Pater Peter Uzor: „Das Qualitätsmerkmal für das Christsein ist die Nächstenliebe“
Seine Auslegung der heutigen Sonntagslesungen (Apg 14,21-27 und Offb 21,1-5) und des Sonntagsevangeliums (Joh 13,31-35) leitete unser geistliche Begleiter Pater Dr. Peter Uzor in der Vorabendmesse in St. Marien Sonnefeld bei Coburg am 17. Mai zu Beginn der Messfeier mit folgenden Worten ein: „Vor vier Wochen haben wir Ostern gefeiert. Für viele von uns liegt das schon weit zurück und ist fast vergessen. Doch die Botschaft von Ostern bleibt. Auferstehung geschieht jeden Tag neu – in uns und durch uns. Das führen uns die heutigen Lesungen deutlich vor Augen. Ostern hat uns zu neuen Menschen gemacht. Das feiern wir fünfzig Tage lang. Und das wird uns auch heute aus der Schrift verkündet. Johannes sieht in seiner Offenbarung einen neuen Himmel und eine neue Erde, und Jesus gibt uns ein neues Gebot. So wie im Frühling in der Natur alles wieder neu aufbricht, wollen wir uns öffnen für das neue Leben in unserem auferstandenen Herrn.“
Im Kyrie wählte Pater Peter folgende Worte:
-Herr Jesus, du hast die Deinen geliebt bis zur Vollendung, hast dich ganz hingegeben für uns. – Herr, erbarme dich.
-Du hast uns ausgerüstet mit dem Heiligen Geist, auf den wir vertrauen können, all unseren Ängsten zum Trotz. – Christus, erbarme dich.
-In dir beginnt die Welt, die Gott uns zugesagt hat, eine Welt, in der nicht der Tod, sondern das Leben das letzte Wort hat. – Herr, erbarme dich.
Anbei die Worte seiner Predigt, die Pater Peter unter die Überschrift „Verherrlichung und Liebe“ stellt:
Bis zum Pfingstfest, drei Sonntage lang, liest die Kirche Abschnitte aus den so genannten Abschiedsreden Jesu. Das heutige Evangelium (Joh 13,31-35) spielt im Abendmahlssaal in Jerusalem, in dem „Obergemach“, in dem Jesus mit seinem engsten Kreis das letzte Abendmahl feiert. In dieser Nacht vor seinem Leiden, hat Jesus lange und ausführlich zu seinen Freunden gesprochen. Seine Rede von der Verherrlichung mag zunächst vielen rätselhaft vorkommen. Kann eine so finstere Stunde etwas Herrliches sein? Das Mahl ist verzehrt, auch Judas hat an diesem „Fest der Erstkommunion“ teilgenommen, bekam zuvor vom Herrn persönlich seine staubigen Füße gewaschen. Aber er bleibt nicht. Er hat eben die Tischgemeinschaft Jesu verlassen. Er geht hinaus in die Nacht, die letzte Nacht seines Lebens. Er, der doch die Liebe gekostet hat! Er ist hinausgegangen in die Nacht, um Jesus zu verraten. Er wird schon bald die kleine Truppe anführen, die Jesus gefangen nehmen soll. Im Garten, am Fuß des Ölbergs, dort wohin sich Jesus und seine Jünger nach dem Abendmahl zurückziehen, wird das geschehen. Judas wusste, wo dieser Garten war, und Jesus wusste, dass ihn dort sein Verräter ausliefern werde.
Judas geht, aber zurück bleiben keine Glaubenshelden. Jeder in dieser Männerrunde ist mit sich allein beschäftigt, zutiefst verunsichert, innerlich zerrissen, ahnungslos, verwundet, mit bohrenden Fragen, gemischten Gefühlen, ahnend, dass Schweres auf diese kleine Gruppe zukommt und viel Zweideutiges in jedem von ihnen steckt. Jesu Weggefährten tappen im Dunkeln. Sie alle werden weggehen, niemand wird bei ihm bleiben. Die Elf werden Jesus allein lassen, allein den Weg gehen lassen, den nur Er allein gehen kann.
Judas geht weg, auch Jesus macht sich bereit zum Gehen, hinaus in die Nacht. Auch für ihn ist es die letzte Nacht seines Erdenweges. Bei aller Liebe – niemand kann ihm diesen Weggang ausreden. Judas und Jesus – beide werden in den kommenden Stunden ihr Leben verlieren.
Zwei wegweisende Worte stehen im heutigen Evangelium. Das Erste betrifft Jesus selbst. „Jetzt verherrlicht mich Gott, und ich ihn.“
Im Moment haben seine Tischgenossen kaum verstanden, was das heißen soll. Später ist es ihnen klar geworden. Was wie Ohnmacht aussah, war in Wirklichkeit der Anfang von etwas Herrlichem. Ohnmächtig ist er in die Hände seiner Feinde ausgeliefert. Er fügt sich darin, aber nicht widerwillig, sondern ganz bereit, weil er weiß, dass sein Kreuzweg, der jetzt beginnt, nicht sinnlos ist.
Gottes Willen will er tun, und Gottes Willen führt zum Guten, auch wenn die Lage menschlich gesehen noch so ausweglos aussieht. Vielleicht können wir Verherrlichung auch mit Vollendung übersetzen. Jesu Leben vollendet sich am Kreuz.
Doch Gott geht darüber hinaus: Er verwandelt die Leidensgeschichte Jesu in eine Lebensgeschichte – und immer ist sie eine Liebesgeschichte.
Und ein zweites Vermächtnis nennt Jesus. Es ist seine große Bitte: Meine Kinder, liebt einander. Nicht der regelmäßige Kirchgang, nicht viele oder gut formulierte Gebete, auch nicht großzügige Spenden zeigen der Welt, wem ich folgen will. Einander lieben, das ist der Auftrag Jesu: den unbequemen Nachbarn, das Kind das ständig quengelt, den komischen Kauz (a strange person) in der Kirchenbank hinter mir, diejenige, die so eine ganz andere Meinung hat als ich. „Liebe, bis es weh tut“, hat Mutter Teresa oft gesagt.
Liebt einander, das sagt sich so leicht. Mit der Liebe haben wir alle so unserer Erfahrungen. Dass Jesus uns nun auch noch die Liebe per Gebot verordnen will, macht die Sache keineswegs leichter. Einander lieben – wie geht das? Jesus gibt eine einfache Antwort: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“.
Jesu Liebe geht immer in Vorlage.
Er sagt nicht: Wenn du mich liebst, dann liebe ich dich zurück! Er fängt an. Er liebt uns auf Vorschuss, ohne Kalkül, ob es sich auszahlt, ohne zu fragen, ob sich das lohnt. Seine Liebe ist nie verordnet, sie ist bedingungslos, unberechenbar, überraschend und leidenschaftlich. Seine Liebe ist Geschenk. So sollen auch wir lieben, aufrichtig und aufrichtend, befreiend und belebend.
Das ist nicht die Vorgabe sportlicher Höchstleistungen, an denen wir uns messen lassen sollen und müssen.
Es ist die Einladung, aus der Erfahrung des Geliebtwerdens die Kraft zu schöpfen, selbst Liebende zu werden.
So wie ein Schmetterling unermüdlich und froh durch die Luft tanzt, weil ihn die wärmenden Sonnenstrahlen aus der Kältestarre geholt und „aufgeladen“ haben.
Es geht da nicht um eine verbissene und anstrengende Pflichterfüllung, an der die Welt die Jünger Jesus erkennen wird, sondern um das befreite und befreiende Wirken derer, die sich geliebt wissen.
Schon in altkirchlicher Zeit bemerkte der heilige Johannes Chrysostomus: „Auch jetzt wirkt kaum etwas bei den Ungläubigen so anstößig, als wenn es bei uns an Liebe fehlt“. Deshalb erlaube ich mir die Frage: woran ist Christsein erkennbar? Gibt es da verlässliche Maßstäbe? Gibt es so etwas, wie eine christliche Qualitätskontrolle? Oder bleibt Christsein irgendwie immer unscharf, undeutlich, nebulös? Nicht nachweisbar?
Kann ich Glauben und Gläubig-Sein messen? Schwer zu sagen, so meine ich, denn mit dem Glauben verhält es sich anders als mit dem Körpergewicht, der Fähigkeit Rechenaufgaben zu lösen oder Marathon zu laufen.
Und doch gibt es, wenn ich der Botschaft Jesu folge, ein quasi unbestechliches Qualitätsmerkmal für den Glauben und das Christsein schlechthin. Wir haben es im Evangelium gehört. Jesus nennt es seine ’neues Gebot‘: Es ist die Nächstenliebe.
Liebt einander. Das ist der Auftrag, das Gebot Jesu an uns. Es ist keine Zusatzbelastung, kein drückendes Joch, sondern eine Ermutigung, sich ganz von den wärmenden Strahlen jener Liebe durchdringen zu lassen, die alles Kalte und Harte, alles Bittere und Verängstigte in uns lösen kann. Dadurch verändern wir die Welt, so verkünden wir seine Lehre und machen etwas aus unserem Leben. Die Erfahrung zeigt: Die Liebe ist ein Weg. Und ein Ziel. Wir sind ein Leben lang auf dem Weg zu diesem Ziel. Jesus möchte uns Mut machen, diesen Weg zu gehen und auf ihm zu bleiben: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. – So einfach und doch so schwer.
Amen.
In der Besinnung nach der Kommunion ließ Pater Peter die Worte seiner Predigt wie folgt nachklingen:
„Liebt einander!“ Dazu forderst du uns, Herr, heute auf.
„Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe.“
Mit deiner Liebe, Herr, sollen wir einander lieben.
Doch es fällt uns oft so schwer, dein Gebot ernst zu nehmen.
Und trotzdem: „Liebt einander!“ Das bedeutet:
Zusammenhalten und miteinander Sorgen und Lasten tragen helfen;
einander beistehen und sich gegenseitig tragen und ertragen;
geduldig miteinander umgehen und lieben ohne Bedingung.
„Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe.“
Deine Liebe zu uns durften wir in dieser Stunde wieder erfahren.
Durch dich ist sie für uns hörbar, spürbar, fühlbar, ja zum Anfassen nahegekommen.
Deine Liebe hören wir aus deinem Wort.
Und wir schmecken sie in den Gaben von Brot und Wein durch die du uns dich selbst schenkst.
Wenn wir jetzt zurückkehren in das alltägliche Leben, dann gib uns deinen Segen, für heute, morgen und alle Tage der neuen Woche.
Schenke uns die Weite des Herzens, um aus deiner Liebe, die Liebe zu den Menschen, die uns begegnen, zu leben.