Pater Dr. Peter Uzor: „Der verlorene Sohn reift an seinem Scheitern“
Seine Auslegung des Sonntagsevangeliums (Lk 15,1-3.11-32) stellt unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor das „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ unter die Überschrift „Vom Gott, der uns Mut macht zu leben“. Dazu beschreibt Pater Peter verschiedene Akzente dieses Gleichnisses.
Anbei die Worte seiner Predigt:
Das Gleichnis im heutigen Sonntagsevangelium gehört sicherlich zu den eindringlichsten und bewegendsten Erzählungen des Neuen Testaments. Nicht zuletzt die verschiedenen Titel, unter denen dieses Gleichnis in den letzten Jahren aufgeführt wurde, zeigen, wie populär diese Geschichte ist. Anhand der unterschiedlichen Titel wird aber auch ein kleines Stück biblischer Auslegungsgeschichte deutlich: Mit jeder neuen Überschrift zeigt sich nämlich eine Akzentverschiebung im Verständnis des Gleichnisses, bei dem es um Versöhnung geht. Man könnte dieses Gleichnis auch das Gleichnis von den zwei unterschiedlichen Söhnen nennen, denn die Söhne verkörpern zwei Lebenswege, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Der „verlorene“ Sohn beginnt sein Leben zu verstehen
Der „verlorene“ Sohn lebt sein Leben in vollen Zügen. Er besteht auf sein Erbe und verlässt die Heimat, um auf sich gestellt sein eigenes Leben zu leben. Dabei scheitert er auf ganzer Linie. Aber dieses Scheitern löst bei ihm einen intensiven Prozess des Nachdenkens aus. Er beginnt zu verstehen, wie gut er es zu Hause hatte, er begreift, dass er Fehler gemacht hat, er bereut und geht in sich. Und so ereignet sich in ihm ein Prozess des Erkennens und Begreifens. Er beginnt zu verstehen, welchen Sinn das Leben hat und dass man es nicht sinnlos verschleudern darf und so schlägt er allmählich aber entschieden den Weg der Umkehr ein. Geläutert kehrt er zum Vater zurück und macht die befreiende Erfahrung, dass er nicht verurteilt, sondern trotz seines Scheiterns wieder aufgenommen wird. Ja mehr noch, er wird wieder in seine Rechte als Sohn eingesetzt und bekommt so eine zweite Chance.
Vom „verlorenen“ Sohn können wir lernen
In diesem Sohn dürfen wir uns wiedererkennen, wenn wir vom Leben lernen, wenn wir die harten Seiten des Leben zu spüren bekommen und dabei mit unserem Scheitern und Versagen konfrontiert werden. Wir können von ihm lernen, dass das Leben nicht immer geradlinig verläuft, sondern dass es Wegstrecken geben kann, auf denen wir ins Abseits geraten, Schuld auf uns laden und Fehler machen. Schließlich können wir von ihm lernen, dann nicht aufzugeben, sondern in uns zu gehen, unsere Schuld zu erkennen und aus ihr zu lernen für einen neuen Weg der Umkehr.
Der verlorene Sohn reift an seinem Scheitern.
Er reift an seinem Leben, in dem es Umwege und Brüche gibt. Und so kehrt er als gereifte Person zu seinem Vater zurück, der ihn wieder aufnimmt und ihm so den guten Hintergrund für seinen Lernprozess ermöglicht.
Dem anderen Sohn fehlt der Mut zum Leben
Der daheimgebliebene Sohn macht einen verbitterten Eindruck. Vordergründig hat er alles richtig gemacht. Er ist zu Hause geblieben und hat sich der täglichen Arbeit gestellt. Er hat gemacht, was man von ihm erwartet hat, seine Pflicht getan und sein Leben im Gehorsam gelebt. Aber er ist dabei nicht glücklich geworden. Sein Herz ist hart und unversöhnlich, nicht nur gegenüber seinem Bruder, sondern auch gegenüber sich selbst. Vielleicht trauert er insgeheim darüber, dass er sein Leben nicht gelebt hat, sondern immer nur das getan hat, was man von ihm erwartet hat. Er hat seine Pflicht getan und dabei seine Sehnsüchte und Bedürfnisse unterdrückt. Vielleicht beneidet er seinen Bruder insgeheim, weil dieser den Mut hatte, der ihm gefehlt hat. Vielleicht hätte er auch gerne so gelebt und die schönen Seiten des Lebens kennengelernt. So ist er der Daheimgebliebene, der Sitzengebliebene geworden, der das Leben mit seinem Auf und Ab und seinen Lektionen nicht erfahren hat. Das macht ihn schließlich bitter und traurig.
Ungelebtes Leben macht unglücklich
Ungelebtes Leben macht traurig. Erfahrungen, die man sich verwehrt hat, Chancen, die man nicht ergriffen hat, Gelegenheiten und Möglichkeiten, die man nicht wahrgenommen hat – all das kann dazu führen, dass man bitter und unglücklich wird. Immer nur die Pflicht zu tun, immer nur das zu tun, was andere von einem erwarten, kann dazu führen, dass man das eigene Leben nicht lebt, dass man notwendige Erfahrungen nicht macht und dass man schließlich nicht am Leben reift und erwachsen wird. Das Leben ist eben nicht nur Pflicht und Gehorsam, es verlangt auch eigene Entscheidungen, inklusive eigener Fehlentscheidungen, aus denen man schließlich lernt und an denen man reift.
Der Vater bietet den Raum zum Leben
Die beiden unterschiedlichen Lebenswege der Söhne ereignen sich vor dem Hintergrund der Liebe ihres Vaters. Der Vater bereitet sozusagen den Boden mit seiner Güte, seinem Verständnis und seiner Barmherzigkeit. Damit eröffnet er einen Raum, in dem Leben sich ereignen kann. Er lässt es zu, dass der „verlorene“ Sohn seine Erfahrungen macht und stellt dabei die Liebe zu ihm niemals in Frage. Dieser feste Boden ist der Grund dafür, dass der „verlorene“ Sohn zur Einsicht kommen kann.
Die Güte des Vaters ist das feste Fundament seines Lebens, auf dem er seine Erfahrungen machen kann. Der „verlorene“ Sohn erkennt diese Liebe des Vaters erst durch seinen Weg des Scheiterns hindurch.
Er lernt seinen Vater erst richtig kennen, nachdem er sich zur Umkehr entschlossen hat. Sein Umkehrprozess ermöglicht eine neue und vertiefte Beziehung zu seinem Vater. Der andere Sohn hat seinen Vater nie wirklich kennengelernt. Er ist ihm gehorsam, ja. Er tut, was der Vater von ihm verlangt. Er macht seine Arbeit, erfüllt seine Pflicht. Aber er erfährt die Güte und Liebe des Vaters nicht so tief und umfassend wie sein Bruder. So bleibt eine gewisse Distanz zum Vater, die schließlich am Schluss zu seinem verhärteten Unverständnis seinem Bruder gegenüber führt.
Das Gleichnis macht uns Mut zum Leben
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn konfrontiert uns mit unserem eigenen Leben und es stellt uns die Frage, wie wir unser Leben verstehen können. Es macht uns Mut, unser Scheitern und Versagen tiefer zu verstehen und als Chance zum Wachstum und zum Reifen zu begreifen. Das Gleichnis lässt uns schließlich Gott tiefer erkennen als den guten und barmherzigen Vater, der uns Raum zum Leben schenkt und uns dabei seine unendliche Liebe niemals entzieht.
Die Liebe Gottes ist das Fundament, auf dem wir leben dürfen und sie schenkt uns die Freiheit, das Leben anzunehmen mit all seinen Herausforderungen und Chancen.
Wir hören dieses Gleichnis gerade in der Fastenzeit. Denn es gibt noch einen zweiten Schwerpunkt in diesem Gleichnis: Umkehr ist immer möglich. Mag schon sein, dass sich irgendjemand vom Vater losgesagt hat und in der Ferne sein Heil sucht. Mag schon sein, dass es Menschen gibt, die sich von Gott entfernt haben und ein Leben ohne ihn führen. Aber all dem wohnt letztlich keine Endgültigkeit inne.
Die Chance, zum Vater zurückzukehren, steht jedem offen.
Und er, der Vater, wird niemandem einen Vorwurf machen, warum die Beziehung vorschnell gekappt wurde. Umkehr ist immer möglich, weil Gott sich über jeden freut, der wieder den Weg zurück zu ihm findet.
Ein erfülltes Leben in der Nähe Gottes finden – dazu sind wir aufgerufen. Das zu tun ist unsere Aufgabe als Christinnen und Christen, heute und an allen Tagen dieser Welt. Amen.