Theologe Jürgen Moltmann: „Der Sinn des Lebens bringt Menschen auf die Suche“

Gott, Heiliger Geist, Auferstehung, Vergebung, ewiges Leben – was ist das? Jürgen Moltmann, einer der bedeutendsten Theologen unserer Zeit, gibt aktuell im Magazin „Christ in der Gegenwart“ Antworten auf Fragen, die Aufgeklärte, doch religiös Interessierte an Kirche und Theologie stellen.

Zu seiner Vorstellung von Gott sagt der 91-jährige u. a.:

„Alles Leben verdankt sich dem Geist Gottes. Gott atmet durch die ganze Schöpfung.“

und weiter:

„Der Mensch ist von Erde genommen und wird wieder zu Erde, und seine Seele ist lebendig durch Gottes Geist. Es ist derselbe Geist, den wir zu Pfingsten anrufen: ‚Komm, Heiliger Geist‘!“

Moltmann selbst kommt aus einer atheistischen Familie. Zum christlichen Glauben kam er durch ein existenzielles Ereignis. Eigentlich wollte er Mathematik und Physik studieren, wurde 1943 aber als Soldat eingezogen und hat die Zerstörung Hamburgs in der Innenstadt erlebt mit 40000 Toten. Nach dem Krieg war er drei Jahre in Gefangenschaft. Durch die Lektüre der Bibel kam er dort zum christlichen Glauben:

„Da ist mir in meiner Gottverlassenheit der gottverlassene Christus nahegekommen durch die Bibel. Seitdem lebe ich in der Christusgemeinschaft. (…) Das Zeugnis vom gekreuzigten und auferstandenen Christus hat mich getroffen.“

Im Lauf seines Lebens ist er sich gewiss geworden:

„Gott ist Liebe, die sich in Christus gezeigt hat.“

An Gott glauben könne er nur durch Jesus Christus:

„Aus der Geschichte und aus der Natur würde ich nicht auf den Gedanken an Gott kommen – und dass Gott Liebe ist.“

Christus sei für alle Menschen gestorben, betont der evangelische Theologe. Und Jesus sei nicht gegen die Kommunisten und auch nicht gegen die Muslime. Weiter sagt er mit Blick auf den interreligiösen und interkulturellen Dialog:

„So sehe ich andere Menschen, ob sie Atheisten, Agnostiker oder Buddhisten sind, dass Christus für sie gestorben ist. Daraufhin gehe ich mit ihnen freundlich um und spreche sie darauf an.“

Zum Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft resümiert Moltmann:

„Die religiöse Sprache ist immer symbolisch. Die naturwissenschaftliche Sprache ist die Mathematik.“

Das Problem, dass heute immer weniger Jugendliche für christliche Inhalte ansprechbar seien, sieht er nicht in der symbolhafte Sprache des Glaubens, sondern vielmehr im heutigen Lebensstil vieler junger Menschen. Dazu sagt er:

„Das Problem der heutigen Jugend scheint mir eher, dass sie den Kopfhörer aufhaben und in ihr Handy oder Tablet tippen und ewig unterhalten werden. Das heißt, dass sie kein eigenes Leben führen, sondern dass ihr Leben geführt wird.“

Sinnkrisen, die es in der Menschheitsgeschichte schon immer gegeben habe,  sieht Moltmann als Motor zur Sinnsuche:

„Sinnkrisen sind ein Zeichen für Sinnsuche. Und Sinnsuche ist ein Zeichen, dass ein Sinn des Lebens attraktiv ist und Leute auf die Suche bringt.“

Der Tod ist für den religiösen Menschen dann auch nicht sinnlos, da er anders als im Atheismus nicht das Ende bedeutet, sondern einen Übergang darstelle. Dazu sagt Moltmann:

„Ich mache mir das klar durch den einfachen Satz: Wir werden erwartet.“

Auf die anschließende Nachfrage ‚Von wem?‘ antwortet der Theologe hoffnungsfroh:

„Von Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, und von Jesus Christus, der schon auferstanden ist. Und von denen, die wir sehr herzlich lieben.“

Ohne die Auferstehung Jesu, deren Verständnis Jürgen Moltmann im Interview erklärt, wäre Jesus maximal eine Fußnote in der Geschichte. Auf die kritische Anmerkung, dass heute lebende Menschen selbst nicht überprüfen können, ob die Auferstehung geschehen ist und wir darauf angewiesen sind, dass es berichtet wird, antwortet der 91-jährige:

„Mir genügt das.“

Überdies überzeuge ihn die Auferstehungsgeschichte davon, „dass es einen Anfang im Ende gibt“.

Ein Ende des Christentums in einer immer mehr konsumorientierten Welt, sieht er nicht:

„Das Christusereignis ist stark genug, sich in allen Zeiten zu behaupten.“

Gerade auch, weil  es voller Hoffnung ist. Zum Argument von Friedrich Nietzsche, die Hoffnung sei das übelste aller Übel, weil sie das Leiden ständig verlängere, sagt Moltmann:

„Wer nicht hofft, lebt nicht. Der macht das Leben nur noch mit oder wird gelebt von anderen. Hoffnung auf die Fülle des Lebens steckt in jedem Lebewesen. Alles Lebendige ist ‚ins Gelingen verliebt‘.“

Das komplette, sehr beeindruckende Interview gibt’s unter herder.de