Michael Köhlmeier: „Es geht sich logisch nicht aus, dass man selbst die eigene Instanz für alles ist“

Der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier sprach aktuell im Interview mit Herder Korrespondenz (Ausgabe 3/2022) über sein ambivalentes Verhältnis zum Thema Glauben und Religion. Ein Mann, der katholisch geprägt sich einerseits ausführlich mit dem heiligen Antonius von Padua befasste, andererseits sich mit beißender Kritik zum Thema Glauben äußerte.

Auf seine kritische Einstellung angesprochen, betonte Michael Köhlmeier, dass für ihn Religion durchaus eine Rolle im Leben spielt. Dazu begründete er:

„Sogar wenn wir keine Religion haben, benötigen wir so etwas wie Religion.“

In diesem Sinne zeigt er sich überzeugt, dass der Mensch Gott „sehr“ brauche, gerade weil es sich „logisch nicht“ ausgehe, „dass man selbst die eigene Instanz für alles ist“. Dazu begründete der Vorarlberger Schriftsteller:

„Es wäre ein Widerspruch in sich, wenn wir alle unsere ethischen Kriterien und alle Phantasie, allen Glauben und allen Sinn selbst machen wollten oder als von uns selbst gemacht ansehen wollten.“

Seiner Meinung nach befänden wir uns aber durch Aufklärung und Naturwissenschaften „in einem großen Dilemma“, was unsere Vorstellung von Gott betrifft. Dabei brachte er zum Ausdruck, dass seine Beziehung zu Gott in einem Als-ob-Modus stattfinde, was er wie folgt erklärte:

„Wenn ich so tue, als ob es einen Gott gibt, der mir einen Sinn im Leben oder moralische Richtlinien in der Form der Zehn Gebote vorgibt, ich aber nicht daran glaube, ist das der Modus des Als ob.“

Gegenüber Herder-Korrespondenz berichtete Köhlmeier, dass ihn der tiefe Glauben seiner Eltern „stark geprägt“ habe. Seine Mutter sei eine „tiefgläubige“ Frau gewesen, der durch ihren Glauben der Umgang mit ihrer jahrelangen Erkrankung „leichter gefallen“ sei. Auch sein Vater sei ein „sehr gläubiger“ Mann gewesen, der „betend gestorben“ sei. Gleichzeitig habe sein Vater aber auch mit sich gerungen, mehr noch als er dies heute selbst tue, so der Schriftsteller. Von der ritualisierten Wallfahrt seiner Eltern nach Lourdes im Juli jeden Jahres zeigte sich Michael Kohlmeier beeindruckt. Er habe sich selbst schon im Kindesalter mit der Bibel beschäftigt. Vor allem das Neues Testament sei „sehr präsent“ gewesen. Auch im Alten Testament habe er gelesen, dies aber weniger unter dem religiösen Aspekt als vielmehr deshalb, weil ihm die Geschichten gefielen. Bis heute setzt sich Köhlmeier mit der Bibel, die er auch schon für das Radio und in Büchern nacherzählte, auseinander. Die umfangreiche Geschichte von ‚Joseph und seinen Brüder‘ gehöre für ihn „zu den Büchern, die ich in meinem Leben überhaupt am liebsten gelesen habe“. Auch die Hiobs-Geschichte sieht er als „ungemein inspirierend“ sowie als „etwas Ewiges, auch für den gottlosesten Menschen“ an.

Die Auseinandersetzung mit der Figur Jesus haben ihn zugleich „irritiert“ als auch „gerührt“. Als bemerkenswert empfindet er, dass sich eine Figur wie Jesus so lange im Bewusstsein gehalten hat und immer noch Leute inspiriert. Dazu erklärte er:

„Ich meine: Da ist so viel tief Menschliches auf den Punkt gebracht in einer Person.“

Im Glauben gehe es schlussendlich „um das ewige Rätsel, das mit dem Wort Hingabe zu beschreiben ist“. Aber auch diesbezüglich zeigt sich Köhlmeier ambivalent, weil Hingabe auch zu „Fanatismus und Guruanhängertum“ führen könne, aber anderseits „eine Liebe ohne Hingabe gar nicht möglich ist“ und ein Mensch ohne Vertrauen „ein armseliger Mensch“ sei.

Bedeutend ist für Köhlmeier das christliche Menschenbild, auf dem die Aufklärung mit der Erklärung der Menschenrechte fußt. Diesbezüglich begründet er:

„Durch das Christentum gibt es einen Gott, der für alle da ist. Das Entscheidende dabei: Alle Menschen sind gleich, jeder trägt einen göttlichen Funken in sich.“

Auch wenn dieser Gedanke „über die zweitausend Jahre ständig getreten und pervertiert, verfälscht und verleumdet“ worden sei, habe er sich gehalten und sei „der tiefe Kern der Humanität“, ist sich der 72-Jährige gewiss.

Nachdenklich stimmt ihn die Abwendung von der Kirche, die aktuell geschieht, weil dies seiner Meinung nach dazu führen könne, dass sich Menschen, für die Spiritualität wichtig ist, „in verschwurbelte esoterische Kreise zurückziehen“ und infolgedessen „durch das Gequatsche aber dann ihren religiösen Halt“ verlieren. Er selbst habe religiöse Empfindungen in der Natur, in der Liebe und in der künstlerischen Tätigkeit.

Damit die religiöse Verkündigung heute Menschen weiter inspiriert und überzeugt, ist es nach Auffassung von Michael Köhlmeier entscheidend wichtig, dass sie „das Göttliche mit dem unglaublich Großen und allem winzig Kleinen, das wir durch die Naturwissenschaften kennen lernen, in Zusammenhang“ bringt. Dazu betont er:

„Heute zeigt uns die Naturwissenschaft die Größe des Kosmos, dessen Unfassbarkeit und Rätselhaftigkeit. Da muss die Gottesrede ansetzen.“

Ein Gottesbild, das Gott da verortet, „wo man keine Antworten auf die eigenen Fragen findet“, ist in den Augen von Köhlmeier „allerdings immer schon doof“ gewesen. In diesem Sinne sind eben auch Definitionen wie die vom Astrophysiker Stephen Hawking (1942-2018) unzureichend, der Gott als einen Namen für das ansah, was Menschen nicht verstehen. Gott ist mehr als dies und genau da sollte Kirche nach Ansicht Köhlmeiers in ihrer Verkündigung ansetzen.

Quelle: Herder Korrespondenz 3/2022 S. 17-21.