Pater Dr. Peter Uzor: „Jesus stellt sich bewusst in die Reihe der Opfer dieser Welt“

Zu Jesu Todesstunde am Karfreitag um 15 Uhr gedenken wir, was Jesu Sterben für Christen bedeutet. Seine Auslegung zum Evangeliumstext zum Karfreitag (Joh 18,1 – 19,42) stellt unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor unter die Überschrift „Die Macht der Ohnmacht“.

 

Anbei die Worte seiner Predigt:

 

Auf Schulhöfen und in Klassenzimmern sehen und hören wir immer wieder Streitigkeiten und eskalierende Konflikte. Manchmal wird einer dann „Opfer“ genannt. „Du Opfer!“ Du Opfer, damit will gesagt werden, du kleiner Wurm, du machtloses Würstchen, du ohnmächtiges Nichts! Auf der einen Seite die scheinbar Starken und Mächtigen, auf der anderen Seite das Opfer, der Unterlegene, der Besiegte, der Verlierer! Du Opfer, damit charakterisieren Menschen andere zu willfährigen Objekten ihrer Macht und versuchen den anderem sein Subjekt-Sein zu rauben, mindestens zu minimieren. Die Machtfrage ist im Opfer-Täter-Schema eindeutig. Der Täter oben, das Opfer unten, ganz unten!

In der Passionsgeschichte scheint Jesus ein solches Opfer zu sein.

Bis auf die Knochen blamiert, bloßgestellt, gedemütigt, verlacht, verhöhnt, erniedrigt! Nicht nur die jüdischen Theologen treiben ihren Spott mit ihm, auch Herodes, der jüdische König und die Römer degradieren Jesus zum Objekt ihrer Gewaltphantasien und Machtgelüste! Eine unheilvolle Allianz von Thron und Altar, einig nur in einem: Jesus mundtot zu machen, seiner Würde und Souveränität, wie sie jedem Menschen aufgrund seiner Gottebenbildlichkeit zukommt, zu rauben. Ganz und gar der Lächerlichkeit, dem Spott und Hohn preisgegeben: „Seht welch ein Mensch!“ („Ecce homo!“) und „Andere hat er gerettet, er rette jetzt sich selbst, wenn er doch der Gesalbte Gottes ist, der Auserwählte.“ Die Machtfrage ist gestellt und scheinbar beantwortet. Ein Gott, der ohnmächtig, aller Macht beraubt am Kreuz hängt; ein Gott, der Opfer ist, kann nicht Gott sein!

Jesus stellt sich bewusst in die Reihe der Opfer dieser Welt und solidarisiert sich mit seinem Kreuzestod total mit ihnen!

Den unzähligen Kindern, die unter menschenunwürdigen Zuständen aufwachsen müssen. Den unzähligen Frauen, die unterdrückt und beherrscht werden von patriarchalen Strukturen und Männern, die ihr kleines, mickriges Ego durchsetzen meinen zu müssen, indem sie Gewalt, Zwang und Macht ausüben. Den vielen, die Opfer von Gewalt, Hass, Terror und Fundamentalismen jeglicher Art sind. Den Opfern eines ungerechten Wirtschaftssystems (Papst Franziskus 2013 in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“: „Diese Wirtschaft tötet“). Den Opfern der Klimakatastrophe.

Ja, Jesus stellt sich an ihre Seite und macht damit deutlich, welchen Gott er verkündet!

Nicht den erhabenen, über alle Welt herrschenden, ewigen, unveränderlichen, allmächtigen Gott, sondern einen, der sich nicht zu schade ist, die Ohnmacht der Menschen, die Opfer dieser Welt sind, zu tragen, zu ertragen und ihnen einen Liebesbeweis zu schenken, der nicht dichter, intensiver und wirksamer sein könnte.

Wer die Passionsgeschichte genau betrachtet, wird feststellen: Ja, Jesus wird zum Opfer, aber keineswegs wie die Opfer dieser Welt, denn der scheinbar ohnmächtige, machtlose Jesus wirkt bis in den letzten Augenblick seines Leidens nicht passiv, sondern (sonderbar) souverän.

Die Würde und die Souveränität dieses sterbenden Jesus beeindrucken mich

  • wenn er um Vergebung für die bittet, die seinen Tod herbeiführen – weil sie nicht wissen, was sie tun;
  • wenn er im eigenen Sterben noch die Not des einen Menschen anerkennt, der mit ihm gekreuzigt wird, und ihm zuspricht, er werde noch heute mit ihm im Paradies sein.
  • wenn er kurz vor seinem Tod die Bitte an seinen Freund Johannes richtet, seine Mutter zu sich zu nehmen …

Jesus stirbt am Kreuz, aber nicht fatalistisch erduldend, sondern aktiv wirkend im Passivsein, weil ER sich dem Tod übergeben lässt, ihm nicht ausweicht, ihm begegnet und ihn aushält.

Indem Jesus den Tod erleidet und so Teil des Todes wird, überwindet er ihn zugleich. In der Tiefe des Geschehens von Karfreitag liegt die Erhöhung, die Jesus zum Christus einsetzt, zum Gesalbten, zum Messias auch über den Tod. Kein Opfer der Verhältnisse, sondern ein Mensch, der sich „opfert“ (eine Selbsthingabe aus souveräner Freiheit heraus).

Macht ist die Möglichkeit, in das Leben anderer einzugreifen. Machtlosigkeit oder Ohnmacht ist die Unfähigkeit, in das Leben anderer einzugreifen. Indem Jesus das Sterben und den Tod erfuhr und aushielt, griff und greift er in das Leben von uns Menschen ein.

Im Ertragen und Überwinden des Todes liegt für mich die unbegreifliche, unbeschreibliche Machtdemonstration Jesu, eine Machtdemonstration aus purer Liebe!

Die Souveränität und die Würde des Sterbens Jesu und sein Tod haben einen Einfluss auf mein Leben heute – aber auch auf mein Sterben und meinen Tod. Wenn ich darauf vertrauen kann, dass Gott ein Gott des Lebens und nicht des Todes ist, dann bin auch ich nicht Opfer dieser Wirklichkeit, auf die ich ohne jede Hoffnung zusteuere. Ja, der Tod markiert das Ende meines hiesigen Lebens, und ich werde ihm auf keinen Fall entgehen können. Das ist unverrückbare Gewissheit eines jeden Lebens. Doch die Art des Sterbens Jesu macht mir Mut und schenkt mir Zuversicht, dass nicht Bitterkeit, nicht Hass und Frust und auch nicht Zorn das Letzte sein müssen, wenn das Leben zu Ende geht.

Zu sterben ist uns ins Leben gegeben; die Art und Weise, wie wir dies tun können, leuchtet uns aus dem Dunkel des Karfreitags entgegen: In Jesu Sterben und Tod liegt jene Macht bereit, die unser Leben beeinflusst.

Lassen wir uns von dieser Würde, von dieser Macht berühren. Lassen wir uns in aller Machtlosigkeit und Ohnmacht dieses tröstende Geschenk immer wieder von Neuem schenken. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Es ist das Leben, das Gott uns schenkt, so abgründig verborgen diese Botschaft auch heute sein mag, sie ist der Kern des heutigen Karfreitags: die Macht der liebenden Ohnmacht schenkt uns Leben, wir sind nicht die Opfer einer dunklen (Schicksals-)Macht, sondern im Sterben und Tod in Gottes Liebesmacht geborgen. Amen.

Anbei der Song „Fürchte dich nicht“ von Samuel Harfst, der die Worte von Pater Peter nachklingen lässt: