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Pater Christoph Kreitmeir: „Sehnsucht ist der Stoff, aus dem unsere Seele gemacht ist“

In seiner Auslegung zur heutigen Sonntagslesung (Dtn 6, 2-6) und zum Sonntagsevangelium (Mk 12, 28-34) geht unser geistlicher Begleiter Pater Christoph Kreitmeir auf das biblische Doppelgebot der Liebe ein. Dabei zeigt er auf, wie dieses in zeitgenössischen Liedern und Popsongs zum Ausdruck kommt.

Hier die Worte seiner Predigt als Audio-Datei und anschließend im Textformat:

 

 

„Höre, Israel!“ – so hörten wir in der heutigen Lesung. Dieses „Schma Jisrael“ ist der älteste Ausdruck jüdischen Selbstverständnisses und beinhaltet die Einheit und Einzigkeit Gottes sowie mehrere zentrale Gebote des Judentums. Das „Sch“ vom „Schma Jisrael“ hängt auch als Buchstabe an der Eingangstür zu der Wohnung eines gläubigen Juden – bis heute.

„Höre, Israel!“ – Der Glaube kommt vom Hören …

Geht es Ihnen manchmal als religiös-spiritueller Mensch auch so, dass Sie im Radio ein Liebeslied hören und sich dabei denken: Wen besingt er oder sie da? Die Liebe zu einem Menschen oder die Liebe zu Gott?

Kennen Sie soetwas? Ich schon.

Wenn man diesem Gedanken nachgeht, dann findet man wirklich viele Lieder, die man auf diese doppelte Weise hören kann.

Im schon etwas älteren Schlager „Ein Schiff wird kommen“ z. B. gesungen von Catherina Valente singt das Mädchen aus Piräus, das Abend für Abend im Hafen am Kai steht, im Refrain:

„Ein Schiff wird kommen, und das bringt mir den einen
Den ich so lieb‘ wie keinen, und der mich glücklich macht.
Ein Schiff wird kommen und meinen Traum erfüllen
Und meine Sehnsucht stillen, die Sehnsucht mancher Nacht.“

Das Mädchen, das am Hafen voller Sehnsucht auf den Geliebten wartet, steht für uns alle und unsere Seelen.

Sehnsucht ist der Stoff, aus dem unsere Seele gemacht ist.

Hinter aller Fassade verbirgt sich in uns allen die Sehnsucht nach Lieben und Geliebtwerden. Das alte Kirchenlied „Es kommt ein Schiff geladen …“ z. B. sieht im menschgewordenen Sohn Gottes den Geliebten, der uns glücklich macht, bei dem wir Geborgenheit und Angenommensein spüren dürfen.

Und in einem modernen Lied „Ja“ der Band Silbermond heißt es z.B.: „Ja, ich atme dich – ja, ich brenn für dich – ja, ich liebe dich!“ Von etwas, von jemandem, von Gott so erfüllt sein, für ihn brennen, ihn lieben …

Da haben wir es wieder: Eine verdeckt religiöse Sprache in einem Liebeslied begegnet uns immer wieder.

Dieses Verschmelzen von Gottesliebe und Menschenliebe ist ja auch der Inhalt des heutigen Evangeliums und das ist kein Zufall. Liebe will besungen werden, Liebe zu Gott UND Liebe zu einem Menschen.

Jesus besingt gleichsam heute die LIEBE als das Grundgebot eines gläubigen Juden und bezieht sich dabei eindeutig auf die Stelle, die wir in der Lesung aus dem Buch Deuteronomium gehört haben: „Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“ Jesus fasst das alles pointiert zusammen in diese genialen Worte, die mittlerweile wohl fast jeder Mensch auf der Welt kennt. Sie sind die Grundformel eines gelingenden Lebens: „Liebe Gott aus ganzem Herzen, mit ganzer Seele und all deiner Kraft und deinen Nächsten wie dich selbst.“

Gottesliebe – Nächstenliebe –  Selbstliebe.

Liebe beinhaltet Wertschätzung und Achtung seiner selbst, des anderen und vor allem von Gott.

Liebe ist schöpferisch, phantasievoll und aufbauend. Liebende Menschen fühlen sich von Gott getragen – sie können dadurch Vieles, auch Schweres ganz anders tragen und ertragen.

Nur ein Mensch, der sich selbst geliebt fühlt und selbst liebt, ist wirklich lebendig.

Wie traurig und vom Leben abgeschnitten ist ein Mensch, der aus irgendeinem Grund nicht (mehr) lieben kann?

„Du wärmst mich auf, mit deinem Wesen
Und lässt nicht einen Zentimeter unverschont
Du flutest alle meine Decks mit Hoffnung
Auf ein echtes Leben, vor dem Tod

Und ja ich atme dich
Ja ich brenn‘ für dich
Und ja ich leb‘ für dich,
Jeden Tag
Und ja du spiegelst mich
Und ja ich schwör‘ auf dich und jede meiner Fasern
Sagt ja.“

(SILBERMOND, JA – https://www.songtexte.de/songtexte/silbermond-ja-8240658.html )

Manchmal ist es wirklich nicht mehr zu unterscheiden, ob jemand über seine Liebe zu einem geliebten Menschen oder zu Gott singt – und das ist gut so, denn „böse Menschen haben keine Lieder, wo man singt, da lass dich nieder“ (Johann Gottfried Seume).

Amen.

 

Anbei der von Pater Christoph Kreitmeir beschriebene Silbermond-Song „Ja“:

 

 

Hier ein weiterer Song, in dem ein Verschmelzen von Gottesliebe und Menschenliebe herauszuhören ist: