Pater Christoph Kreitmeir: „Jesus hält immer wieder das ‚Geheimnis Gott‘ hoch“
In seiner Auslegung zum heutigen Sonntagsevangelium (Mk 6,1-6), in dem Jesus erklärt, dass der Prophet in der eigenen Heimat wenig gilt, geht unser geistlicher Begleiter Pater Christoph Kreitmeir auf den Widerspruch einer engen Religiosität ein, wenn diese einen Gott und eine Religion will, den und die sie einschätzen können. Jesus hingegen hält immer wieder das „Geheimnis Gott“ hoch.
Hier die Worte seiner Predigt zunächst als Audio-Datei und anschließend im Text-Format:
Zu welcher Sorte von Menschen gehören Sie? Zu denen, die alles gerne geordnet haben, bei denen alles seine Ordnung hat und die dadurch einen guten Überblick haben über Dinge, Unterlagen, Vorgänge und vieles mehr? Oder gehören Sie eher zu den Menschen, die eine gewisse Unordnung pflegen, sich in ihrem Chaos mehr oder weniger auskennen und trotzdem im Großen und Ganzen gut durch´s Leben kommen?
Warum ich frage? Na ja, weil ich persönlich von beidem etwas habe, oft gerne eine genauere Ordnung pflegen würde, dann aber wieder mit dem Bruchstückhaften ganz gut zurecht komme. Das ist aber nicht der eigentliche Grund meiner Frage.
Die Situation, dass man auch Menschen in Charaktäre, in bestimmte Persönlichkeiten, in Temperamente oder überhaupt in Schemata einordnen kann, ist ein Teil unserer Alltagspraxis. Das tun wir mehr oder weniger und nicht selten mit einer Küchenpsychologie oder gewissen Vorurteilen. Nur, weil jemand einen Doktortitel hat, muss er noch lange kein guter Mensch sein oder, weil jemand gut aussieht und sich gut kleidet, muss sie noch lange nicht oberflächlich oder abgehoben sein.
Ordnungssysteme, Schubladen, Einordnen und Abschätzen sind im Leben wirklich wichtig.
Im Umgang mit Menschen kommen aber Erfahrung, Herzensbildung und vor allem immer wieder der Überraschungsmoment hinzu, dass meine Einschätzung sich auch gehörig täuschen kann.
Gefährlich und lebenshinderlich wird es, wenn Menschen unserem Bild von ihnen entsprechen müssen, wir sie in eine Schublade unserer Vorurteile und Einschätzungen einsperren und sie dadurch am Leben und Wirken hindern. Schon das Gebot „Du sollst Dir kein Bild machen!“ gilt nicht nur dem Gottesbild gegenüber.
Unsere Alltagsvorurteile behindern und verhindern Leben.
Eigentlich müssten wir es nur spüren, wie es uns selbst geht, wenn jemand uns in seine Schubladen steckt, wie weh das tun kann. Dann würden wir es vielleicht selbst weniger tun.
Auch Jesus musste Ähnliches erfahren. In seiner Heimatstadt kam ihm eine Wand von Vorurteilen, von „Wir kennen ihn doch“ und „Was nicht sein darf, das kann auch nicht sein“ entgegen, die er kaum durchbrechen konnte. Es heißt: „Und er konnte dort keine Machttat tun, nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie.“
Vielleicht liegt es daran, dass dem wirklich Kranken es egal ist, wer oder was mich heilen könnte, Hauptsache er tut es. Wirklich kranke Menschen sind Bedürftige, deren Vorurteile in den Hintergrund treten, deren Sehnsucht nach Gesundung über allem steht.
Jesus geht es aber primär nicht um Krankenheilungen und ähnliches, er will das Anbrechen des Reiches Gottes verkünden und beginnen. Jesus will die Menschen zu Gott, dem Ursprung und dem Ziel allen Seins hinführen. Wollen die Menschen das aber?
Nicht nur die Landsleute Jesu, allen voran die Schriftgelehrten, Pharisäer und Gesetzeslehrer hatten ihre festen Vorstellungen von Gott, religiösem Leben, dem, was erlaubt und was eben nicht erlaubt war. Jesus provozierte mit seinem Reden, Handeln und Tun aber immer wieder Widerspruch.
Jesus hält immer wieder das „Geheimnis Gott“ hoch, die Menschen wollen aber einen Gott und eine Religion, den und die sie einschätzen können. Auch von einem Messias, der da kommen soll, haben sie klare Vorstellungen…
Damit handeln sie permanent gegen das „Bilderverbot“ und es ist ihnen auch egal. Leben muss funktionieren und wenn da einer kommt, der alles immer wieder in Frage stellt oder noch mehr den Menschen einen Spiegel vorhält … So jemand ist nicht beliebt. Den muss man zurechtstutzen, in Schranken weisen und, wenn´s nicht anders geht, beseitigen.
Der deutsche Mystiker Meister Eckhart drückte dies einmal sehr pointiert aus: „Gott gebrauchen, heißt, ihn töten.“ Wir können und dürfen Gott nicht vereinnahmen und auf unser Maß zurechtstutzen. Das Gleiche gilt für den Menschen und besonders für den Messias Gottes. (Karl Kern, Glaube als Zumutung. Christsein mit Markus. Predigten in St. Michael München, Straubing 2020, 79.)
Jesus hält das im Menschen aufrecht und lebendig, was ihn eigentlich erst zu wahrem Menschsein aufblühen lässt: Die Sehnsucht!
Die Sehnsucht, dass Leben mehr ist als Ordner, Schablonen und Schubladen. Die Sehnsucht, dass Gott größer, lebendiger und mit seiner „Andersartigkeit“ viel weiter ist als verfasste Religionsgebäude. Die Sehnsucht, dass sich das Leben mit all seiner Vitalkraft durch allen Asphalt, Beton und Vorurteilen hindurchsprossen wird.
„Die Sehnsucht nach Leben, das sich entfaltet und über sich hinausweist, ist letztlich die Sehnsucht nach Gott. Auf diese umfassende Sehnsucht reagierte Jesus. Dann können Wunder geschehen. Gott ist Ursprung und Ziel für das Ausschwingen unserer unstillbaren Sehnsucht nach Leben. Sie macht den Menschen erst zum Menschen. Diese Sehnsucht nach dem Gott des Lebens hat Jesus in Nazareth vermisst. Darum konnte er dort keine Wunder wirken, weil die Resonanz fehlte.“ (Karl Kern, ebd., 80)
Deshalb ging er weiter, gab nicht auf, lehrte nicht nur seine Jünger, sondern entfachte in ihnen echte Glaubens- und Lebenssehnsucht, die ihnen die Kraft gab, in seinem Sinne zu handeln. Und diese ganz besondere Kraft, die von ihm ausging, geht auch heute noch von ihm aus, und beseelt auch heute Menschen, Jesu Geist und Intention hier und jetzt lebendig werden zu lassen.
Amen.