Foto: Jarvin - Jarle Vines, Jon Fosse, CC BY-SA 3.0

Jon Fosse: „Jede Gesellschaft braucht ein gewisses spirituelles Niveau“

Den norwegischen Literaturnobelpreisträger Jon Fosse führte das Schreiben zur Religion. Die Suche nach einer Sprache für das Unaussprechliche spielt in seinen Texten eine wichtige Rolle. 2013 ließ er sich katholisch taufen. Am 6. März 2025 wurde der 65-jährige Dramatiker mit dem Ludwig-Mülheims-Theaterpreis in Köln geehrt, womit laut Erzbistum Köln sein einzigartiges Lebenswerk ausgezeichnet wurde, das existenzielle Themen wie Liebe, Verlust und Glauben in einer minimalistischen Sprache behandelt. Zu diesem Anlass sprach Fosse im Interview mit domradio.de über die Bedeutung seines Glaubens.

Bereits in den vergangenen Jahren erklärte sich Jon Fosse zu seinem Weg zum katholischen Glauben (wir berichteten). Gegenüber „Deutschlandfunk Kultur“ schilderte der Besteller-Autor Anfang 2015, dass ihn das Schreiben zu einem religiösen Menschen machte. Auf seinem Weg zu einem ihn tragenden Glauben wurde der Schriftsteller nach seinem Austritt aus der lutherischen Kirche zunächst Quäker, bevor er 2013 zum Katholizismus konvertierte, wobei ihn die Philosophie des Dominikaners Meister Eckhart sowie von Martin Heidegger und Ludwig Wittgenstein prägte. In seinem 2015 erschienenen Buch Mysteriet i trua („Das Geheimnis des Glaubens“, ein Gespräch mit dem Theologen Eskil Skjeldal) machte Fosse seinen Übertritt zum Katholizismus zum Thema.

Im aktuellen Interview mit domradio.de berichtet Jon Fosse, dass er mit den Bildern von Gott, die ihm in seiner Kindheit in der evangelischen Kirche in Norwegen vermittelt wurden, im Jugendalter nichts mehr anfangen konnte. Infolgedessen habe er „an diesen Gott“ nicht mehr geglaubt und sich für einen Atheisten gehalten, weshalb er auch im Alter von 16 Jahren aus der Kirche austrat. Im Rückblick auf diese Zeit, könne er gar nicht sagen, ob er überhaupt Atheist gewesen sei. Vielmehr habe er die Begriffe „Atheist und Marxist“ für sich verwendet, um sich „irgendwie“ zu äußern und zu identifizieren. Durch seine Verbundenheit zur Kunst war er aber weiterhin mit Spiritualität konfrontiert. Die dabei gemachten Erfahrungen lassen ihn heute gewiss sein:

„Gute Kunst hält den spirituellen Geist in der Gesellschaft lebendig. Und jede Gesellschaft braucht ein gewisses spirituelles Niveau.“

Im Laufe der Zeit näherte sich Jon Fosse dem konkreten Glauben an Gott über seinen Beruf als Schriftsteller wieder an, was er gegenüber Domradio wie folgt darlegte:

„Es hatte viel mit meinem Schreiben zu tun, dass ich meinen Atheismus hinter mir gelassen habe.“

Im Rückblick auf diesen Prozess könne er nicht genau erklären, wie und wann dies geschehen sei. Irgendwann sei es zu dem Moment gekommen, an dem sich für ihn beim Schreiben „ein neues Feld – eine neue spirituelle Weite“ geöffnet habe. Diese Erfahrung führte ihn zur Gewissheit, dass Schreiben eine Form des Gebetes sei, was zuvor bereits der tschechische Schriftseller Franz Kafka (1883-1924) so formuliert hatte.

Zur spirituellen Erfahrung beim Schreiben ließ Jon Fosse wissen, dass er „ab einem gewissen Punkt“ in ein Stadium gelange, wo er „das Gefühl bekomme, dass das, was ich schreiben werde, schon geschrieben worden ist“, so der norwegische Literaturpreisträger. Dazu erklärt er:

„Das ist nicht in mir, das ist außerhalb, irgendwo außerhalb von mir. Und dann höre ich darauf und schreibe es auf, bevor es wieder verschwindet.“

Es sei für seine Art zu schreiben, die er als Geschenk empfindet, sogar bedeutend, dass er sich „in gewisser Weise“ selbst entkomme, indem er „ins Unbekannte“ gehe und dann zu sich zurückkehre.

Zu seinem Gottesbild erklärte Jon Fosse:

„Gott steht außerhalb aller Kategorien, außerhalb von Raum und Zeit, außerhalb von allen Kausalitäten.“

Wenn Menschen „ganz bestimmte Bilder von Gott im Kopf“ hätten, dann würden sie „doch an diese Bilder und nicht an Gott“ glauben, ist Fosse überzeugt. Vielmehr sei Gott seiner Ansicht nach „nah“ und andererseits wiederum „schwer zu fassen“. Gottes Nähe erfährt der 65-Jährige in der Stille. Dazu sagt er:

„Gott spricht durch die Stille. Wenn du die Gegenwart Gottes erfährst, ist das eine stille Gegenwart.“

Diese Erfahrung, die er in seinem Leben gemacht habe, ist heute sogar eine Voraussetzung für sein Wirken als Schriftsteller, indem er versuche, „ein Niveau der Stille zu erreichen, wo dann etwas zu mir spricht“, so Fosse.

Konkrete Erfahrungen mit Gott findet der norwegische Schriftsteller, der „in einem Land mit protestantischer Tradition“ aufwuchs, heute im katholischen Glauben. In Norwegen gehört er damit einer kleinen Gemeinschaft von „etwa 3000“ Katholiken an, die sich aus Konvertiten sowie Einwanderern (insbesondere aus Polen) bildet.

Konkrete Erfahrungen der Gottes Nähe findet Fosse, der sich seit etwa 15 Jahren zum katholischen Glauben bekennt, insbesondere in der Heiligen Messe. Die Eucharistie, der gottesdienstlichen Feier zum Gedächtnis des letzten Abendmahls Jesu Christi, seines Todes und seiner Auferstehung, sieht und erlebt Jon Fosse als „Kern des Glaubens“. Die Eucharistie ist eines der sieben Sakramente, in denen der katholische Gläubige die Gegenwart Christi erfährt.

Die Eucharistie sei „das Mysterium des Glaubens“, das ihm „enorm viel“ gebe, auch wenn das „nicht einfach zu erklären“ sei. Zu seiner Erfahrung der Wandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi ließ Jon Fosse wissen:

„Die Eucharistie, die Wandlung funktioniert – aber wie sie funktioniert, das kann man nicht erklären.“

Insgesamt spreche ihn die lange Tradition der Mystik im katholischen Glauben sehr an. Dazu sagte der Bestseller-Autor:

„Ich habe eine sehr verinnerlichte Beziehung zum Glauben.“

Zudem hob Jon Fosse die Heiligenverehrung im katholischen Glauben als besonders hervor, über die eine Nähe „zwischen den Menschen hier und den Menschen im Jenseits, in der anderen Welt“ entstehe.

Zur Auswirkung seines Glaubens auf sein Schreiben ließ Jon Fosse weiter wissen:

„In meinen Texten gibt es neben der Dunkelheit vieles, was leuchtet. Und es geht um Frieden, um Versöhnung – am Ende geht es immer um Frieden.“

 

Über die „mystische Seite“ seines Schreibens, die ihn zum katholischen Glauben führte, sprach Jon Fosse auch im November 2024 im Interview mit der Quartalsschrift der Wiener Kirchenzeitung „Der Sonntag“. Dazu erklärte er:

„Mir fiel etwas ein, und ich wusste nicht, woher es kam. Mein Geist öffnete sich für das, was man im katholischen Kontext die unsichtbaren Dinge nennt.“

Schon seit seinem ersten Werk sei „eine religiöse Dimension“ in seinem Schreiben zu erkennen gewesen. Obgleich er damals noch kein Katholik gewesen sei, habe ein schwedischer Kritiker zu diesem ersten Stück befunden, dass der Schriftsteller ein Katholik sein müsse.

Sein konzentriertes Schreiben verglich der 2013 zum Katholizismus konvertierte Christ mit dem konzentrierten Beten von Menschen, die er in Kirchen und Kathedralen auf seinen Reisen gesehen habe. Das habe ihn sehr beeindruckt und könne man sich in einer protestantischen Kirche nicht vorstellen, resümierte Jon Fosse.

Quellen: domradio.de, vaticannews.va

Hinweis: Den Podcast zum Domradio-Interview mit Jon Fosse zum Nachhören gibt es:

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