Pater Dr. Peter Uzor: „Vergeben braucht einen Mantel aus Liebe“
Im Interview mit uns sprach der Kabarettist Wolfgang Krebs aktuell darüber, was Christ-Sein für ihn bedeutet. Dabei teilte er u.a. mit, dass ihn unser geistlicher Begleiter Pater Christoph Kreitmeir in seinem Verständnis vom Christ-Sein inspiriert hat und dass es für ihn darum gehe als Christenmensch, den Hass in der Gesellschaft abzubauen.
Dazu passend beschreibt unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor in seiner Auslegung zum heutigen Sonntagsevangelium (Mt 18,21-35), was Vergebung aus christlicher Perspektive bedeutet.
Seine Predigt einleitend gibt Pater Peter zu bedenken:
„‚Rache ist süß‘ – so lautet eine britische Serie, in der vier Schülerinnen dem Mobbing an ihrer Schule entgegenwirken wollen. Die Idee ist lobenswert, aber sie hat Tote zur Folge. Vergebung statt Rache, Gemeinschaft statt Vereinzelung, Leben statt Tod – das entspricht dem christlichen Glauben und gehört zugleich zu den größten und schwierigsten Aufgaben, denen wir uns täglich stellen müssen.“
Anbei die Worte seiner Predigt zu Mt 18,21-35:
Petrus ist bereits der Sprecher der Gruppe der Jüngerinnen und Jünger, er fragt stellvertretend für die ganze Gemeinde, für die Christinnen und Christen: „Wie oft muss ich meinem Bruder, meiner Schwester vergeben, wenn er oder sie gegen mich sündigt? Bis zu siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Ich sage dir nicht. Bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal.“ Das sind große Worte Jesu.
Vielleicht haben Sie auch schon unter diesen Sätzen gelitten, weil sie einen so hohen Anspruch deutlich machen, der unerreichbar scheint, wenn sich Streit und Missverstehen in Beziehungen, in Freundschaften, in Familien festgesetzt haben und unüberwindbar scheinen.
Vielleicht haben Sie diese Verse auch schon gehört, wenn es darum geht, dass der eine Partner dem anderen schon wieder und immer wieder vergeben sollte, ohne dass sich etwas ändert, ohne dass auch der andere Partner in Bewegung kommt und neues Verhalten zeigt.
„Dem Chef, der rücksichtslos fordert; der Nachbarin, die den Hund mehr liebt als ihre Kinder; dem Politiker, der arrogant antwortet; der Kollegin, die unangenehme Arbeiten abwälzt … dem Geschäftspartner, der nicht aufrichtig handelt; dem Rentner, der sich beim Einkaufen vordrängelt; dem Autofahrer, der riskant überholt; dem Arzt, der sich zu wenig Zeit nimmt; dem Freund, der nicht ehrlich war … dem Alten, der an jedem etwas auszusetzen hat … 70-mal 7-mal verzeihen: Theoretisch ja. Wenn es nur im Alltag nicht oft so unsagbar schwer wäre.“ (Mario Hundsdörfer)
Liebe Schwestern und Brüder! Wer es immer wieder einmal erlebt, dass er beleidigt, ausgegrenzt, übervorteilt, belogen oder hintergangen wird, dem kann schon mal die Geduld ausgehen – und die Bereitschaft zur Vergebung. Es kann doch nicht sein, dass ich stets der Dumme bin. Und scheinbar wird der andere für sein rücksichtsloses Verhalten zusätzlich noch belohnt.
Denn nicht selten entsteht der Eindruck, dass es sich auszahlt, hart und unbarmherzig zu sein.
Also nicht mit mir! Verzeihen ist wirklich schwer.
Verzeihen heißt ja, auf Vergeltung, auch Wiedergutmachung zu verzichten. Es heißt, darauf zu verzichten, dem anderen die Wunde immer und immer wieder zu zeigen, dem anderen seinen Fehler, sein Vergehen oder sein Versagen immer wieder vorzuwerfen. Verzeihen heißt, das alles findet ein Ende. Verzeihen beinhaltet den Verzicht, die alten Verletzungen weiter vorzuhalten, und den Verzicht auf (weitere) Wiedergutmachung.
Im Wort „vergeben“ steckt das Geben, die Gabe. Vergeben ist ein aktives Wort: Ich gebe dir diese Freiheit wieder, nicht mehr auf Altes festgenagelt zu werden. Ich gebe dich frei. Wenn Christen einander und anderen vergeben, geben Sie etwas von sich her: Sie schenken Vertrauen dem Anderen und glauben an einen Neuanfang.
Vergeben braucht viel Liebe, ich möchte sagen: Vergeben braucht einen Mantel aus Liebe, um den anderen aus der Vergeltung und der Wiedergutmachung zu entlassen.
„Herr, wie oft muss ich meinem Bruder [und meiner Schwester] vergeben, wenn … [sie] sich gegen mich … [versündigen]?“ So fragt Petrus im Evangelium. Er spricht aus, was wir selbst oft genauso empfinden. „Siebenmal?“ Irgendwann einmal muss es genug sein, deutet Petrus mit der Frage an. Der andere muss doch auch einen Schritt tun. Ich fühle mich kleingemacht, in meiner Würde verletzt, wenn der erste Schritt immer nur von mir erwartet wird. Das lasse ich nicht so ohne Weiteres mit mir machen.
Aber wie geht es mir eigentlich, wenn ich den Schlussstrich gezogen habe? Was rührt sich in meinem Herzen, wenn ich sage: Jetzt ist Schluss! Wenn wir ehrlich sind, mindestens für uns ganz persönlich, dann müssen wir doch eingestehen, dass nach der ersten Genugtuung oft ein fader Geschmack bleibt.
Ein verhärtetes Herz ist nicht angenehm.
Genauso wie wenn ich unter dem Deckmantel der Vergebung ein inneres Schuldkonto einrichte: Vergeben ja, vergessen nein. Das drückt und macht hart.
Liebe Schwestern und Brüder! Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus?
Es wäre zu billig, einfach zu sagen: Du musst halt vergeben! Und außerdem wissen wir alle, dass das wenig nützt, wenn das Herz nicht mitmacht.
Jesus erzählt uns im Evangelium ein Gleichnis, eine Geschichte. Er zieht uns in diese Geschichte hinein. In eine Geschichte, die uns ganz schnell auf eine Seite stellt. Erlässt doch ein König seinem Diener die ganze Schuld. Einfach so! Ohne Bedingungen! Allein, weil er Mitleid hatte. Der Mann mit diesen unglaublichen Schulden kann selbst nichts dazu beitragen, um aus seiner Lage herauszukommen. Er ist auf den König verwiesen und erfährt tatsächlich Vergebung. Gleichzeitig aber verweigert er seinerseits einem Mitarbeiter genau diese Großzügigkeit. Da regt sich in uns ein Gefühl von Ungerechtigkeit. Er erfährt so viel Entgegenkommen und weigert sich, diesem Mann seinerseits entgegenzukommen. Darüber kann man sich nur aufregen. Hat der denn seine Situation schon wieder vergessen?!
Und mit genau diesem Gefühl konfrontiert uns Jesus. Er sagt uns damit ganz direkt: Ja, zu Recht bist du über das Verhalten dieses Menschen empört. Du bist empört, weil ich dir vor Augen geführt habe, was da abläuft. Der eine erhält seine ganze Schuld nachgelassen, weil er um Vergebung bittet. Während dieser seinerseits seine Position ausnützt und auf seinem Recht besteht. Er fordert von seinem Mitarbeiter, was dieser nicht in der Lage ist, zu geben. Und das, obwohl er buchstäblich um sein Leben fleht.
Nun, so sagt Jesus, denke du, verehrter Hörer, verehrte Hörerin, doch auch einmal daran, wem du dein Leben verdankst, bevor du anderen gegenüber Härte zeigst! Mache dir bewusst, wie viel Versäumtes und Verschuldetes du nicht wieder gutmachen kannst! Wie viel Erfolg in deinem Leben nicht auf deine eigene Leistung zurückgeht oder wie viel Glück du anderen verdankst. Vielleicht fallen dir dann Vergebung und Großzügigkeit leichter, als wenn du meinst, du würdest dir alles selbst verdanken!
Vergebung kann nicht befohlen werden. Aber die Kraft dazu kann aus der Einsicht kommen, wie reich wir selbst beschenkt sind und wie viel uns vergeben ist.
Es kommt darauf an, eine innere Empfindsamkeit für das zu entwickeln, was oft selbstverständlich scheint und doch nicht selbstverständlich ist. Da liegt der Schlüssel zu einem versöhnteren Leben! Es nimmt nichts weg von dem, was vorgefallen ist, und nimmt nichts von der Mühe der Vergebung. Aber es bringt mich mit meinem eigenen Verhalten in Berührung.
Liebe Schwestern und Brüder! „Wie oft muss ich vergeben?“ Bevor wir uns hier eine Antwort zurechtlegen, sollten wir daran denken, aus wessen Bereitschaft zur Vergebung wir selbst Tag für Tag leben! Und bitten wir um die Kraft der Vergebung. Um die Kraft, sie anderen zu gewähren und selbst anzunehmen. Amen.
Anbei das Lied „Wie ein Fest nach langer Trauer“ des christlichen Liedermachers Jürgen Werth, das die Worte von Pater Peter nachklingen lässt: