Campino über letzte Umarmung mit seinem Vater: „Ich glaube bei so etwas nicht an Zufälle“

Deutschlands erfolgreichste Punk-Band „Die Toten Hosen“ feiern in diesen Jahr ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum, deren Frontmann Campino feiert am heutigen 22. Juni seinen 60. Geburtstag. Zwei Anlässe für reichlich Interviews in den vergangenen Wochen mit dem Hosen-Sänger, in denen er auch die Dimension Glauben mitunter anklingen ließ.

Im Interview mit der Münchner Abendzeitung sprach Campino Ende Mai über das Energielevel, dass er und seine Band bei ihren Auftritten immer noch abspulen. Mit Blick darauf, dies heute mit Bedacht zu tun, brachte der Sänger auch seine Verbindung zu Gott ins Spiel, in dem er sagte:

„Wenn ich heutzutage wie früher an einer Lichttraverse hochklettern würde und sich die Zuschauer denken ‚Nicht schlecht für einen 60-Jährigen‘, wäre das für mich das Allerschlimmste. Ich bete zu Gott, dass ich live nicht plötzlich dazu in Versuchung gerate.“

 

Dass der Glaube an Gott für ihn von Bedeutung ist, brachte der Sänger in früheren Interviews immer wieder mal bei entsprechender Nachfrage zum Ausdruck (wir berichteten).

So etwa vor über zehn Jahren im Beitrag mit dem Titel Tote Hosen als Vertretungslehrer – Hey, hier kommt Jesus“ im Jugendmagazin Spießer. Damals berichtete Campino, dass er im christlichen Glauben aufwuchs und das Thema Glauben auch heute noch relevant für ihn ist. U. a. sagte er:

„Seit vielen, vielen Jahren beschäftige ich mich schon mit Religion. Mein Vater war Presbyter in der Kirche, und ich saß sonntags immer hinten auf der Holzbank und wollte einfach nur, dass es vorüber geht. Trotzdem hat mich das Thema nie losgelassen.“

Im Oktober 2020 brachte Campino im Interview mit dem Magazin Chrismon abermals zum Ausdruck, dass die Beschäftigung mit Gott in seinem Leben nach wie vor eine Rolle spielt. Nach seiner Vorstellung von Gott gefragt, antwortete der Sänger:

„Da sind diese Momente von Herrlichkeit: Der Blick in den wolkenlosen Himmel, man sieht die Sterne und spürt, wie klein die Dinge sind, die einen stressen, und wie weit das Leben sein kann.“

 

Bereits im Jahr 2001 wurde von Burghard Rausch und Marcus Behrens der Dokumentarfilm „Campino und der liebe Gott“ veröffentlicht, in dem der Punk-Musiker, von seiner Einstellung zum Leben, zur Familie, zum Glauben, zur Kirche und dem Tod erzählt. Schon damals erfuhr der Zuschauer, dass Campino sich regelmäßig in ein Kloster zurückzieht, um zur Ruhe zu kommen und seinen Lebensweg zu überdenken.

Im Chrismon-Interview berichtete Campino im Oktober 2020 diesbezüglich:

„Ich ziehe mich manchmal in ein Kloster zurück, Abt Stefan ist ein Freund von mir.“

Dort beeindrucke ihn eine „unglaubliche Toleranz“, die er erfahre. So stehe es ihm frei am Abendmahl teilzunehmen, obwohl er aus der Kirche ausgetreten ist. Nicht nur dafür zeigt er sich dankbar, denn zudem ist ihm bewusst:

„Ich weiß, dass ich als letzten Zufluchtsort dort immer eine Kammer bekäme. Sobald ich durch die Tore gehe, fällt Druck von mir ab – und ich kann mich konzentrieren, Probleme lösen.“

 

Die Dimension Glauben greift Campino auch in seinen Liedern auf. Dies teils kirchenkritisch, wie im Lied „Paradies“ aus dem Jahr 1996 mit Zeilen wie „Ich will nicht ins Paradies, wenn der Weg dorthin so schwierig ist“ oder im Song „Die Zehn Gebote“, in dem Campino zum Ausdruck bringt, dass ihm ein zwanghafter Glauben verbunden mit einem autoritären und repressiven Gottesbild widerstrebt.

Die Sehnsucht nach einem Leben nach dem Tod und nach Erlösung bringt Campino in Songs wie „Unsterblich“ oder im Erfolgssong „An Tagen wie diesen“ zum Ausdruck.

Der Aspekt, im Glauben an ein Wiedersehen nach dem Tod getragen zu sein, kommt in den Songs „Nur zu Besuch“ (2002) und „Draußen vor der Tür“ (2012) zum Ausdruck, in denen Campino über den Umgang mit dem Tod seiner Eltern singt.

Im Lied „Nur zu Besuch“, das Campino seiner verstorbenen Mutter gewidmet hat, besingt er, dass seine Mutter weggezogen sei. Der Song endet mit einem Ausdruck der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, was Campino wie folgt formuliert: „Und so red‘ ich mit dir wie immer. Und ich verspreche dir. Wir haben irgendwann wieder jede Menge Zeit. Dann werden wir uns wiedersehen. Du kannst dich ja kümmern, wenn du willst, dass die Sonne an diesem Tag auch auf mein Grab scheint.“

Im Lied „Draußen vor der Tür“ für seinen verstorbenen Vater bringt Campino die Hoffnung über den Tod hinaus mit Zeilen wie „Und heute, wo du weit weg bist, kann ich dich langsam so viel besser sehen“ oder „Ich habe kapiert, dass ich dich nie, niemals verlier’“ zum Ausdruck. Besonders eindringlich ist die Szene im Video, in der Campino mit seinem Vater, dem der christliche Glauben sehr wichtig war, am Tisch sitzend zu sehen ist und beide einen Leib Brot brechen. Für Christen ist das Brechen des Brotes im Sonntagsgottesdienst die Vergegenwärtigung des letzten Abendmahls Jesu. In Brot und Wein erfahren Christen die Gegenwart Gottes und seiner Nähe zu den Menschen. Dass diese christliche Symbolik von Bedeutung für diese Szene im Video ist, scheint aufgrund der Einstellung Campions zum Glauben und der Bedeutung des Abendmahls trotz Kirchenaustritt nicht unwahrscheinlich. In jedem Fall singt Campino zu dieser Szene folgende Zeilen:

Man sagt, und ich weiß jetzt dass es stimmt
Dass es viele Freunde doch nur einen Vater gibt
Und heute wo du weit weg bist
Kann ich dich langsam so viel besser sehen

So wie jetzt habe ich dich früher nie vermisst
Schritt für Schritt komm‘ ich zu dir zurück

 

Der Song endet dann mit der hoffnungsvollen und tröstlichen Erkenntnis, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Dazu singt Campino:

Das ist alles so lange her, so unendlich weit weg
Und ich habe kapiert
Dass ich dich nie, niemals verliere
Doch obwohl du mir bleibst, fehlst du mir sehr

 

Über seine Beziehung zu seinem Vater sprach Campino aktuell auch in Interviews mit der überregionalen Tageszeitung Die Welt und dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Im RND-Interview sprach er über seinen Song „Draußen vor der Tür“ und damit verbunden über die letzte Begegnung mit seinem Vater, die er rückblickend mit der Dimension Glauben verbindet.

Diese Begegnung sei wie eine „Verabschiedungsszene“ gewesen. Seinem Vater sei es nicht gut gegangen. Er habe eine „Art Grippe“ gehabt, aber sein Hausarzt habe versichert, dass er wieder gesund werden würde. Am Tag des Besuchs von Campino sei sein Vater alleine zuhause gewesen, weil die Mutter bei Freunden war. Campino schilderte:

„An diesem Tag hat er mich sehr lange und innig umarmt. Intuitiv. Wir hatten so eine Umarmung lange Zeit nicht mehr. Ich habe sie nicht nur über mich ergehen lassen, sondern es fühlte sich in diesem Moment einfach richtig an.“

Einen Tag später sei sein Vater verstorben. Dazu teilte Campino die Erfahrung mit:

„Ich glaube bei so etwas nicht an Zufälle. Diese letzte Umarmung war ein Abschied. Vielleicht wussten wir es beide nicht, aber es war gut.“

Quellen: abendzeitung-muenchen.de, rp-online.de, spiegel.de, chrismon.evangelisch.de, medienzentralen.de, welt.de, rnd.de

Anbei der Song „Draußen vor der Tür“ mit der beschriebenen Szene des Brotbrechens, in dem Campino über die Beziehung zu seinem verstorbenen Vater singt: