Foto: privat

Pater Peter Uzor: „Um als Christinnen und Christen zu leben, brauchen wir Jesus mit uns“

In seiner Auslegung der Sonntagslesung (Gal 5,1.13–18) und des Sonntagsevangeliums (Lk 9,51-62) schildert unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor, was es bedeutet sich als Christ in die Pflicht nehmen zu lassen. Dabei verweist er darauf, dass die „In-die-Pflicht-Nahme“, die die biblischen Zeugnisse schildern, nicht etwa nur den Sonntag betrifft, sondern im Grunde die gesamte Ausrichtung unseres Lebens. Pater Peter zeigt auf, dass dies nicht etwa unbedingt bedeutet, sich in einem christlichen Amt zu verpflichten oder einem Orden beizutreten; wohl aber, die Frage nach Gott, die Beschäftigung mit dem Sinn des Lebens, die Verantwortung für die Schöpfung zum ständigen inneren Begleiter zu machen – jeden Tag und immer mehr. Seine Predigt einleitend betont er:

„Im heutigen Evangelium geht es um unsere Bereitschaft dazu, sich in die Pflicht nehmen zu lassen – für jeden in seiner eigenen Art und mit seinen eigenen Talenten. Um als Christinnen und Christen zu leben, brauchen wir Jesus als Vorbild, brauchen wir ihn mit uns.“

 

Anbei die Worte der Predigt von Pater Peter zu Lukas 9,51-62:

 

Es sind Begegnungen auf dem Weg, von denen uns das Evangelium heute erzählt. Jesus ist mit seinen Jüngern und Jüngerinnen auf dem Weg nach Jerusalem. Sie sind zu Fuß unterwegs, angewiesen auf die Gastfreundschaft der Menschen, die am Weg wohnen, und sie finden Aufnahme in ihren Häusern – oder auch nicht, wie uns zuerst berichtet wird. Dort wo sie zu Gast sind, essen, trinken und sprechen sie mit den Menschen, die dort leben.

Jesus lehrt. Und einige dieser sesshaften Menschen reißt diese Begegnung heraus aus ihrem Leben.

Sie fühlen sich angesprochen, gerufen. Sie wollen ihm folgen und lassen alles zurück: ihr Dorf, ihre Familie, ihren Besitz, ihr altes Leben. Drei solcher Begegnungen erzählt unser Text. Er nennt keine Namen, hält alles sehr kurz und knapp, hält es allgemein. Er will sagen: So oder ähnlich haben sich diese Gespräche zwischen Jesus und diesen Gerufenen abgespielt.

So oder ähnlich könnte es auch uns gehen mit Jesus.

Zu einem von ihnen sagt er: „Folge mir nach!“ Und dieser Mann sagt ja; er möchte folgen. Nur seinen Vater, der gerade gestorben ist, möchte er erst noch begraben. Ein nur zu verständlicher Wunsch! Doch Jesus reagiert darauf unfassbar schroff: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes.“ (Lk 9,60) – „Lass die Toten ihre Toten begraben“: Was wird dieser Mann gedacht und gefühlt haben, als er das hörte? Er will doch nur noch den eigenen Vater beerdigen, zusammen mit seiner Familie: eine Selbstverständlichkeit! Und hierbei geht es nicht nur um Pietät und Liebe. Es geht um eine der wichtigsten Regeln Gottes für sein Volk, um eines seiner zehn Gebote. Es geht um die letzte Ehre, die den eigenen Eltern zu geben ist, „damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt“ (Ex 20,12).

„Lass die Toten ihre Toten begraben!“ Dieser Satz Jesu verstößt nicht nur gegen Gottes Gebot, er setzt auch noch die daran gebundene Verheißung aufs Spiel: das Land, in dem das aus der Sklaverei befreite Volk Gottes leben darf. Wer also darf so einen anmaßenden Satz sagen?

Wenn das Evangelium Jesus so einen Satz sagen lässt, erzählt es etwas darüber, wer Jesus ist.

Es erzählt von der Hoheit und letzten Autorität dieses wandernden, selbst „landlosen“ Jesus, die jedes andere Gebot überbietet. Mit ihm zu sein heißt, das Land zu erben. Mit ihm zu sein heißt, in die Freiheit geführt zu werden als Freie.

Aber wie hätten wir reagiert, wären wir an der Stelle dieses Mannes gewesen, der Jesus folgen wollte? Ich vermute, ich wäre empört gewesen: „Jetzt habe ich mich entschieden, ihm zu folgen und alles zu verlassen. Aber das kann er nun wirklich nicht von mir verlangen!“ Ich hätte mich vermutlich enttäuscht abgewandt. Vielleicht auch beleidigt: „Dann gehe ich eben nicht mit und bleibe hier!“ – Oder aber ich hätte in diesem Moment, beim Blick in seine Augen begriffen, dass es hier um etwas so Großes und Bedeutendes geht, dass ich verstanden hätte.

Das Reich Gottes erfordert genau das: die alten Wege verlassen, nicht mehr zurückschauen. Es ist unfassbar, aber wahr: Wir brauchen sie nicht mehr!

In diesem Augenblick der Begegnung und Berufung wird es deutlich: Was dem Menschen geschichtlich hier begegnet, hat Anrufcharakter, manchmal in einer enorm verdichteten Weise. Jesus weiß um die Versuchung zu bleiben, wo nicht gleich und ganz aufgebrochen wird. Wenn man nicht sofort handelt, verrät er sich selbst und Gott zugleich. Das hat Jesus verstanden.

Es gibt nicht für alles im Leben immer noch einmal eine Zeit. Es gibt die nicht wiederkehrende Gelegenheit.

Das hat Jesus verstanden und darum schont seine Forderung die nicht, die ihr folgen könnten. Es gibt Entscheidungen, die kein „sowohl als auch“ zulassen, auch kein „gleich“, nur ein „sofort“. Das gibt es öfter im Leben, nicht nur bei der Entscheidung für einen Menschen in der Partnerschaft oder eine Weihe – bei der Entscheidung für ein Engagement, eine große Spende, einen neuen beruflichen Ort … Es geht nicht immer um andere Menschen und Orte. Es kann uns manchmal persönlich betreffen.

Der Aufruf Jesu mit ihm etwas neues aufzubauen trifft uns in unterschiedlicher Art und Weise, in unterschiedlichen Situationen.

Weit öfter geht es um Gefühle: Du darfst die Trauer loslassen, den Hass begraben, das Nachtragen aufgeben, Selbstmitleid beenden, nicht weiter Recht haben wollen.

Manchmal geht es um Gewohnheiten: den Medienkonsum eindämmen, etwas Stille wagen, von weniger guten Gewohnheiten lassen und anspruchsvollere wählen, nicht immer trinken.

Manchmal geht es darum einen bestimmten Status fahren zu lassen: eine Krankheit annehmen, eine neue Lebenssituation nicht nur erleiden, sondern das Beste daraus machen. Loslassen, nicht zu lange hadern, nichts gewaltsam erzwingen.

Wir glauben, nicht ohne dieses und jenes zu können? Aber wir können vielleicht doch. Nicht in jedem Moment. Das ist wahr.

Aber es gibt den Augenblick der Freiheit. Sie geht an uns vorbei und ruft uns an: Lass jetzt los! Dann sollten wir nicht noch einmal zögern, sondern mitgehen, ohne uns umzudrehen. Sonst bleiben wir.

Wie oft kreisen wir Menschen um den „Schnee von gestern“, hüten ihn sorgsam: unsere schlechten Erfahrungen im Leben, unsere Ressentiments und Verletzungen, die sich in unsere Seelen gegraben haben, unsere alten Ängste … Viele davon sind so alt, dass wir sie geerbt haben: von unseren Vätern und Müttern, die vielleicht sogar schon lange tot sind. All diese Dinge machen uns unfrei. Sie binden uns, sie halten unseren Horizont klein. Zu klein für das, um das es hier geht – das Reich Gottes: die bedingungslose Liebe, die uns und alle Menschen freimachen will; uns heilen will von der Macht der Vergangenheit; die den Schnee von gestern endlich tauen lassen will.

Aber wir blicken so gerne zurück, trauen dieser Freiheit nicht, zu der Christus uns befreit.

Doch so kann man nicht das Neuland pflügen und neu einsäen. So erstarrt man eher zur Salzsäule, wie die Frau von Lot, die auch zurückgeblickt hat, als sie ihre Heimat in Sodom verlassen sollte (vgl. Gen 19). Vielleicht brauchen solche Beharrlichkeiten, solche eingefahrenen Muster eine derart schroffe Unterbrechung wie diesen Satz: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes!“

Geh – bleib nicht stehen! Verkünde – steh dafür, dass Neues begonnen hat! Dass es nicht mehr lohnt, sich mit dem Toten zu beschäftigen.

Wenn ich mich nachts beim Grübeln ertappe, wenn Sorgen mich wachhalten, wenn der Schnee von gestern mich frösteln macht, ihm dann so ein schroffes, vollmächtiges Wort Jesu entgegenschleudern: „Lass die Toten ihre Toten begraben. Du aber geh und verkünde das Reich Gottes!“ Und mich dann wieder neu meinem Weg anvertrauen, den er mit mir geht. Am nächsten Morgen wieder neu die Hand an den Pflug legen und nach vorne blicken. In meinem Alltag die Augen öffnen und sehen, wo das Reich Gottes geschieht. Wo ich daran mitwirken darf; mich immer wieder neu dafür zur Verfügung stellen darf: die Liebe zu leben, die Gott in mich hineinlegt. Und dann dafür ganz Hingabe werden.

Amen.

Ein Mann, der ein Zeugnis für diese Worte von Pater Peter darstellt, ist der kürzlich verstorbene Missionsbenediktiner Pater Florian Prinz von Bayern, über dessen Leben wir gestern berichteten. Den Artikel gibt’s

HIER