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Pater Christoph Kreitmeir: „So heil war die Kirche unserer Kindheit auch nicht“

Seine Auslegung der Sonntagslesung (Gal 6, 14-18) und des Sonntagsevangeliums (Lk 10, 1-9) stellt unser geistlicher Begleiter Pater Christoph Kreitmeir unter den Titel „Faule Nostalgie“.

 

Anbei die Worte seiner Predigt als Audio-Datei und anschließend im Textformat:

 

 

Am Freitagvormittag hatte ich einen Termin in der Innenstadt. Da das Wetter regnerisch war, fuhr ich mit dem Auto und schaltete wie so oft den Radiosender Bayern 2 ein. Und wieder einmal – ich erlebe es wirklich immer wieder – wurde ich durch eine geistreiche Sendung über Nostalgie in der Reihe „Notizbuch“ beschenkt. Ich wollte gar nicht aussteigen, so spannend empfand ich den Beitrag, aber der Termin drängte mich dazu …

Sehr gut ist es, dass Bayern 2 viele seiner Sendungen dann später online zum Nachlesen oder Nachhören anbietet. So auch hier. Nachmittags hörte ich noch einmal in die Sendung rein und recherchierte etwas über den Historiker und Nostalgieforscher Tobias Becker, der sehr interessante Gedanken zu diesem Thema vorbrachte.

Ach ja, früher war alles besser … Alles war noch nicht so kompliziert, so schnell … Und überhaupt …

Neigt der Nostalgiker dazu, die Realität durch eine rosarote Brille zu sehen und die Komplexität der Welt zu vereinfachen? Meistens schon.

Nostalgie wird dann zur wehmütigen Sehnsucht nach Vergangenem, nachvollziehbar, aber nicht realistisch.

Nicht nur in der Gesellschaft, auch in der Kirche kann man solche Gefühls- und Meinungsäußerungen immer wieder und immer mehr hören. Und, wenn ich ehrlich bin, bin ich davor auch nicht gefeit. Je komplizierter alles wird, je mehr auch im früheren Bollwerk Kirche alles, ja wirklich alles in Frage gestellt und zur Disposition steht, sehne ich mich mit ganz vielen anderen zurück nach scheinbar heilen Welten kirchlichen Lebens. Nur, das zeigen uns ja viele heutige Erkenntnisse: So heil war die Kirche unserer Kindheit auch nicht …

Nostalgie wird als rückwärtsgewandt und zukunftsangstbesetzt angesehen … und oft stimmt dies auch. Dieser vermeintliche Lösungsweg ist ein Holzweg.

Der Nostalgieforscher Tobias Becker gibt mir in diesem Dilemma – was bin ich froh, diese Sendung gehört zu haben – aber auch eine andere Sichtweise auf „Nostalgie“, nämlich:

Der kritische Rückblick auf früher kann auch eine Orientierung für das Heute und das unsichere Morgen geben.

Wer sich also reflektiert, kritisch und selbstkritisch auch seiner wehmütigen Sehnsucht gegenüber an Vergangenem orientiert, kann Inspiration finden, seine Visionen und Hoffnungen neu ausrichten, Neues schaffen, sich nicht lähmen lassen und somit seinen Platz im Hier und Jetzt mit Hoffnung auf Zukunft finden.

Für mich spielt dabei ganz wichtig mein persönlicher Glaube an Jesus Christus die entscheidende Rolle. Meine ganz persönliche Beziehung zu ihm.

Im heutigen Evangelium beruft er 72 andere aus dem Kreis seiner Nachfolger und Nachfolgerinnen – also nicht nur die Apostel – , um seine Botschaft in die Ortschaften zu bringen, in die er selbst gehen wollte, in die er selbst gehen will. Dieses Tun ist auf Zukunft ausgerichtet, die Auserwählten sind SEINE Gesandten. Er schickt sie wie Schafe unter die Wölfe, mit leichtem Gepäck und vor allem mit Vertrauen in seinen Beistand. Das gilt auch für heute!

Wer glaubt, dass die Kirche der Vergangenheit es leichter als heute hatte, der malt ein unrealistisches Bild der nostalgischen Verklärung.

Das Eintreten für Jesus forderte zu allen Zeiten die Christen und Christinnen mit Haut und Haar und war nie bequem. Nicht selten kostete es sogar Kopf und Kragen. Wer sich zu allen Zeiten aber darauf einlässt, der erfährt eine innere Bestätigung, einen inneren Sinn und eine Kraft, von der er gar nicht wusste, dass er sie hat.

Dieses „Mehr“ kommt von IHM und ER spricht auch uns Heutigen eine Zukunft zu.

Wer IHM in stürmischen Zeiten vertrauen lernt, der wird nicht nur sein eigenes Leben als sinnvoll und reich empfinden, er wird auch anderen Sinn und Leben geben können. Das wünsche ich Ihnen und das wünsche ich mir.

Amen.