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Gefängnisseelsorger Alexander Glinka: „Gott ist verzeihende, alles tragende Liebe“

In einer Wort-Gottes-Feier am 24. Sonntag im Jahreskreis legte unser geistlicher Begleiter, Gefängnisseelsorger Alexander Glinka, in einer JVA das Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) aus.

 

Seine Predigt leitete er zu Beginn des Gottesdienstes in der JVA mit folgenden Worten ein:

 

Heute Morgen möchte ich Sie etwas fragen: Wenn Sie es sich aussuchen könnten – was wären Sie lieber: Gewinner oder Verlierer? Sicherlich: Alle von uns wollen Gewinner sein. Doch um Gewinner zu sein, muss man arbeiten. Hart arbeiten. Aber auch ehrlich arbeiten! Der Gewinner arbeitet „hart“, um an die Sonnenseite des Lebens zu gelangen. Und dann gibt es Menschen, die scheinbar „ohne harte Arbeit“ dort stehen – sie werden von anderen oft beneidet: „Wie kann er (oder sie) da oben sein?“ – „Der oder die hat doch gar nichts gemacht … und hat jetzt alles!“ Das hat er nicht verdient!

So entsteht Neid, geboren aus dem Gefühl von Ungerechtigkeit. Denn meist vergleichen wir uns mit den Gewinnern. Doch wer von uns vergleicht sich mit den Verlierern? Mit Menschen, die am Boden sind? Mit jenen, die Probleme haben, die sich im wahrsten Sinne des Wortes verloren fühlen? Menschen, die in negativen Gedanken versunken sind, die nicht mehr herausfinden? Niemand möchte mit ihnen tauschen.

Und doch – wenn wir hören, wie jemand „zum Verlierer geworden“ ist, dann sind wir schnell selbstgerecht: „Selbst schuld! Hat er doch verdient. Jeder bekommt, was er verdient.“

Im heutigen Evangelium hören wir eine Geschichte, die dieses Thema aufgreift: Hoch hinausfliegen, sich als Gewinner fühlen – dann tief fallen, fast am Ende sein – und schließlich eine unerwartete Rückkehr ins Leben. Dazu Missgunst, Unverständnis – und über allem: die große Liebe des Vaters.

„Wir sind taub, wir sind stumm, wollen eigene Wege gehen!“ – so singen wir im Lied Kommt herbei, singt dem Herrn… Ja, wir wollen eigene Wege gehen, oft ohne Gott. Wir wollen uns selbst Sinn und Erfüllung geben. Doch Gott wartet in Sehnsucht und Liebe auf uns.

Beginnen wir unseren Gottesdienst mit diesem Lied:

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Anbei die Predigt von Gefängnisseelsorger Alexander Glinka: 

 

Das heutige Evangelium (Lk 15,11-32) trägt den Titel „Das Gleichnis vom verlorenen Sohn“ oder auch „vom barmherzigen Vater“. Heute richte ich das Augenmerk auf den älteren Sohn, von dem Jesus im Gleichnis erzählt.

Wir alle wissen: Gott ist ein liebender und verzeihender Gott. Aber glauben wir es wirklich?

Wer schon einmal Vergebung erfahren hat, weiß, wie befreiend dieses Gefühl ist. Doch es gibt immer auch Stimmen, die kritisieren, wenn anderen Gutes widerfährt: „Wieso geht es dem gut? Er hat doch nur Fehler gemacht – und wird auch noch belohnt!“ Das empfinden wir als ungerecht.

Doch Jesus lenkt unseren Blick auf den älteren Bruder – auf seine Eifersucht, seine Bitterkeit. Dadurch nimmt er uns mitten in die Geschichte hinein.

Wir alle kennen die Sätze unserer Leistungsgesellschaft: Streng dich an! Ohne Fleiß kein Preis. Man erntet, was man sät. Das Gute wird belohnt. Das Böse bestraft.

Doch das Gleichnis will uns nicht etwas über Gerechtigkeit lehren – sondern über Freude am Wiedergefundenen.

Jesus wendet sich den Sündern zu – den Gescheiterten, den Ausgegrenzten. Damals war das ein Skandal. Mit Zöllnern und Dirnen Umgang zu haben, bedeutete, selbst unrein zu werden. Deshalb wurden sie gemieden, ausgegrenzt. Doch bei Jesus erfahren sie: Sie gehören dazu. Sie sind wieder Menschen, Teil der Gemeinschaft. Und nun sind wir gefragt:

Kann ich mich freuen über die Barmherzigkeit Gottes – oder bin ich eifersüchtig, dass er auch die „anderen“ liebt?

Nicht Gerechtigkeit ist das Thema – sondern Liebe. Alles verzeihende, alles tragende Liebe.

Der Vater rennt seinem Sohn entgegen – etwas, das ein reicher Orientale nie tat. In seinen Gewändern läuft er einem heruntergekommenen, stinkenden Sohn entgegen und umarmt ihn. So ist Gott: Er verabscheut die Sünde, aber er liebt den Sünder. Er läuft uns entgegen, sobald wir nur den ersten Schritt zu ihm wagen. Und er verzeiht jedem Menschen – wenn er aufrichtig bereut.

Ein Professor sagte einmal: Wenn Gott der liebende Vater aus diesem Gleichnis ist, dann müssen wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass vielleicht sogar große Verbrecher im Himmel sein könnten – wenn sie wirklich bereuen.

Wie reagieren wir darauf?

„Mein Sohn war verloren und ist wiedergefunden. Er war tot und ist wieder lebendig geworden.“

Können wir diese Freude teilen?

Es ist schwer – doch wer will, der kann.

Amen.

Anbei ein Pop-Song von Joel Brandenstein, der die tiefe Sehnsucht nach Vergebung zum Ausdruck bringt und die Worte von Alexander Glinka nachklingen lässt:

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