Pater Christoph Kreitmeir: „Gott wird Mensch, weil er die Menschen liebt“
In seiner Predigt für die Christmette 2024 (Erste Lesung: Jes 9, 1-6; Zweite Lesung: Tit 2, 11-14; Evangelium: Lk 2, 1-14) beschreibt unser geistlicher Begleiter Pater Christoph Kreitmeir was es für unser Menschsein bedeutet, dass Gott – der Schöpfer des Alls und allen Lebens – ein kleines Baby wird und damit seine ganz besondere Liebesgeschichte mit den Menschen beginnt.
Anbei die Worte seiner Predigt als Audio-Datei und anschließend im Text-Format:
Wir alle kennen die Botschaft von Weihnachten: Gott wird Mensch!
Das hört sich so lapidar, so einfach an und doch ist es unglaublich und mit dem Kopf nicht nachvollziehbar, dass Gott Mensch werden will. Warum tut er das? Er muss verrückt sein, denn wir wissen doch alle, wie Menschen sein können: Kalt, gemein, grausam, brutal und noch viel Schlimmeres mehr. Menschen können aber auch ganz anders sein: Warmherzig, liebevoll, aufbauend und vieles Gutes mehr.
Gott, der Schöpfer des Alls und allen Lebens ist so verrückt, dass er ein kleines Baby wird und damit seine ganz besondere Liebesgeschichte mit den Menschen beginnt. Dieses Baby wird ein ganz besonderer Mensch, Jesus, der sich nicht scheut, das Schwere, das Leiden und die Schmerzen der Menschen selbst zu erleiden und dadurch das Niedrige und Dunkle ins Licht zu heben und zu erlösen.
Gott wird Mensch, weil er die Menschen liebt und durch sein eigenes heiles Menschsein zeigt und vorlebt, was Mensch-Sein im wahrsten Sinne des Wortes bedeutet.
Es gibt Tage, Wochen und Monate, da lebe ich oberflächlich und dieses Geheimnis der Menschwerdung Gottes berührt mich nicht. Es gibt aber auch Augenblicke, wo es mich ganz tief innerlich erreicht und mir einen Schauer des tiefen Staunens schenkt.
An einem Novembertag erlebte ich dieses Jahr wieder einmal so ein Staunen, ein Aufwachen und Berührtsein. In den Abendnachrichten sah ich einen kurzen Beitrag. Am 7. November wurde einer kleinen fast 103-jährigen Frau in den Bavaria Filmstudios der Bambi in der Kategorie „MUT“ verliehen, Deutschlands Medienpreis Nummer Eins. Als die Dame ohne fremde Hilfe auf die Bühne kam und die Bambistatue für ihren Mut überreicht wurde, sagte sie nur:
„Seid Menschen!“
Das hat mich wirklich innerlich berührt. Eine so einfache Botschaft und doch so bewegend.
Margot Friedländer, die Frau, die geehrt wurde, musste als Jugendliche erleben, wie ihre Familie durch die Nazis als Juden umgebracht wurde. Einige Zeit konnte sie versteckt in Berlin überleben, wurde dann aber doch 1944 ins KZ Theresienstadt gebracht, dort Gott sei Dank befreit und wanderte dann in die USA nach New York aus, wo sie als Änderungsschneiderin arbeitete. Nach dem Tod ihres Mannes schrieb sie ihre Autobiografie nieder. („Versuche, dein Leben zu machen, 2008). Mittlerweile gibt es auch einen Film über ihr Leben.
2010 kehrt sie gegen den Rat ihrer Freundin mit 88 Jahren in ihre Heimatstadt Berlin zurück, um der jetzigen Generation von jungen deutschen Menschen in Schulen und Bildungseinrichtungen ihre Geschichte zu erzählen und dadurch aus erster Hand ein Sprachrohr für all die Ermordeten zu sein, die nicht mehr Zeugnis geben können.
Auf die Frage, die irgendwann ein Journalist ihr stellte, warum sie denn wieder nach Berlin kam und ob das nicht verrückt sei, lächelte sie in ihrer ganz eigenen Weise und bestätigte dies. Ja, es ist verrückt, es ist aber notwendig, damit der Mensch erkennt, wie wertvoll er sein kann.
Dieses „Seid Menschen!“, das sie bei der Preisverleihung Anfang November 2024 sagte, geht auf das Jiddische zurück, einer besonderen Mischsprache der (ost-)europäischen Juden. Menschsein bedeutet hier, dass jemand Charakter hat, rechtschaffen, glaub- und vertrauenswürdig ist, tapfer und achtsam. Wenn im Jiddischen das Wort „Mentsch“ verwendet wird, dann immer mit Respekt. Es hat sogar seinen Weg ins Englische gefunden: „Be a real Mensch – sei ein echter Mensch!“
Ein echter, ein wirklicher, ein guter Mensch hat auch Mut, Mut das Richtige zu tun, selbst wenn es ihm Nachteile bringt oder verrückt erscheint.
Diese Ver-rückt-sein fällt mir an diesem Weihnachtsfest auf.
Eine uralte jüdische Frau ist verrückt genug, dieser verrückten Welt das Bild eines aufrichtigen Menschen als Orientierungshilfe zu geben und vorzuleben.
Gott ist verrückt genug, aus Liebe zu den Menschen, selbst Mensch zu werden, damit Heilung von der Wurzel her geschehen kann.
Deshalb werde ich heute Ihnen und in den nächsten Tagen den Patienten und Patientinnen bei meinen Krankenbesuchen ein kleines Jesuskind schenken, das Sie wie einen Handschmeichler in ihrer Hand halten können. Die kleine Figur zeigt Ihnen dann: Gott kommt auch in dein Leben, an dein Krankenbett, denn er will Dir helfen, Mensch zu werden. Mensch zu werden in guten, aber auch in schweren Tagen. Er ist solidarisch an Deiner Seite, er erinnert Dich an Deine Würde und Deine Stärke und tröstet Dich. Dadurch kannst Du neuen Mut schöpfen. AMEN.
„Sej a Mentsh – Sei ein Mensch“
Amen.
Foto: Pater Christoph Kreitmeir