Symbolbild: pixabay.com (CC0 1.0)

Psychiater Georg Juckel: „Die Bibel bietet klare Orientierung“

,

Der Mediziner Georg Juckel ist Universitätsprofessor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum. In der Therapie mit Patienten wendet er auch die Bibel an, obgleich er sich selbst als „agnostischer Mensch“ bezeichnet. Zusammen mit seiner Frau Paraskevi Mavrogiorgou, die Psychiaterin und griechisch-orthodoxe Christin ist, hat er ein Buch mit dem Titel „Wie die Seele wieder Frieden findet“ geschrieben. Im Interview mit dem christlichen Medienmagazin Pro erklärten die beiden, warum die Bibel vielen Menschen bei der Therapie hilft und zwar unabhängig davon, ob die Patienten Christen sind oder nicht.

Georg Juckel und seine Frau Paraskevi Mavrogiorgou berichteten im Pro-Interview von dem Defizit in der ärztlichen Behandlung, dass Ärzte heute oft nur auf die Erkrankung schauen und nicht (mehr) auf den Menschen dahinter. Auch sie hätten früher als klinische Psychiater „mit einem eher nur  naturwissenschaftlichen Ansatz“ gearbeitet. Georg Juckel spricht gar von einer im letzten Jahrhundert aufkommenden „Hybris, seelische Erkrankungen binnen kürzester Zeit neurobiologisch verstehen und zum Beispiel nur mit Medikamenten heilen zu können“. Im Zuge dessen sei die Krankheitsbehandlung „sehr mechanistisch geworden“. Dazu schildert Juckel:

„Ärzte sprechen von der ‚Niereninsuffizienz auf Zimmer 7‘, nicht mehr von der Person. Man arbeitet eine Checkliste ab.“

Die Feststellung, dass der existenzielle Bereich wie „Angst vor dem Tod, Sinnerfüllung, Glück, Leiden, Trennung, Abschied“ in der Behandlung „stark unterbeleuchtet“ war, ermutigte die beiden Mediziner dazu, die Bibel in der Behandlung von psychisch kranken Menschen einzusetzen. Dazu erklärte Georg Juckel:

„Wir haben also den Bogen von der Biologie hin zu religiösen Aspekten des psychisch kranken Menschen geschlagen.“

Dies sei in ihrem Fachgebiet sowie in der öffentlichen Diskussion „ausgeklammert, teilweise sogar tabuisiert“ worden, fügte der Vorsitzende des LWL-Instituts für Präventions- und Versorgungsforschung an.

Danach gefragt, warum sie ausgerechnet die Bibel einsetzen, erklärte Georg Juckel, dass sie bei aufkommenden existenziellen Fragen zum einen, die Patienten da abholen wollen, wo sie weltanschaulich stehen, weshalb sie „eben explizit christlich orientiert“ arbeiten würden. Zum anderen lieferten biblische Darstellungen „vielschichtige Deutungsmöglichkeiten“ und gäben „in einer sehr anschaulichen Direktheit“ Antworten auf „die großen Lebensfragen“.

Sehr konkret ergänzte Paraskevi Mavrogiorgou, die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ist:

„In der Bibel sind die Depressionen so eindrucksvoll geschildert, dass Patienten, die dieses Leiden gerade durchmachen, sich wiedererkennen.“

Als Beispiel beschrieb die beiden im Pro-Interview sehr detailliert die alttestamentliche Figur des Hiob.

 

Mit Blick auf die Entwicklung von Depressionen in unseren Breiten schilderte Georg Juckel das Phänomen, dass sich „das gesellschaftliche Barometer“ verstellt habe. Dabei berichtete er von Patienten, die mit existenziellen Problemen wie etwa Liebeskummer, Trennung oder Abschied in die Notaufnahme kämen. Dies seien aber „ganz normale Lebensprobleme, die in der Familie, bei Freunden oder in der Seelsorge der Gemeinde eigentlich gut aufgehoben wären“, erklärte der Universitätsprofessor für Psychiatrie und Psychotherapie. Weiter betont Juckel mit Blick auf so manche Diagnose von Burnout und ADHS:

„Mittlerweile wird jedoch unglaublich viel pathologisiert, weil Menschen offenbar aus ihrer Selbstwertproblematik heraus ein Label für ihre Leiden brauchen. Nur dann zählt es und sie.“

Dass die Anzahl der leichten Depressionen im Sinne von Reaktionen und Anpassungsschwierigkeiten auf gesellschaftliche, globale Veränderungen vermutlich eher zugenommen habe, begründet Paraskevi Mavrogiorgou damit, dass der jüngeren Generation die Grundsicherheit der älteren Generation fehle und infolgedessen deren Widerstandsfähigkeit / Resilienz leide. Diesbezüglich ergänzte Georg Juckel:

„Die tragenden Fundamente des menschlichen Lebens, zum Beispiel der Glaube, bröckeln in den jüngeren Generationen.“

Zudem seien eine „große Vereinzelung“ und schwierige Familienverhältnisse feststellbar. Man falle „fast vom Stuhl, wenn man hört, aus welch furchtbaren und destruktiven Familien viele Heranwachsende kommen“, schilderte Juckel weiter.

Zudem stellen er und seine Frau einen zunehmenden Vertrauensverlust in der Gesellschaft und ein Aufwerten des eigenen Ichs am Leid anderer fest und sprechen in diesem Zusammenhang von „Zeichen der kranken Gesellschaft“.

Mit Blick auf die Wirkmacht der Bibel betont Georg Juckel, der sich selbst als „agnostischer Mensch“ einordnet:

„Die Bibel kann klare Rahmenbedingungen und Orientierung bieten – wenn man sich für sie öffnet.“

Ausführlich schilderten die beiden Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie im Pro-Interview wie die biblische Friedens- und Hoffnungsbotschaft „eine Möglichkeitsdimension gegen den Schrecken, den wir erfahren“ öffnet.  Sich der Möglichkeit, dass Gott in Jesus Mensch wird, zu öffnen, habe „ganz viele Folgen“. Infolgedessen könnten Menschen erkennen, dass sie „nicht stark sein, nicht reich oder mächtig“ sein müssten, um erfüllt in dieser Welt zu leben. Genau dies sei ein Ziel in der Psychotherapie. In diesem Kontext betont Georg Juckel:

„Das ist ja das Paradoxe der gesamten Jesusgeschichte, dass die Schwäche eine Stärke und sogar die Lösung ist. Das zieht sich durch alle Evangelien.“

Ein Leben in Verbindung mit Jesus könne Menschen die „Perspektive geben“, mitmenschlich zu sein und darauf zu verzichten, die Ellenbogen auszufahren, sowie anderen Menschen zu helfen und sie zu unterstützen, schilderte Juckel.

Paraskevi Mavrogiorgou erklärte:

„Für mich als religiöser Mensch wird in der Person von Jesus die Erlösung geboren.“

Die Weihnachtsgeschichte sei „phänomenal“ und berge „viele Anknüpfungspunkte für uns“ in sich.

 

Quelle: pro-medienmagazin.de