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Pater Christoph Kreitmeir: „Gewohnheiten sind auch im religiösen Bereich wichtig“

Seine Auslegung zur Sonntagslesung (1 Kor 12,12-14.27) und zum Sonntagsevangelium (Lk 1, 1-4; 4, 14-21) stellt unser geistlicher Begleiter Pater Christoph Kreitmeir unter die Überschrift „wie gewohnt …“. Mit Bezug auf den Bestseller „Unter Heiden – Warum ich trotzdem Christ bin“ von Tobias Haberl beschreibt Pater Kreitmeir die Bedeutung von Gewohnheiten für unseren Glauben wie für das Leben im Allgemeinen.

 

Anbei die Worte seiner Predigt als Audio-Datei und anschließend im Text-Format:

 

 

Jesus kommt in seine Heimatstadt Nazaret. Er geht am Sabbat in die Synagoge – und das Evangelium fügt es ausdrücklich hinzu – wie er es von früher gewohnt war, als er dort lange lebte.

Dieses „wie gewohnt“ hat es mir heute angetan. Damit möchte ich mich beschäftigen.

Stellen Sie sich bitte einmal vor: Sie hätten nicht Ihren gewohnten Tagesablauf, Sie müssten jeden Morgen beim Aufstehen neu überlegen: Wie fange ich heute an?

Oder: Sie hätten nicht die gewohnten Grußformeln zur Hand, Sie müssten bei jeder Begegnung neu überlegen: Wie fange ich jetzt ein Gespräch an? Und stellen Sie sich bitte vor: Sie müssten sich jedes Mal beim Autofahren fragen: Welchen Handgriff muss ich jetzt tun, damit mein Auto fährt?

Das wäre nicht nur umständlich, sondern wahrscheinlich sogar gefährlich, weil nicht mehr routiniert. Diese Beispiele zeigen:

Gewohnheiten können entlasten.

Gewohnheiten können wie ein Geländer sein, an dem ich mich festhalte. Gewohnheiten können Menschen verbinden, die unterschiedlich denken und fühlen. Gewohnheiten geben Sicherheit.

Gewohnheiten machen handlungsfähig.

Sie erleichtern den Einstieg in den Tag, in ein Gespräch. Sie bringen etwas in Gang und regeln den Ablauf.

Und: Gewohnheiten sind auch im religiösen Bereich wichtig.

Wenn wir uns nicht angewöhnen, Gebete an Gott zu richten oder in eine heilige Messe und da vor allem in die Sonntagsmesse zu gehen, dann wird das immer weniger werden, einschlafen und irgendwann gar nicht mehr stattfinden.

Und genau das geschieht vielhunderttausendfach in unserem Land. Wenn jemand in seinem Glauben erzogen, in den Glaubensvollzügen aufgewachsen und hineingewachsen ist, wenn er dann aber im Laufe seines weiteren Lebens sich davon verabschiedet, wird der Glaube nicht nur lau und schwach, er wird höchst anfällig, ganz zu verkümmern und zu sterben. Und dann kommen die verschiedenen Formen des Aberglaubens oder das große leere Nichts.

Seit vielen Wochen ist das Buch „Unter Heiden – Warum ich trotzdem Christ bin“ von Tobias Haberl auf der Bestsellerliste. Das ist in unserer höchst kirchenkritischen Zeit wirklich erstaunlich. Tobias Haberl arbeitet als Journalist beim Süddeutsche Zeitungs Magazin und brachte durch einen gleichnamigen Artikel dort den Stein ins Rollen. Unzählige Menschen, die meisten wohl auch Christen, fühlten sich von dem, was er dort schreibt, verstanden.

Wie bei so vielen schlief auch sein Glaube für lange Zeit ein, aber je älter er wurde (er ist 49 Jahre alt), desto mehr vermisste er das, was er während seines Erwachsenwerdens im Bayerischen Wald bezüglich seines Glaubens erlebte. Er beschreibt es sinngemäß so: Mein Leben hatte Sinn und Rhythmus, einen Sockel und ein Dach … Dieser Rhythmus hielt lange an bis dann irgendwann meine Kinderwelt erste Risse bekam … Dann folgten Jahre, wo ich Gott vernachlässigte, aber nie vergaß. Zweifel an der Kirche, an Gott selbst … Die Loslösung von den Eltern brachte eine Distanzierung vom Glauben mit sich …  (vgl. Tobias Haberl, Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bin, München 2024, 108-110).

 

Zurück zu JESUS.

Wir haben im Evangelium gerade gehört, dass er „wie gewohnt“ in seiner Heimatstadt in die Synagoge ging. Jesus war also kein „lauer“, sondern ein frommer Jude. Das Evangelium schweigt über die Kindheit Jesu. Wir erfahren nichts darüber, wie Jesus von Maria und Josef erzogen wurde, wie sie mit ihm gebetet haben, wie sie mit ihm zum Gottesdienst gegangen sind.

Wir dürfen aber vermuten, dass sie es genauso gemacht haben, wie es Eltern auch heute unter wirklich erschwerten Bedingungen tun.

Eltern halten ihren Kindern keine theologischen Vorlesungen. Sie vermitteln ihnen mit ihrem Vorbild den Glauben mit genauso viel Geduld und in genauso unendlich vielen Übungsschritten, wie sie ihnen das Gehen beibringen.

Wenn Eltern still werden und ein Gebet sprechen, dann spüren schon die kleinsten Kinder: Meine Eltern wenden sich an jemanden, den sie nicht sehen und der doch beschützend da ist.

Wenn Eltern bei Abendritualen, z.B. einem Segen durch ein Kreuzzeichen auf die Stirn, den Kindern Geborgenheit schenken, lernen die Kinder: Gott ist jemand, der anwesend ist und es gut mit mir meint.

Wenn Eltern am Sonntag den Gottesdienst mitfeiern, spüren die Kinder: Meinen Eltern ist das so wichtig, dass sie dafür Zeit opfern, sogar am Ruhetag, am Sonntag.

In dem Büchlein „Der kleine Prinz“ heißt es: „Es muss feste Bräuche geben“. Auf die Frage, was das denn sei, lautet die Antwort: „Auch etwas in Vergessenheit Geratenes. Es ist das, was einen Tag vom anderen unterscheidet, eine Stunde von den anderen Stunden“.

Kinder lieben und brauchen gute Gewohnheiten, feste Bräuche und verlässliche Rituale. Und Eltern und Großeltern geben den Glauben in vielen solchen kleinen Gesten an ihre Kinder weiter. Das war zu Jesu Zeiten nicht anders als heute.

Und vielleicht geschieht es dann so, wie Tobias Haberl sinngemäß erwähnt und Zigtausende es ihm nachfühlen können: Mein Glaube macht heute mein Leben wieder sinnlicher, verleiht ihm Beständigkeit und einen letzten Grund, für den es sich zu leben lohnt … Ich werde gelassener, bin weniger streng mit mir und anderen, gehe wieder in die Messe und besuche die Toten … Wenn ich nicht an Gott glauben könnte, hätte ich große Angst vor der Zukunft in einer immer unmenschlicher werdenden Welt … (vgl. ebd., 110-113).

Ich bin über 10 Jahre älter als Herr Haberl, aber mir geht es genauso. Ich bin meinen Eltern und meinem Orden sehr dankbar für das Gerüst, das sie mir mitgegeben haben, um all das, was auch in meinem Leben auf mich einströmt, in einen sinnstiftenden, ermutigenden, angstbefreienden und gläubigen Rahmen einzuordnen. Und dazu gehört ganz wichtig dazu, „wie gewohnt“, seinen Glauben immer wieder neu einzuüben, zu pflegen und stetig zu ergänzen. Denn, man kann darin „wohnen“ lernen. Amen.

Hinweise:

  • Mehr Infos zum Buch „Unter Heiden“ von Tobias Haber, auf das Pater Kreitmeir in seiner Predigt eingegangen ist, gibt es:

HIER

  • Mehr geistliche Impulse von Pater Christoph Kreitmeir gibt es:

HIER

Zur Predigt von Pater Kreitmeir passender Impuls von Pater Anselm Grün am 26.01.2025 auf Instagram:

 

 

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