Pater Dr. Peter Uzor: „Das letzte Gebet Jesu klingt wie ein Testament“
Seine Auslegung des heutigen Sonntagsevangeliums (Joh 17,20-26) stellt unser geistliche Begleiter Pater Dr. Peter Uzor unter die Überschrift „Gemeinsam eins sein“. Dabei beschreibt er die Einheit der Kirche, die Jesus sich vorstellt, mit dem Bild eines großen Chores, mit einem großen Orchester.
Anbei die Worte seiner Predigt:
Liebe Schwestern und Brüder, ich lade Sie ein, sich einmal mit mir in die Situation des Jesus von Nazareth am Abend des Abendmahles zu versetzen: Er hat mit dem engsten Jüngerkreis das Abendmahl gefeiert, ihnen die Füße gewaschen und sich in einer langen Rede von ihnen verabschiedet, sie auf sein Sterben vorbereitet und darauf, dass er heimkehren wird zu seinem Vater. Er weiß, dass er am Abend des nächsten Tages nicht mehr unter den Lebenden sein wird, und betet zu seinem Vater im Himmel. Was wäre Ihnen, was wäre mir in diesem Moment wichtig für ein Gebet? Ich bin überzeugt, es geht dann nicht mehr um Alltagsbanalitäten, sondern nur noch um die Dinge, die uns im Letzten wichtig sind. Die Dinge, die wichtig sind in unserer Beziehung zu den Menschen, die uns etwas bedeuten, aber auch in unserer Beziehung zu Gott. Aber es geht sicher nicht mehr nur um Belanglosigkeiten.
Das Gebet Jesu klingt wie ein Testament. Was ihm in diesem Moment ganz wichtig ist, ist der Wunsch, dass alle eins sein sollen.
Er formuliert es so: „So wie du in mir bist, in der Einheit, die den Sohn mit dem Vater verbindet, so sollen sie eins sein: Ich in ihnen und du in mir.“ (Verw. Joh 17,22,23) Kann es eine intensivere Einheit geben? Wie ein roter Faden zieht sich der Gedanke durch das ganze Gebet: Vater, lass sie eins sein.
Einheit aller, die durch ihr Wort an ihn glauben, das ist sein letzter Wunsch. Und er liefert auch die Begründung. Einheit untereinander, damit die Welt glauben kann.
Die Welt, gemeint sind die Außenstehenden, sie können nicht zum Glauben finden durch eine Predigt oder missionarisches Wirken. Die Welt kann, so Jesu Gedanke, dann sehen, was seine Botschaft ausmacht, wenn sie erlebt, dass die Menschen, die sich Christen nennen, dass die Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen, eins sind. Dies wäre das stärkste Glaubenszeugnis für die Welt. Allerdings müssen wir, die Christen des 21. Jahrhunderts, schmerzlich erleben, dass es innerhalb der Christenheit Spaltung und Zwietracht gibt, von der Weltkirche bis hinab in die Gemeinden vor Ort, und dass die Zerrissenheit eher größer als kleiner zu werden scheint.
Blicken wir in die Zeit der ersten christlichen Gemeinden, dann sehen wir ein für uns fast unglaubliches Zeugnis von Einheit, dass z.B. in den Missionsgemeinden des Apostels Paulus Herren und Sklaven am gleichen Tisch saßen, wie Brüder und Schwestern. Und der Herr blieb Herr und der Sklave blieb Sklave. Die Standesunterschiede wurden nicht einfach weggewischt. Und trotzdem waren sie auf einer besonderen Ebene Brüder und Schwestern und saßen am gleichen Tisch. Das hat die Welt damals überzeugt.
Einheit bedeutete schon damals nicht Einheitlichkeit oder Gleichmacherei. Die Einheit, die Jesus meint, da kann jeder unverwechselbar er selbst bleiben.
Vor einiger Zeit fiel mir eine etwas freiere Übersetzung einer englischen Bibel in die Hand. Da wurde das Wort „einmütig“ übersetzt mit „in one accord“. Es ist ein Begriff aus der Musik: „in einem Akkord“. Ich glaube, dieser Begriff drückt gut aus, was Jesus meint, wenn er von Einheit spricht. Nehmen Sie das Bild eines Chores. Da ist es ja nicht so, dass alle C C C C singen, das wäre auch langweilig. Nein.
Im Chor singt der eine C, der andere singt E, der dritte G; verschiedene Stimmen vereinen sich zu einem Chorstück. Und als Ganzes kommt ein Klang dabei heraus, ein Akkord, eine Harmonie, welche die Zuhörendenen erfreut.
Natürlich, in einem großen Chorwerk kann es auch Dissonanzen geben, Reibungen, wo manchmal ganze Klangblöcke gleichsam aufeinanderprallen. Das muss so sein, darf so sein, auch in einer Gemeinde, auch in der Kirche. Aber wie in einem guten Musikstück sich diese Dissonanzen, diese Reibungen auflösen und hinterher der Klang harmonisch ist, so sollte es auch unter Christen sein. Nicht dass es keine Reibungen gibt ist das Ziel, aber sie sollten sich auflösen hin zu einem Wohlklang: „In einem Akkord“.
Vielleicht können wir uns die Einheit der Kirche, die Jesus sich vorstellt, mit dem Bild eines großen Chores, mit einem großen Orchester vor Augen führen:
Es sind viele Musikerinnen und Musiker und vielfältige Musikinstrumente, die gleichzeitig erklingen. Und das Ergebnis: es klingt! Wenn man vorher gehört hat, wie das ganze Orchester die Instrumente gestimmt hat, jeder seine eigene Stimme, dann klang das wie das Gejaule von Hunden, kaum anzuhören. Aber in dem Augenblick, wo der Dirigent seinen Taktstock erhebt und den Einsatz gibt, da kommt auf einmal ein Klang heraus, ein Zusammenklang, eine Harmonie; und jeder freut sich daran.
Natürlich gibt es in jedem Orchester einen, der die erste Geige spielt, das gibt’s in unseren Gemeinden auch. Es gibt wie im Orchester auch in jeder Gemeinde Leute, die immer auf die Pauke hauen. So einen braucht das Orchester auch, der auf die Pauke haut. Aber das Geheimnis eines guten Chores ist es, dass die Person, die Pauke schlägt, ganz genau weiß, wann sie laut auf die Pauke hauen muss in einem starken Paukenwirbel und wann sie nur zart und leise der Pauke gleichsam einen Ton entlocken darf. Und wer im Orchester die erste Geige spielt, weiß ganz genau, wann er dran ist und wann für ihn Pause ist. Sonst spielt er nicht mehr lange die erste Geige.
Und ganz wichtig: Alle Orchestermitglieder mit ihren total verschiedenen Instrumenten schauen alle auf einen, nämlich auf den Dirigenten. Der hat das Ganze im Blick, der gibt jeder Stimme den Einsatz, der entscheidet über das Tempo, über den Takt. Nicht der einzelne Musiker, sondern der Dirigent.
Und so einen Dirigenten gibt es in der Kirche auch. Nicht der Pfarrer, nicht der Papst, nein, dieser Dirigent ist Jesus Christus, er legt das Tempo fest, gibt die Einsätze, jedem, so wie es für ihn notwendig ist.
Und noch etwas ist wichtig, damit dieses Ganze, diese Einheit gelingen kann genau wie bei einem großen Orchesterwerk. Was im Konzertsaal eine Selbstverständlichkeit ist, erleben wir leider in unseren Gemeinden nicht. Es ist wichtig, dass alle das gleiche Stück spielen. Stellen Sie sich einmal vor, die erste Geige würde sagen: ich spiele die „Kleine Nachtmusik“ von Mozart, die Trompeten würden aber sich festlegen, die 9. Sinfonie von Beethoven zu spielen, und die Holzblasinstrumente hätten Ravels „Bolero“ auf dem Notenpult. Was dies für das Konzert bedeutet, leuchtet uns sofort ein. Aber innerhalb der katholischen Kirche, und darüber hinaus bei den christlichen Kirchen insgesamt, da spielt jeder gern sein eigenes Stück: Ich bin katholisch, ich bin evangelisch, du bist reformiert, und auch innerhalb jeder Konfession haben viele so ihre eigene Richtung, die sie vertreten. Und scheinbar spielt jeder sein Stück: Die Frauengemeinschaft hat ihr eigenes Jahresprogramm, die KAB hat ihr Programm, jeder spielt sein eigenes Stück ohne Rücksicht darauf, was die anderen machen. Wie soll dabei eine Einheit herauskommen?
Es wäre doch wichtig, dass wir uns gemeinsam als Kirche, als Christen, als einzelne Stimmen in diesem großen Chor oder Orchester gemeinsam darauf einigen: Es gilt, ein Stück zu spielen.
Diese Einheit will erbetet sein. Darum sind diese Tage zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten auch Tage, wo wir in der Kirche um die Einheit der Christen beten. Und es ist gleichzeitig die Zeit, wo wir in der Kirche um den Heiligen Geist beten für uns heute, weil er allein uns zusammenbinden kann. Beten wir gemeinsam um diese Einheit, damit die Welt glauben kann. Amen.