Foto: facebook.com/rainer.maria.schiessler (mit freundlicher Genehmigung von Pfarrer Rainer Maria Schießler)

Pfarrer Schießler über die Ambivalenz von Tradition und Evangelium – Gott die Zügel überlassen

Mit einem Blick auf die zweite Sonntagslesung Apg 10,34-38 verweist Pfarrer Rainer Maria Schießler in seinem aktuellen Facebook-Impuls auf die Ambivalenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit kirchlichen Handelns.

 

Hier (mit freundlicher Genehmigung) der Impuls, den Pfarrer Schießler heute auf seine Facebook-Seite gestellt hat:

 

Zum Fest Taufe des Herrn (Apg 10,34): „Gott sieht nicht auf die Person …“

… sagt der Apostel Petrus zum Heiden Kornelius – w i r schon! Das gilt auch für die Kirche; sie betreibt sogar ein sehr straffes System, Hierarchie genannt, das die Rangordnung von oben nach unten klar und eindeutig beschreibt. Wir tun uns mit der Wahrheit und dem Anspruch des Evangeliums immer dann schwer, wenn beide uns zu nahe auf den Leib rücken und Konsequenzen gefordert sind.

Die Kirche verkündet das Evangelium Jesu ohne Zweifel unverfälscht – trotz ihrer wechselvollen Geschichte –, hat aber immer wieder auch Angst vor dieser Frohen Botschaft und würde sie am liebsten in lehramtliche Tresore einschließen.

Wenn dann so entscheidende Aussagen wie die eines Petrus heute fallen, entstehen gerne alte und neue Ausflüchte, um ja die Kontrolle nicht zu verlieren, anstatt wirklich Gott alles zu überlassen. Der Tenor der Heiligen Schrift aber ist unmissverständlich: Eine Religion, die mit Druck und Ängsten arbeitet und deren Liste der Kirchenstrafen weit umfangreicher ist als die Seligpreisungen der Bergpredigt, gerät unweigerlich in große Gefahr, die Kennzeichen einer Billigreligion an sich zu tragen.

Eine wahre Religion nämlich überlässt Gott die Zügel und handelt damit nach dem Wort Jesu: „Sorgt euch nicht ängstlich um morgen …“.

Ungeheuer viel Zeit wird da in Sitzungen und Tagungen verbraucht, um das „Morgen zu gestalten“, wie es dann oft pseudoreligiös heißt: Das Jetzt, das Heute aber wird darüber leicht vergessen; vor allem aber wird der Mensch vergessen.

Die Kirche hat die Leute darum nicht zu „verkirchlichen“, sondern sie zu Christen zu machen und darauf zu achten, dass das Evangelium nicht nur bloßes Papier bleibt.

Die Erfolgsquote von Kirche und Religion misst sich allein in menschlicher Zuwendung und gegenseitigem Verständnis, Aussöhnung und Vergebung, Offenheit, Toleranz und Akzeptanz gegenüber Andersdenkenden und Andersglaubenden – auch innerhalb der eigenen Reihen.

Amen!

 

Anbei unser Video-Clip zum Interview von Pfarrer Schießler mit Begegnung & Gespräch über Gott, der zwingt, sondern begeistert: