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Pater Peter Uzor: „Das Leben des Menschen ist Leben von der Art Gottes“

In seiner Auslegung zum Evangelium an Pfingsten (Joh 20,19-23) beschreibt unser geistlicher Begleiter Dr. Pater Peter Uzor, was es mit dem pfingstlichen Ereignis des Anhauchens Jesu auf sich hat. Dabei verweist er auch darauf, dass sich am Geist des Jesus von Nazareth zu erneuern, mehr ist als schöne Zeremonien zu feiern, mehr als Traditions- und Brauchtumspflege, mehr als das Streiten um Prinzipien und Lehrmeinungen.

 

Anbei die Worte seiner Predigt zu Joh 20,19-23, die Pater Peter unter den Titel „Er hauchte sie an“ stellt:

 

Ich möchte heute ein wenig mit Ihnen darüber nachdenken, was das bedeutet, wenn Jesus seinen Jüngern den Heili­gen Geist dadurch mitteilt, dass er ihnen seinen Atem ins Gesicht haucht.

Das Atmen ist uns von Natur aus gegeben.

Es ist nicht steu­erbar, es geschieht von ganz allein, dass wir atmen, genauso selbstverständlich, wie unser Herz schlägt. Wenn das nicht so wäre, könnten wir nicht leben.

Das Leben hängt am Atem.

Wenn wir unter Atemnot lei­den, verspüren wir Todesangst. Und wenn wir unseren letz­ten Atemzug getan haben, sind wir tot. Man hält einen Spiegel vor den Mund und schaut, ob sich darauf noch Hauch niederschlägt. Mit dem Atem hauchen wir unser Le­ben aus. Wenn wir sprechen, geschieht das, indem wir aus­atmen. Der Atem, den wir loslassen, nimmt unsere Worte mit. Wer ein Blasinstrument spielt, weiß, wie der Atem ein Instrument zum Leben erwecken kann, wie man mit dem Atem auch der Musik Seele einhauchen kann. Wenn ein kleines Kind hinfällt und sich das Knie auf­schlägt, dann haucht die Mutter über die Wunde, haucht den Schmerz fort – und das Kind kann wieder laufen und spielen.

Wir hörten, dass der „Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20,22) die Jünger anhauchte. Diese Handlung ist eine Geste der Lebensmitteilung. In einer der biblischen Erzählungen vom Anfang lesen wir, dass Gott dem Menschen den Atem einhauchte und dass der Mensch dadurch zu einem lebenden Wesen wurde.

Ein besonderes Lebewesen wurde der Mensch dadurch, dass Gott ihm von seinem Lebensatem einhauchte, ihm Anteil an seinem Leben gab.

Dieser Lebenshauch von Gott ist gemeint, wenn wir vom Heiligen Geist sprechen. Den Atem teilen wir mit vielen anderen Geschöpfen. Auch das ist von Gott geschenktes Leben.

Das Leben des Menschen ist Leben von der Art Gottes.

Es ist ein Leben, das von sich selbst weiß. Es ist ein Leben, das Worte sagen und empfangen kann. Es ist ein Leben, das die Welt nicht nur empfangen, sondern auch erkunden und gestalten kann. Es ist ein Leben, das sich am Guten und Schönen freuen, das lieben und geliebt werden kann. Das alles kommt vom Atem Gottes, ist also Gabe des Geistes Gottes.

Das Geheimnis des Heiligen Geistes ist also nie ein dem Menschen ganz unbekanntes Geheimnis. Wenn wir von der unverletztlichen Würde der menschlichen Person sprechen, reden wir von diesem Geheimnis.

Und genau an diese uralte Schöpfungserzählung erinnert mich auch das heutige Evangelium. Von diesem mit dem Heiligen Geist Gesalbten – Christus – hörten wir im Evangelium, dass er an den Jüngern handelte, wie Gott am Anfang mit dem Menschen.

Er hauchte sie an.

Im begleitenden Wort gab er ihnen Anteil an seinem Leben: Empfangt den Heiligen Geist. Jesus deutet damit an: Hier fängt Gott mit dem Menschen noch einmal neu an.

Er be-at-met sie neu, damit sie neu zu leben anfangen. Er be-geistet sie mit Gottes Geist, damit sie be-geistert werden.

Aus ih­nen soll eine neue Schöpfung werden, so wie es am Anfang von Gott gedacht war.

Am Anfang der Schöpfung haucht Gott dem Menschen seinen Geist ein, damit er als ein Abbild Gottes lebt.

Jesus haucht den Jüngern seinen Geist ein, damit sie in seiner Nachfolge leben. Gott stattet den Menschen mit göttlicher Vollmacht aus: Alle Geschöpfe sind dem Menschen untertan; er hat das Recht, sie zu benennen, zu gebrauchen und zu bewahren.

Jesus gibt den Jüngern ebenfalls göttliche Vollmacht mit. Wem sie die Sünden nachlassen, dem sind sie nachgelassen, und wem sie nicht vergeben, dem ist nicht vergeben. Das alles geschieht im Frieden.

Wenn Jesus sagt: „Friede sei mit euch!“, dann benutzt er da­für das alte Wort „Shalom“. Shalom hat viele Bedeutungen: Heil, Wohlergehen, Gesundheit, Freude, Einklang und Har­monie mit Gott, mit den Menschen und allen Geschöpfen, Frieden mit sich selbst. Shalom – das war der Zustand im Paradies.

Shalom – das ist das Wesen des Reiches Gottes, das Jesus immer wieder verkündigt hat. Shalom – das ist das Ziel unseres Lebens. Wenn Jesus also zu den Jüngern sagt: „Shalom mit euch“, dann stellt er den ursprünglichen Zustand wieder her, wie es am Anfang war.

Pfingsten ist also gewissermaßen eine neue Geburtsstunde für die Menschen und die ganze Schöpfung.

Noch einmal wird uns der göttliche Lebensatem eingehaucht. So wie Gott den Menschen erschafft, indem er ihm seinen Lebensatem einhaucht, so wird hier gleichsam die Neuschöpfung des Menschen durch Jesus bildlich ausgedrückt. Die Jünger empfangen von Jesus den göttlichen Lebensatem, den Heili­gen Geist. Jesus fügt hinzu: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Er sendet sie aus, Sünden zu vergeben und die Menschen miteinander und mit Gott zu versöhnen.

Der Geist Jesu Christi, der Heilige Geist Gottes zeigt uns Wege, Frieden zu stiften und gibt uns die Kraft, Frieden zu schließen.

Grundlage dauerhaften Friedens ist die Anerkennung und das Respektieren der Würde eines jeden Menschen, gerechte Verteilung der Lebensgüter und Ehrfurcht vor der Schöpfung.

Menschen, die sich diesem Heiligen Geist Gottes öffnen, die sich den Geist Jesu Christi aneignen, ohne ihn für sich selbst zu missbrauchen, sind im besten Sinne „Schüler“, Jünger Jesu.

Am Anfang dieser Jüngerbewegung nannte man alle, die sich um diesen Jesus von Nazareth geschart haben und ihn als ihren Herrn (griechisch: Kyrios) versammelt haben, „Kyriake“. Daraus ist später unser Wort Kirche geworden.

Wenn wir auf diesen Ursprung schauen, wird deutlich, was wir vor allem in der Kirche brauchen:

  • Menschen, die sich vom Heiligen Geist Gottes leiten lassen.
  • Wir brauchen Menschen, die zusammenkommen, um sich in den Geist Jesu Christi zu vertiefen.
  • Wir bauchen Menschen, die bereit sind, diesen Geist den Menschen bekannt zu machen.
  • Wir brauchen Menschen, die im Sinne dieses Geistes Frieden stiften und die Bedingungen für einen dauerhaften Frieden schaffen.

Solche Menschen brauchen wir heute wie eh und je. Wie sich diese Menschen zusammenschließen und organisieren, ist zweitranging und hat sich im Laufe der Jahrhunderte vielfach geändert.

Eine solche Rückbesinnung auf den Ursprung ist für alle, die beanspruchen, Kirche Jesu Christi zu sein, eine große Herausforderung. Sie dürfen nicht müde werden, sich am Geist des Jesus von Nazareth zu erneuern. Und das ist mehr als schöne Zeremonien zu feiern, mehr als Traditions- und Brauchtumspflege, mehr als das Streiten um Prinzipien und Lehrmeinungen.

Heute, am Pfingsttag, bitten wir in allen Liedern und Gebeten um den Heiligen Geist. Wir sollten dabei nicht übersehen, dass wir ihn eigentlich schon haben. Im Sakrament der Firmung sind wir bereits mit dem Heiligen Geist infiziert worden. Wir haben den Heiligen Geist schon in uns, doch wie bei so mancher Corona-Infektion zeigen wir keine Symptome. Wenn wir heute um den Heiligen Geist bitten, dann darum, dass er uns anfeuert, dass die kleine Flamme, zu der er zusammengeschrumpft ist, in uns zum Großbrand wird.

Der Heilige Geist als Atem, als Lebensatem, der uns von Gott eingehaucht und geschenkt wird. Mir gefällt diese Bild sehr gut. Und dann sagt mir das heutige Evangelium: Wir brauchen nicht nur den Geist, der uns in stürmische Begeisterung versetzt, sondern wir brauchen vor allem den Geist, der uns den nötigen langen Atem gibt, damit uns auf unserem Lebensweg nicht vorschnell die Luft ausgeht. Bitten wir also:

Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe!

Amen.