Foto: privat

Diakon Anselm Blumberg: „Der Gekreuzigte ist uns nah in der größten Not“

Zum Fest der Kreuzerhöhung unternahm Diakon Dr. Anselm Blumberg, der promovierter Theologe und ausgebildeter Fernsehredakteur ist, mit einer Pilgergruppe im Bistum Eichstätt eine Fußwallfahrt zur Wallfahrtskirche Heilig Kreuz in Bergen bei Neuburg an der Donau. Dort hielt er eine Predigt zum Evangelium Joh 3, 13-17, in der er das, was am Kreuz für uns Menschen geschehen ist anhand einer besonderen Glaubenserfahrung greifbar schilderte.

 

Fußwallfahrt mit Regenbogen, dem Zeichen des Bundes Gottes mit uns Menschen.

 

 

Anbei die Worte der Predigt von Diakon Dr. Anselm Blumberg zu Joh 3, 13-17:

 

Es war vor einigen Jahren auf dem Neujahrsempfang des Diözesanrates des
Bistums Eichstätt. Dort führte der Journalist Erik Händeler unter den Ehrengästen eine Umfrage durch:

„Was ist für Sie der Kern des Evangeliums, also der Frohen Botschaft?“

Er bekam viele gute Antworten. Erstaunlicherweise haben sich diese Antworten aber alle voneinander unterschieden. Jeder der Befragten hat einen anderen Aspekt des christlichen Glaubens als die
Frohe Botschaft ausfindig gemacht. An diese Umfrage des Journalisten muss ich denken, wenn ich unser heutiges Evangelium lese. Denn das heutige Evangelium beinhaltet in meinen Augen die ganze frohe Botschaft des Christentums: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“

Diese frohe Botschaft gilt für alle Menschen. Jesus ist der Erlöser aller Menschen.

Diese wunderbare Wahrheit der universellen Liebe Gottes, birgt für uns Menschen allerdings eine Gefahr: dass wir sie zu wenig auf uns persönlich beziehen.

Ich lade euch daher ein, dieses „Evangelium im Evangelium“, wie der heutige Abschnitt auch genannt wird, einmal auf Euch persönlich zu beziehen: Dann lautet der Satz so:

„Gott hat dich so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für dich hingab, damit du, der an ihn glaubt, nicht verloren gehst, sondern ewiges Leben hast.“

Diese Wahrheit der Liebe Gottes ist so tief und ist so unermesslich, dass wir sie jeden Tag neu bedenken dürfen. Diese beglückende Botschaft der unfassbaren Liebe des Vaters, der seinen Sohn dahin gab, um uns zu erlösen, ist so groß, dass wir sie nie ganz begreifen werden.

 

Foto: Clara Blumberg

 

Ein Bekannter von mir hat im Jahr 2014 eine Erfahrung gemacht, die ihn unmittelbar unter das Kreuz Jesu geführt hat. Dort konnte er die Liebe des Erlösers ganz neu erfahren, und sie rutschte ihm vom Kopf in das Herz. Mein Bekannter, er heißt Markus, begleitete seinen Vater im Sterbeprozess. Einige Wochen vor seinem Heimgang erhielt er die Todesdiagnose im Klinikum in Jena. In der ostdeutschen Einrichtung hängen an den Wänden keine Kreuze. Aber Markus Vater hatte sein eigenes Kreuz dabei. Immer wieder sah er dort auf Jesus am Kreuz.

Der leidende Herr war sein Bezugspunkt und Lichtblick in dieser Zeit.

Weil es keine Chance auf Heilung gab, wurde Markus Vater nach Hause entlassen, um im Kreis der Familie in den eigenen vier Wänden sterben zu können. Auch dort war Jesus am Kreuz der große Trost für den Vater. Er fragte seinen Sohn: „Markus, weißt du, warum Jesus am Kreuz gestorben ist?“

Sein Sohn gab ihm die Antwort, die er im Religionsunterricht gelernt hatte. Er sagte: „Ja, Papa! Jesus ist für die Sünden der Welt gestorben und durch das Leid gegangen.“ Darauf antwortete ihm der Vater mit Tränen in den Augen: „Mein Junge, das ist eine gute Antwort! Aber du hast ja keine Ahnung! Markus, ich weiß: das hat er für mich gemacht!“

Diese Worte „das hat er für mich gemacht“ fielen meinem Bekannten tief ins Herz. In diesem Moment wurde Markus bewusst, was vorher für ihn nur graue Theorie war. Für seinen Vater hat Jesus am Kreuz gelitten. Markus erlebte, wie sein Vater in den dunkelsten Stunden seines Lebens in einer innige Beziehung zu Jesus stand. Markus konnte spüren, dass sein Vater auf seinem Sterbebett mit großer Dankbarkeit und Liebe zu Jesus am Kreuz erfüllt war.

Der leidende Jesus wurde zu seinem Intimfreund.

Während Markus dies immer tiefer Verstand, umarmte er seinen Vater, und sein Vater umarmte ihn.

Ja, liebe Schwestern und Brüder, diese Erfahrung meines Bekannten, die er vor elf Jahren gemacht hat, ist eine Erfahrung, die sich durch die Geschichte des Christentums zieht:

Der Gekreuzigte ist uns nah in der größten Not, und Jesus am Kreuz schenkt uns überwältigende Nähe und Wärme.

Wie sonst könnte man erklären, dass der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis der Gestapo in Berlin den Schutz und die Nähe Gottes empfinden konnte. 1944 schrieb er an seine Verlobte seinen berühmten Weihnachtsgruß:

„Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Jesus am Kreuz, liebe Schwestern und Brüder, ist für die bedrängten und gläubigen Seelen Trost und Kraft in ihrer Not. Und zugleich ist Jesus am Kreuz vielen ein Dorn im Auge.

Nicht nur zur Zeit der Nationalsozialisten war das so! Auch in unseren Tagen erleben wir immer wieder, wie sich Widerstand gegen das Kreuz Christi in der Öffentlichkeit regt.

Bis 1995 war es in Bayern noch Pflicht, in jedem Klassenzimmer ein blankes Kreuz oder ein Kruzifix mit der Darstellung Jesu am Kreuz anzubringen. Das Bundesverfassungsgericht hat am 1995 der Klage von Eltern stattgegeben und entschieden: Das Zeichen des Kreuzes in Schulräumen verstößt gegen die Religionsfreiheit. Auch im Jahr 2018 haben wir erleben müssen, dass die Kreuzpflicht in bayerischen Behörden herben Gegenwind erntete. Ausgerechnet Kirchenvertreter waren unter den Kritiken, die dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder den Vorwurf machten: Er wolle das Kreuz politisch instrumentalisieren. Erschütternd sind auch immer wieder die Berichte davon, dass Gipfelkreuze oder Wegkreuze besprüht oder beschädigt werden. So erfährt das Symbol für Solidarität und Güte einen Schwall des Hasses und der Intoleranz.

Liebe Schwestern und Brüder,

Am Ende dieser Predigt über das Kreuz und den Gekreuzigten möchte ich mit euch unter das Kreuz blicken. Dort steht Maria, die Mutter des Herrn. In den letzten Stunden seines Lebens hat Jesus seinen geliebten Apostel ihr anvertraut. Damit hat Jesus die ganze Menschheit seiner Mutter anvertraut, der Mutter der Schmerzen.

Unter dem Kreuz, als Jesus starb, wurde Maria erneut Mutter, die Mutter aller Menschen.

Lassen wir uns von Maria immer wieder zu ihrem Sohn am Kreuz führen, besonders dann, wenn wir durch eine Zeit der Not gehen. Lassen wir uns dort unter dem Kreuz von Jesus zusprechen: Siehe, deine Mutter. Amen.

Anbei der Text von Dietrich Bonhoeffer „Von guten Mächten“ einer Vertonung von Liedermacher Sigfried Fietz:

HIER