Pater Christoph Kreitmeir: „Wir Christen sollten uns fragen, warum unsere Schätze so im Dunkeln liegen“

Seine Auslegung vom heutigen Sonntagsevangelium über den blinden Bartimäus (Mk 10,46-52) stellt unser geistlicher Begleiter Pater Christoph Kreitmeir unter das Thema „Achtsamkeit lernen“. Dabei begibt er sich in den interreligiösen Dialog und lässt sich von der buddhistischen Haltung zur Achtsamkeit in seiner christlichen Wachsamkeit inspirieren.

 

Anbei die Worte seiner Predigt als Audio-Datei und anschließend im Textformat: 

 

 

Ab und zu kann ich mich mit meinem jungen Priesterkollegen hier in der Klinikseelsorge über unsere Predigtideen zum nächsten Sonntagsevangelium austauschen. Das sind immer wieder inspirierende Gespräche für uns beide. Dieses Mal erzählte er mir von einer Begegnung mit einem Verkäufer in einem großen Fahrradladen hier in Ingolstadt. Mein junger Kollege ist durch seinen Priesterkragen leicht und schnell als kath. Priester erkennbar. Irgendwie ging es dann im Gespräch zwischen dem jungen Geistlichen und dem Verkäufer nicht nur um Fahrräder, sondern um das Mitteilen des Verkäufers, dass er gläubiger Buddhist geworden sei. Auf die Frage des Geistlichen, wie sich das im Tun äußere, gab dieser eine Antwort, die aufhorchen lässt: „Jetzt gerade praktiziere ich meinen Glauben.“

„Wie?“, war die Frage. Seine Antwort: „Indem ich nun ganz für Sie da bin.“

Hinter dieser Antwort steht die buddhistische Lehre und Praxis der Achtsamkeit. Ganz im jetzigen Moment sein, ganz beim Gegenüber sein, achtsam alles wahrnehmen und gleichzeitig ganz bei sich sein.

Diese innere Haltung der Achtsamkeit ist der christlichen Haltung der Wachsamkeit und des liebevollem Beim-anderen-sein im Kern verwandt.

Schön wär´s, wenn wir so handelten, aber meistens sind wir mit unserer Wahrnehmung ganz woanders und nicht im Hier und Jetzt. Das passt auch zu dem berühmten Ausspruch von Ödön von Horváth: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“

Die Jünger Jesu begleiten Jesus auf seiner Wanderschaft und lernen dabei stetig hinzu, wie sie sich verhalten sollten, es aber oft aus was für Gründen auch immer nicht tun. Einmal ist es Befangensein, ein andermal der Wunsch, Jesus vor allzuviel Beanspruchung durch die Menschen zu schützen, und wieder ein anderes Mal ist es Gedankenlosigkeit oder Hektik.

Der blinde Bartimäus will wahrgenommen werden, er merkt, dass der Heiler Jesus vorbeigeht und macht auf sich aufmerksam.

Er ruft laut nach Jesus, dem Sohn Davids. Dieser Ruf allein würde schon aufhorchen lassen, da er beinhaltet, dass der Blinde glaubt, dass dieser Jesus der Messias ist oder zumindest sein könnte. Die Menschen und auch Jesu Jünger empfinden das Geschrei des Blinden als lästig und befehlen ihm, zu schweigen. Der aber schreit nur noch lauter, um ja nicht seine Chance der Heilung zu verpassen. Jesus hält an, gibt Anweisung, ihn herzurufen und jetzt gibt es eine Verbindung von ganz vielem: Achtsame Wahrnehmung, klares Nachfragen, was Bartimäus genau will, was Jesus für ihn tun soll, die klare Antwort: „Ich möchte sehen können“, die Heilung der Blindheit und das Sehen-können, bei Bartimäus körperlich und seelisch und bei den Leuten und Jüngern Jesu im Sinne von: Ja, wir sehen, Jesus ist der Messias!

Die Begegnung meines jungen Kollegen mit dem Fahrradverkäufer, der sich in buddhistischer Achtsamkeit übt, ist eine neue Variante eines positiven Dialoges zwischen den Religionen.

Wir Christen sollten uns schon die Frage stellen und stellen lassen, warum unsere Schätze so im Dunkeln liegen, Menschen sie nicht mehr finden und sich anderen „Anbietern“ zuwenden.

Wir sollten wachsam und achtsam hinhören und hinsehen, denn die Zeichen der Zeit sind auch für uns, die wir den Reichtum unseres Glaubens neu sehen können wollen – frei nach Bartimäus – Anfragen an uns, an unseren Glauben und an unser Tun.

Schauen wir doch einmal kurz in den Schatz des Buddhismus, wo die Achtsamkeit die Voraussetzung von allen gelingenden menschlichen Begegnungen ist. In der buddhistischen Philosophie bezeichnet sie einen Zustand von Geistesgegenwart, in dem ein Mensch hellwach die gegenwärtige Verfasstheit seiner direkten Umwelt, seines Körpers und seines Gemüts erfährt, ohne von Gedankenströmen, Erinnerungen, Phantasien oder starken Emotionen abgelenkt zu sein, ohne darüber nachzudenken oder diese Wahrnehmungen zu bewerten.

Die Achtsamkeit ist das 7. Glied des edlen achtfachen Pfades

  1. Rechte Einsicht/Anschauung à Erkenntnis
  2. Rechte Gesinnung/Absicht à Denken à Entschluss
  3. Rechte Rede
  4. Rechte(s) Handeln/Tat
  5. Rechter Lebenserwerb/-unterhalt
  6. Rechte(s) Streben/Üben/Anstrengung
  7. Rechte Achtsamkeit/Bewusstheit
  8. Rechte Sammlung/Konzentration à Versenkung

Achtsamkeit ist im Buddhismus auch der erste Punkt der sieben Faktoren des Erwachens (Achtsamkeit, Wahrheitsergründung, Willenskraft/Beharrlichkeit, Freude, Gestilltheit/Gelassenheit, Sammlung und Gleichmut) sowie die dritte Fähigkeit der insgesamt Fünf Fähigkeiten: Vertrauen, Energie, Achtsamkeit, Sammlung und Weisheit.

Lasst uns achtsamer und wachsamer für das Leben um uns herum und in uns werden!

Amen.

 

Anbei ein Song, der die Worte der Predigt von Pater Christoph Kreitmeir, schön zum Ausdruck bringt: