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Pater Peter Uzor: „Ein Christentum ohne Liebe verdient den Namen nicht“

Seine Auslegung des Evangeliums (Apg 6,1-6) zum 2. Weihnachtsfeiertag, an dem dem ersten christlichen Märtyrer Stephanus gedacht wird, überschreibt unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor mit der Headline „Liebe muss drin sein“.

Seinen Gottesdienst zum 2. Weihnachtsfeiertag leitete Pater Peter mit folgenden Worten ein:

„Der zweite Weihnachtstag ist dem Gedächtnis des heiligen Stephanus gewidmet, des ersten Märtyrers der Kirche. Dieser Heilige zeigt mir, worum es geht, wenn ich ein Glaubenszeuge sein will: Nicht einer von diesen Fanatikern, die die Meinung der anderen nicht gelten lässt. Sondern einer, der wie er für seine Sache einsteht. Indem er eine Gesprächskultur übt, die im besten Fall mit Weisheit überzeugt. Und einer, der selbst denen, die ihn hassen, noch mit Wohlwollen und Vergebung begegnet. In der Feier der Eucharistie treten wir ein in das Geheimnis Jesu Christi und nehmen teil an seinem Leben, seinem Sterben, seiner Auferstehung.“

 

Anbei die Worte seiner Predigt zu Apg 6,16:

 

Der 1966 verstorbene evangelische Pfarrer Wilhelm Busch hat viele Erzählungen hinterlassen. In einer erzählt er von einem alten Herrn in einem Seniorenheim am Heiligen Abend. Der hatte ein großes Paket von seiner Tochter zu Weihnachten bekommen. Viele gute Sachen waren darin, die das Herz erfreuen konnten. Aber er konnte sich über das Paket und seinen Inhalt nicht freuen. Als die Heimleitung zum Weihnachtsbesuch durch alle Zimmer ging und bei ihm ankam, wühlte er lustlos in dem Paket herum. Obenauf lag eine Karte, auf der zu lesen war: „Frohe Weihnachten! Deine Tochter Doris und Schwiegersohn.“ Darauf angesprochen, warum er sich über die vielen guten Sachen nicht freuen konnte, sagte er: „Da ist vieles drin, aber das Wichtigste fehlt: Da ist keine Liebe drin!“

Gestern haben wir das Fest der Liebe gefeiert. „Erschienen ist die Güte und Menschenliebe unseres Gottes und Retters“, schreibt Paulus an Titus (Tit 3,4). Das ist sein Resümee des Lebens Jesu. „Gott ist die Liebe“, so fasst Johannes seine Erfahrungen mit Jesus zusammen (1 Joh 4,16b) – im Bild der Erzählung aus dem Seniorenheim: Gott hat uns zu Weihnachten ein großes Paket geschickt. Vieles ist drin, mit dem er uns beschenkt: Kranke werden geheilt, Aussätzige werden rein, Hungrige werden gesättigt. Predigten wie die Bergpredigt finden sich in dem Paket. Auch der Weg, den Jesus beginnend in Bethlehem geht, auch sein Kreuzweg, seine Hinrichtung, seine Auferstehung ist drinnen.

Vor allem aber ist eines drin: Liebe! „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er ihr seinen Sohn schenkte“ (Joh 3,16) – und in ihm seine ganze Liebe. Das weihnachtliche Geschenkpaket Gottes ist mit vielen guten Sachen gefüllt, vor allem aber finden wir Liebe darin.

Diese Liebe hat die Apostel nach der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu in Bewegung gesetzt. Diese Liebe mit all den „guten Sachen“ wollten sie den Menschen schenken. Doch dabei kamen sie in Konflikte. Sie waren, wie wir heute sagen, überfordert. Auf der einen Seite sollten sie die gute Botschaft vom liebenden Gott den Menschen weitersagen. Gleichzeitig aber sollten sie auch für die Armen und Bedürftigen sorgen. Das alles wuchs ihnen über den Kopf. Sie spürten überdeutlich: Wenn wir den Dienst an den Bedürftigen nicht tun, dann kann auch das Wort, das wir predigen, nicht glaubwürdig sein, denn das Entscheidende fehlt: die sichtbare und spürbare Liebe!

Das weckte in ihnen eine großartige und gleichzeitig ganz naheliegende Idee: Wir müssen ja nicht alles selber und allein tun. Gott hat uns doch unsere Gemeinden und viele Menschen an die Seite gegeben, die Hände haben, um zuzupacken. Darum wählten sie aus diesen Menschen sieben Männer aus und betrauten sie mit dem Dienst der Liebe. So gewichtig war ihnen dieser Dienst, dass sie die Männer sogar mit Handauflegung dazu beauftragten. Das waren die ersten Diakone. Ihr Auftrag war es nicht, zu predigen und liturgische Dienste zu vollziehen. Ihr Auftrag war der Dienst des Herzens und der Hände. Sie sollten bei den Menschen sein. Sie sollten Augen haben, die die Not der Menschen wahrnahmen. Sie sollten Ohren haben, um den Menschen zuzuhören. Nicht zuletzt sollten sie Hände haben, die zupackten und teilten, damit „Liebe drin ist“.

Ein Christentum, in dem „keine Liebe drinnen ist“, verdient den Namen nicht.

Die Apostel und mit ihnen die junge Kirche haben das begriffen. Es muss Liebe drin sein in der Kirche – auch heute. Wo Liebe drin ist, da regiert nicht die Bürokratie, nicht die Bevormundung mündiger Christen, nicht das Herrschaftsgehabe von Wichtigtuern auf allen Ebenen. Wo Liebe drin ist, da gibt es keinen Aktionismus, keine hektische Geschäftigkeit, die beweisen muss, dass sie doch „so viel zu tun hat“. Wo Liebe drin ist, da werden keine Menschen missbraucht und in ihrer Würde verletzt. Stephanus und seine Mit-Diakone sollten Sorge dafür tragen, dass Liebe drin ist und drin bleibt in der Kirche.

Wo die Liebe fehlt, da fehlt die Mitte. Wo keine Liebe ist, da gibt es auch keine Gegenliebe. Wo die Liebe fehlt, da mag die Tüchtigkeit regieren, aber es fehlt das Herz.

Das haben die Apostel gespürt: Ihnen wuchs ihre Aufgabe über den Kopf. Die Liebe drohte, auf der Strecke zu bleiben. Darum die Wahl der sieben Diakone. Das war eine Frage der Liebe!

Diesen Stephanus feiern wir heute, am zweiten Weihnachtstag. Ich weiß nicht, warum die Kirche sein Fest auf diesen Tag gelegt hat. Vielleicht wollte sie Krippe und Kreuz nah beieinander sehen.

Das Kind in der Krippe ist nicht (nur) der „holde Knabe im lockigen Haar.“ Auf den Spuren des Kindes von Bethlehem zu gehen, bedeutet, auch den Teil dieser Lebensspur ernst nehmen, den das Lied „Es kommt ein Schiff geladen“ in seinen letzten Strophen so ausdrückt: „Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will, muss vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel. Danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehn, das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn.“ Das hat Stephanus gelebt. Darum ist es sinnvoll, sein Fest ganz nah an Weihnachten zu feiern.

Wichtiger allerdings ist mir, dass Stephanus einer der ersten sieben Diakone ist, die dafür Sorge tragen, dass die Liebe „drin“ bleibt in der Kirche, die Liebe, deren Erscheinen in der Welt wir gestern gefeiert haben.

Diese Dimension des gelebten Glaubens ist heute notwendiger denn je. Der Mensch will sehen. Darum braucht die Kirche Diakone und Diakonie – weniger in liturgischen Gewändern am Altar, als vielmehr bei hilfsbedürftigen Menschen jeden Alters, an Krankenbetten, bei Menschen im Gefängnis, in der Begleitung Suchtkranker, bei Menschen, die Hunger haben, an Tafeln und in Sozialkaufhäusern.

Es muss Liebe drin sein, wenn die Kirche heute noch glaubwürdig sein will.

Dafür Sorge tragen kann man mit und auch ohne Handauflegung! Darum bin ich dankbar für die vielen Diakoninnen und Diakone, die in unserer Kirche heute meistens unauffällig da sind, wo die Menschen sie brauchen. Und was brauchen die Menschen am meisten? „… dass Liebe drin ist!“

Amen.