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Pater Dr. Peter Uzor: „Auf Jesus zeigen, das ist die Aufgabe von Kirche!“

In seiner Auslegung der heutigen Sonntagslesungen (Jes 40,1-5.9-11 + 2.Petr 3,8-14) und zum Sonntagsevangelium (Mk 1, 1-8) beschreibt unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor, was das Vorbild des Johannes d. T. für uns heute und insbesondere in der Adventszeit bedeutet.

 

Anbei die Predigt zum zweiten Adventssonntag von Pater Dr. Peter Uzor, die er unter die Überschrift „Johannes, der Pionier“ stellt:

 

Was haben Christoph Kolumbus, Charles Darwin, Albert Einstein und Johannes der Täufer gemeinsam? Meine Antwort lautet: Sie alle waren Pioniere in ihrem „Fach“ gewesen! Der Begriff leitet sich ab aus dem französischen Wort „pion“ (lateinisch pes, der Fuß), „Fußsoldat“. Er hat ursprünglich Soldaten bezeichnet, die an vorderster Front den Vormarsch einer Armee gefördert haben, indem sie Wege und Brücken gebaut haben. Er bezieht sich im übertragenen Sinn auf Männer und Frauen, deren Entdeckungen und Forschungsergebnisse einen Erkenntnisschub für einen bestimmten Wissenschaftszweig bewirkt haben. Er hat in diesem Sinn die Bedeutung von „Wegbereiter“ und „Bahnbrecherin“.

Pioniere hat es auf allen Gebieten der Wissenschaft gegeben: Christoph Kolumbus und James Cook waren Entdecker; sie haben sich als erste über die Weltmeere in noch unbekannte Regionen der Erde vorgewagt. Ingenieure und Techniker wie Otto Lilienthal oder die Brüder Wright waren Pioniere der Luftfahrt, die der Menschheit die Bewegung in der dritten Dimension erschlossen haben. Charles Darwin und Alexander von Humboldt haben mit ihren naturwissenschaftlichen Beobachtungen, Analysen und Experimenten die Grundlagen für eine neues Menschheits- und Naturverständnis geschaffen. Albert Einstein hat das Verständnis von Raum und Zeit durch seine Relativitätstheorie revolutioniert. Werner Heisenberg hat ebenso wie Lise Meitner Bahnbrechendes auf dem Gebiet der Kernforschung geleistet. Man könnte noch viele solcher Pioniere aufzählen …

Auch Johannes der Täufer war ein Pionier, ein Wegbereiter, einer, dessen Wirken bahnbrechend gewesen ist.

Er hat sich in die harte Einsamkeit der Wüste zurückgezogen und dort ein strenges Leben der freiwilligen Armut und Askese gelebt. „Wüste“ ist in der Bibel ja mehr als nur eine geographische Angabe, mehr als nur ein eintöniger, einsamer Ort, fernab vom Alltagsgetriebe.

„Wüste“ ist ein uralter Ort der Begegnung der Menschen mit Gott.

Das Volk Israel hat es zweimal erlebt, dass Gott es durch die Wüste in die Freiheit geführt hat: ganz am Anfang, als es aus Ägypten ausgewandert ist, und später, als es aus der babylonischen Gefangenschaft heimgekehrt ist.

Daran erinnern die Worte aus dem Alten Testament, die im heutigen Evangelium zitiert werden. Sie alle träumen von einer Prachtstraße, die für Gott gebaut werden soll. „In der Wüste bahnt den Weg des Herrn, ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott“ (Jes 40,3). Das klingt nach einem „Highway“, einer Autobahn, die für Gott gebaut werden soll, damit er gut und schnell vorankommt. „Jedes Tal soll sich heben, jeder Berg und Hügel sich senken“ (Jes 40,4). Das klingt nach einer breiten, ebenen Empfangsstraße, die möglich macht, dass Gott nicht steckenbleibt, sondern gut durchkommt.

Diese Worte und Weisungen aus dem Alten Testament beginnen sich jetzt im Auftreten des Täufers zu erfüllen.

Johannes ruft die Menschen zum „Umdenken“, zur Umkehr auf.

Er sagt ihnen: Ihr müsst euch ändern! Hört auf mit euren krummen Touren! Bereitet euch vor! Bringt alles ins Reine! Was ihr verkehrt gemacht habt, das bringt in Ordnung! Hütet euch vor der schiefen Bahn! Strengt euch an, dass ihr aufrichtig und gerade lebt!

Und das Erstaunliche: Seine Stimme verhallt nicht in der Leere der Wüste. Er wird gehört! Er war wohl ein charismatischer Prediger, der die richtigen Worte zur richtigen Zeit fand. Wenn wir heute aufgerufen werden, in seine Fußstapfen zu treten, müssen wir zuerst um diese Gabe bitten. Dann können wir in unserem Umfeld, in der Familie, in der Gemeinde, am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft als Rufer wirken. Wenn wir auch nicht massenweisen Erfolg haben werden: Den einen oder anderen können auch wir zur Besinnung bringen.

Johannes konnte eine ansehnliche Jüngerschar um sich versammeln. Er setzt „ganz Judäa und alle Bewohner Jerusalems“ (Mk 1,5) in Bewegung. Fromme und Sünder, einfache Leute und Gelehrte ziehen zu ihm in die Wüste hinaus. Sie sind bereit, ihre Fehler zuzugeben, ihre Sünden zu „beichten“, sie ihm zu bekennen und sich von ihm im Jordan untertauchen lassen.

Die Taufe im Jordan wäscht – wie der Durchzug durchs Rote Meer beim Auszug aus Ägypten – das Vergangene ab und macht aufnahmefähig für das Neue, das den Menschen verheißen wird.

Das Neue? Johannes zeigt wie mit einem riesigen Finger – so stellt ihn der Maler Matthias Grünewald auf dem Isenheimer Altar dar – auf Jesus, der „nach ihm kommt“ und der „Stärkere“ ist (Mk 1,7). Viele Menschen glaubten ja, in Johannes schon den verheißenen Messias zu sehen. Es wäre für ihn aufgrund seiner Popularität sicherlich ein Leichtes gewesen, Menschen auf sich hin zu sammeln. Er aber will kein Guru sein, der Menschen an sich bindet. Er will „Stimme“ (Mk 1,3) sein, ganz auf Gott und seinen Gesandten Jesus verweisen. Er will Helfer, Wegbereiter und Wegbegleiter sein, will Gott nicht im Weg stehen, sondern den Weg zu ihm zeigen. Es macht ihm Freude, wenn er dazu dienen kann, dass andere zum Glauben finden.

Johannes zeigt auf Jesus und sagt: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ Auf Jesus zeigen, das ist die Aufgabe von uns auch als Gemeinschaft der Kirche.

Wir sind oft in der Versuchung, um uns selbst zu kreisen. Auch bei uns gibt es charismatische Menschen, die sich im Glanz ihrer Erfolge sonnen. Aber die Kirche ist kein Selbstzweck, ihre Aufgabe ist es, auf Jesus zu zeigen, ihm den Weg zu bereiten. Zurücktreten, damit er hervortreten kann, das ist das Vorbild des Johannes.

Jesus, der Stärkere, lässt sich von Johannes im Jordan taufen. Diesem Akt der Demut Jesu entspricht die Demut des Täufers: Er hält sich nicht für würdig, dem kommenden Messias niedere Dienste zu leisten (vgl. Mk 1,7). Er fasst seinen Dienst als Wegbereiter in den Worten zusammen: „Ich habe euch mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligem Geist taufen.“ (Mk 1,8) Er disqualifiziert damit nicht die von ihm gespendete Taufe, aber er relativiert sie und betont, dass das Eigentliche noch aussteht.

Johannes ist Wegbereiter Jesu – aber nicht allein durch seine Botschaft, sondern auch durch sein Schicksal: Er hält im wörtlichen Sinn seinen Kopf für Jesus hin. Er teilt mit ihm das gewaltsame Lebensende. Sein Einsatz kostet auch ihm das Leben (vgl. Mk 1,14; Mk 6,17-29).

Johannes kündigte das Kommen des verheißenen Messias an. Dieser Messias ist dann vor 2023 Jahren in Betlehem geboren worden. Was soll dann der Auftrag an uns, dem Herrn den Weg zu bereiten, wenn er doch schon da war? Da zeigt uns der Petrusbrief, den wir in der zweiten Lesung gehört haben (2 Petr 3,8-14), was Advent auch noch bedeutet. Jesus war tatsächlich hier, aber er ist nach seinem Tod und seiner Auferstehung wieder zum Vater zurückgekehrt. „Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“, so bekennen wir gläubig.

Advent heißt also nicht nur, auf die Geburt Jesu in Betlehem zu warten – die war ja schon, und diesen Geburtstag sollen wir natürlich feiern. Advent heißt aber auch, auf sein Wiederkommen in Herrlichkeit zu warten.

Und da dürfen wir den Auftrag des Johannes wieder ernst nehmen: Rufer in der Wüste zu sein, um dem Herrn den Weg zu bereiten. Wann er kommen wird, wissen wir nicht. Es kann morgen sein oder in weiteren zweitausend Jahren. Wir sollen so leben, dass er uns „ohne Makel und Fehler“ antrifft, wenn er kommt. So bekommen Umkehr und Vergebung der Sünden, die Johannes predigt, im Advent ihren Sinn.

Zugegeben: Johannes der Täufer hat nicht, wie die am Anfang erwähnten Wissenschaftlerinnen und Forscher, bahnbrechende Entdeckungen und Erfindungen gemacht. Er hat auch keinen Nobelpreis für sein Wirken erhalten. Und trotzdem:

Johannes der Täufer ist ein bedeutender Pionier gewesen, ein Pionier in der Geschichte Gottes mit den Menschen.

Er ist der Finger Gottes am Anfang des Evangeliums. Der verlässliche und demütige Zeuge, der den Weg für den Messias bereitet. Der Mann des Übergangs, der im Gewand des alttestamentlichen Propheten zum Propheten des neuen Bundes Gottes mit den Menschen wird. Der Verkünder der ersten Stunde, der damals in der Wüste gepredigt hat und der heute Sie und mich persönlich anspricht: „Bereitet den Weg des Herrn“ (Mk 1,3)!