wie man es in Berlin-Mitte angemessen fände.“

Zu der Haltung, dass die Kirche und ihre Würdenträger jünger werden müssten, gibt Nora Bossong zu bedenken:

„In einer Welt, in der alles immer jünger, schneller und dynamischer wird, können Alter und Beständigkeit ein notwendiges Gegengewicht sein.“

Als katholischer Mensch des 21. Jahrhunderts brauche man etwas Interpretationsspielraum, zeigt sich die Thomas-Mann-Preisträgerin ganz unverkrampft in ihrer Haltung zum Glauben, der ihrer Meinung nach da beginne, wo die Erkenntnisfähigkeit ende. Zu ihrer Vorstellung von Gott erklärte Bossong:

„Wir können uns Gott nicht vorstellen. Er ist zu groß für uns. Ich kann mir nur Jesus, seinen Sohn, vorstellen.“

Dabei helfe ihr auch ein Kruzifix in der Kirche ihrer Kindheit.

In die Kirche gehe sie heute einmal im Monat. Die Verbindung zu Gott pflegt sie im regelmäßigen Gebet. Dass sie ihre Erstkommunion erst im Alter von 39 Jahren empfing, war dem Umstand geschuldet, dass sich ihre Eltern trennten, als sie im Kommunionalter war. Beim Umzug mit ihrem Vater nach Hamburg hätten sie ihre Anmeldung in der Kirchengemeinde „vertrödelt“. So habe sie erst im Oktober 2021, am Todestag ihres Vaters, Erstkommunion gefeiert. Zur Bedeutung dieses Schrittes, der an einem normalen Werktag stattfand, schildert Nora Bossong:

„Früher war ich immer nur eine halb so echte Katholikin wie die anderen und konnte über viele Dinge hinwegsehen. Jetzt bin ich voll dabei, eben nicht ausgetreten, sondern noch weiter reingegangen. Das ist schön und belastend zugleich, weil ich die Schönheit des Glaubens stärker spüre, aber auch die Schuld der Kirche.“

Quellen: sz-magazin.sueddeutsche.de, katholisch.de