Pater Dr. Peter Uzor: „Versäume nicht Gottesnähe“
Seine Auslegung der Lesung (Gen 18,1-10) und des heutigen Evangeliums (Lk 10,38-42) stellt unser geistliche Begleiter Pater Dr. Peter Uzor, der nächsten Sonntag nach 22 Jahren aus der Pfarrei Ebersdorf bei Coburg verabschiedet wird und seine neue Stelle in Bad Füssing antreten wird, unter die Überschrift: Von Gastfreundschaft, Geschwisterkonflikten und Gutem!
Anbei die Worte der Predigt von Pater Peter:
Wir können nur erahnen, wie viele Jahrhunderte zwischen der Erzählung der Erscheinung Gottes bei Abraham (Gen 18,1-10) und der Geschichte Jesu mit den Schwestern Maria und Marta (Lk 10,38-42) liegen. Die beiden Geschehnisse unterscheiden sich aber nicht nur erheblich in der Zeit, in der sie sich ereignen, sondern auch im jeweiligen Schluss, auf den sie hinauslaufen: Gegenüber Abraham ergeht eine göttliche Verheißung: „Da sprach er: In einem Jahr komme ich wieder zu dir. Siehe, dann wird deine Frau Sara einen Sohn haben“ (Gen 18,10). Dies klingt so unglaublich, dass Sara, der ein Kind verheißen wird, lachen muss.
Am Ende der Erzählung des Aufenthalts von Jesus bei Maria und Marta ergeht keine Verheißung. Im Gegenteil: Jesus tadelt Marta und scheint ihr vor den Kopf zu stoßen: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden“ (Lk 10,42).
Hier Verheißung, dort Tadel, unterschiedlicher geht es wohl nicht. Dabei geht es aber doch in beiden Erzählungen um etwas Gemeinsames: um das hohe Gut der Gastfreundschaft.
Kaum hat Abraham erblickt, dass sich drei Männer nahen, spricht er ehrfürchtig den Herrn an und bietet ihnen etwas zu essen an. Er legt sich mächtig ins Zeug, erteilt seiner Frau Aufträge, übergibt seinem Knecht ein Kalb zum Schlachten und bereitet es selber zu. Während seine Gäste essen, wartet er ihnen auf, das heißt er bedient sie als guter Gastgeber. Und das Wohlwollen dessen, den er bewirtet, wird ihm in Form einer Verheißung zuteil.
Auch Marta weiß um das hohe Gut der Gastfreundschaft. Als Jesus mit seinen Jüngern in ihr Dorf kommt, nimmt sie ihn gastlich auf, wie Lukas uns berichtet. Und auch sie wird sich mächtig ins Zeug gelegt haben, denn sie „war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen“ (Lk 10,40). Nach einer gewissen Zeit geht sie zu Jesus und beschwert sich bei ihm: „Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen!“ (Lk 10,40).
Woran liegt es, dass Marta daraufhin weder eine Verheißung zu Teil wird, noch Jesus ihre Schwester bittet, ihr zu helfen?
Die vertraute Geschichte von den beiden Schwestern Marta und Maria, führt bei manchen vielleicht immer wieder zu leichtem Schulterzucken. Menschen sind verschieden. Wir alle wissen das. Wir wissen auch um unsere persönlichen Stärken und Schwächen. Im Idealfall können wir uns ergänzen. Manchmal sind wir eher Martha, manchmal eher Maria. Die Situation ist eine typische Frauensituation vor 2000 Jahren, doch immer noch aktuell. Wären es zwei Brüder, könnten wir sie Martin und Mario nennen. Die haben auch viel zu tun, wenn geschätzte Gäste kommen. Heute wäre das – vorbereiten, Holz hacken, anheizen, grillen, zapfen und bewirten, Nachschub holen – um beim Bild des Gastmahls zu bleiben. Ich denke, auch Sie, liebe Brüder, kennen äquivalente Situationen, wo man vor lauter Pflichtbewusstsein Gefahr läuft, das Wesentliche zu verpassen. Doch brauchen und wollen unsere Nächsten das alles wirklich und sofort? Oder überschütten wir sie unnötig?
Die Situation scheint recht klar: Jesus ist mit seinen Jüngern zu Besuch, eine hohe Ehre für das Haus, es gibt jede Menge zu tun. Aber nur eine der beiden Schwestern, denen das Hauswesen obliegt, Martha, kümmert sich pflichtbewußt um die traditionelle, ehrende, aufwendige Gastfreundschaft, sie spult das geforderte Programm ab. Die andere, Maria, hängt an Jesu Lippen, sucht seine Nähe, tut anscheinend nichts und kriegt nachher sogar noch recht. Das kann ganz schön frustrierend sein.
Wer könnte Martas Klage und Bitte um Unterstützung nicht verstehen? Oft funktionieren wir auch wie Marta – arbeiten ab, was getan werden muss – obwohl uns eigentlich anderes wichtiger scheint. Wir alle haben Pflichten, akzeptieren sie meistens, erledigen sie, oft für andere, für Familie und Gemeinschaft, also nichts egoistisches, sondern mit hehren Motiven. Etwas Murren und Klagen macht es oft leichter. Vielleicht erbarmt sich doch noch jemand und macht mit. Ein Familienfest, Jubiläum, Besuch – auch ein Pfarrfest, eine Agape, eigentlich alles schöne, erwünschte Anlässe. Sie fordern unseren Einsatz, brauchen einen Rahmen. Wir alle kennen das. Manchmal wird es uns zuviel, vielleicht auch unseren Gästen, die lieber mit uns sprechen möchten. Vor lauter Arbeit, Vorbereitung, organisieren, kochen, backen, Deko … können wir das Zusammensein mit den Gästen, auf die wir uns so gefreut haben, kaum mehr genießen. Für Zuwendung, Zuhören und Austausch bleibt kaum Zeit. Doch Jesus sagt: Maria hat das Bessere gewählt.
Jesus ist nicht unfreundlich zu Martha, er ist nicht gegen Gastfreundschaft, freundlichen Empfang und gute Bewirtung, er stellt nur die Prioritäten in dieser Situation klar. Es gibt kein Entweder – oder! Aber – Alles zu seiner Zeit.
Versäume nicht das absolut Wichtige. Es könnte eine einzigartige Chance sein. Das Wort Gottes im Haus zu haben! Gottesnähe. Gottesliebe. Versäume sie nicht. Jesus ist da. Jetzt. Lass alles liegen und höre ihm zu.
Maria tut das. Sie hat das Richtige gewählt. Nichts ist wichtiger in diesem Moment. Auch das ist Gastfreundschaft – zuhören, da sein. Sich einlassen auf den Gast. Vielleicht setzt sich ja nun auch Marta zu Jesus, um ihm zuzuhören und sein Wort in sich wirken zu lassen. Wünschen wir es ihr!
Maria hat wirklich erkannt, dass es einen „guten Teil“ gibt, dem der erste Platz eingeräumt werden muss. Alles andere kommt danach, wie ein Strom, der aus der Quelle fließt. „Und was ist dieser ‚gute Teil?“ Es ist das Hören auf die Worte Jesu. Er ist bereits auf dem Weg nach Jerusalem und ihm eilt ein Ruf voraus, denn die Menschen staunen über die Zeichen, die er wirkt und die Worte, die er verkündet.
Es ist in der Erzählung nicht mit überliefert, was genau Jesus im Haus von Maria und Marta gesagt hat oder welches Gleichnis er vielleicht den Anwesenden erzählt hat. Er war in jedem Fall kein stummer Gast, denn es heißt, „Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu“ (Lk 10,39). Sie hat verstanden, dass er kein Gast wie die anderen ist. Auf den ersten Blick scheint es, als ob er gekommen ist, um zu empfangen, weil er Nahrung und Unterkunft gebraucht hat. In Wirklichkeit „ist der Meister gekommen, um sich uns durch sein Wort selbst zu schenken“.
Das Wort Jesu, das Maria gelauscht hat, ist nicht abstrakt zu verstehen. Es ist eine Lehre, die das Leben berührt und gestaltet, es verändert, es befreit von der Dumpfheit des Bösen, es befriedigt, und es fließt eine Freude ein, die nicht vergeht: „es ist halt das Beste“.
Deshalb gibt Maria ihm den ersten Platz: „sie hält ein und hört Jesus zu. Der Rest wird später kommen. Das schmälert nicht den Wert des praktischen Engagements von Marta, aber es darf dem Hören auf das Wort Jesu nicht vorausgehen, sondern muss aus ihm hervorgehen, es muss von seinem Geist beseelt sein“. Andernfalls reduziert es sich auf ein Getue und Gezeter über viele Dinge, auf einen sterilen Aktivismus.
Mit diesem Hintergrund kann ich uns die Frage stellen: Mit welchem Verständnis feiern wir demnach unser nächstes Pfarrfest? – Wir feiern zuerst die Eucharistie:
Zunächst ist Christus unser Gastgeber. Er schenkt uns die Gastfreundschaft an den Tischen von Ambo und Altar.
– Gleichsam von ihm dort geistig auferbaut, seelisch-gestärkt, feiern wir dann weiter. Und es arbeiten viele Gemeindemitglieder mit, damit es gastlich zugehen wird auf unserem Pfarrfest. In biblischen Figuren ausgedrückt:
Zuerst sind wir alle „Maria“ in der Messfeier. Dann ist „Marta“ dran. Denn ohne Marta-Dienste kein Pfarrfest!
Zentral ist die Botschaft, dass das Wort Jesu, seine Lehre – Maria versteht es als Wort Gottes, das zu ihr gekommen ist – Priorität hat vor Traditionen und Konventionen, die ihre Schwester Martha seufzend erfüllt.
Halten wir inne, hören wir das Wort Gottes, das uns geschenkt wird.
Der Gottesdienst ist ein guter Ort dafür, wenn auch nicht der einzige. Wir sind hier versammelt im Namen Jesu. Er ist mitten unter uns. Freuen wir uns darüber, hören wir ihm und einander zu.
Die Liebe Gottes gibt uns die Kraft, sein Wort in die Tat umzusetzen.
Wagen wir etwas mehr Maria, dann können wir zu gegebener Zeit auch wieder Martha sein.
Machen wir für uns die Worte, die Jesus an Marta richtet, zu eigen: Machen wir uns nicht zu „viele Sorgen und Mühen“! Erkennen wir, dass manchmal nur eines notwendig ist. Wählen wir den „guten Teil“ und lassen wir uns diesen nicht nehmen! Amen.