Foto: PromisGlauben e.V.

Pater Peter Uzor: „Liebe ist mehr als ein Hormon-Cocktail. Liebe ist eine Erfindung Gottes“

Unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor hielt in der gestrigen Vorabendmesse in der St. Marienkirche im oberfränkischen Sonnefeld bei Coburg eine inspirierende Predigt über die Liebe. Dabei verband er das Sonntagsevangelium (Joh 15,9-17) mit einem tiefgründigen Statement der österreichischen Schauspielerin Sophie Rois und betonte, dass hingebende Liebe das Wesen Gottes ist.

Zur Einleitung der Messe sagte Pater Peter: „Der selige Pater Engelmar Unzeitig CMM schrieb während seiner Gefangenschaft im KZ Dachau in einem seiner Briefe: „Liebe verdoppelt die Kräfte, sie macht erfinderisch, macht innerlich frei und froh.“ Von dieser inspirirenden Liebe gestärkt war er bereit, sein Leben in den Dienst seiner Mitmenschen zu stellen – das ist auch die Botschaft des heutigen Johannesevangeliums: ‚Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe.'“

 

Hier die Worte der Predigt von Pater Peter Uzor zu Joh 15,9-17, die er unter den Titel „Die größte Erfindung“ stellte:

Von Liebe ist heute im Evangelium viel die Rede gewesen – fast zu viel, so könnte es einem schon vorkommen. Denn wir gehen heute mit dem Wort „Liebe“ ja meist viel sparsamer und vorsichtiger um. Wenn ein Mann einer Frau oder eine Frau einem Mann gesteht: „Ich liebe dich“, dann ist das etwas Besonderes oder soll es zumindest sein. Inflationär jedenfalls wollen wir dieses Wort heutzutage lieber nicht gebrauchen. Zu oft hat sich später ja herausgestellt, dass viel von Liebe die Rede war, dann aber doch vieles arg lieblos war, dass die hehren Worte entwertet und die hohen Erwartungen nicht erfüllt wurden – oder auch, dass eine Liebe nach Jahren erkaltet und in der Routine des Alltags abhandengekommen ist. Darum sind wir eher scheu geworden, was das große Wort Liebe angeht, auch im Raum der Kirche.

Kommt darum auch unser heutiges Evangelium nicht etwas zu großspurig daher, weil darin ja auch immer wieder von Liebe die Rede ist – obwohl wir eingestehen müssen, dass die Kirche und wir Christen selber viel zu oft hinter diesem Ideal zurückbleiben?

„Ich glaube an die Liebesheirat nur als besondere Ausnahme. Wie ich überhaupt an die große Liebe nur als Ausnahme glaube, wir sind nicht per se alle so wahnsinnig liebenswert und schon gar nicht liebesfähig. Wenn wir nicht dauernd Erzählungen über die große Liebe begegnen würden, im Fernsehen und in der Literatur, würden wir auch nicht denken, wir müssten uns dauernd verlieben und unser Leben wäre nichts wert, wenn das nicht passiert.“ [Kulturspiegel 5/2012, S. 12]

Ich habe dieses bemerkenswerte Zitat in einem Interview gefunden, das die Theaterschauspielerin Sophie Rois dem Magazin „Der Spiegel“ gegeben hat. Auf der Bühne spielt sie ständig Stücke – Komödien, Tragödien -, die sich meist um die Liebe drehen. Aber der Mensch vor der Bühne weiß, dass die große romantische Liebe, von der die Schlager, die Soap-Operas im Fernsehen und im Kino erzählen, eben nur Theater, eine Illusion ist. Außer man ist noch ganz jung und darf den Rausch der Liebe zum ersten Mal erleben: Da glaubt man noch wirklich, dass ein bestimmter Mensch genügt, um vollkommen glücklich sein zu können; oder umgekehrt, dass ein bestimmter Mensch fehlt, und man kann nie wieder seines Lebens froh werden. Mit fortschreitender Lebenserfahrung und der damit einhergehenden Ernüchterung komme ich hingegen wie die Theaterschauspielerin zur Einsicht, dass ich nicht so wahnsinnig liebenswert und schon gar nicht liebesfähig bin, als dass die großen Liebesgeschichten mehr sein könnten als ein schöner Traum. Kurzum: Die Liebe gehört im Alltag zu den am meisten überschätzten Gefühlen.

Und dann hören wir ein Evangelium, in dem die Liebe wie eine rosa Riesenwelle über uns hinwegschwappt. „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe … Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“ (Joh 15,9-13) Achtmal kommt das Wort „lieben“ allein in diesen fünf Versen vor. Ich weiß nicht, wie es Ihnen damit geht, ich kann es irgendwann einmal nicht mehr hören. Kennen wir doch die kirchliche Realität und ihre Vertreter. Ich kenne mich doch selbst und weiß, dass ich genauso wie die meisten anderen Menschen auch nicht so wahnsinnig liebenswert und liebesfähig bin, dass ich mit großem Pathos über diese Liebesflut predigen könnte ohne lächerlich zu wirken.

Und trotzdem, auch wenn es eine Gratwanderung ist, bei der man sich leicht versteigen kann, möchte ich versuchen über diese Sätze von Jesus zu meditieren.

Jesus deutet zunächst etwas an, was uns nichts angeht: „Wie mich der Vater geliebt hat …“ (Joh 15,9a). Da geschieht etwas zwischen den beiden, und alles andere bleibt außen vor. So wie sich in den großen Liebeserzählung zwei endlich gefunden haben und von da an glücklich leben, bis ans Ende der Tage. Die große Überraschung im Evangelium besteht darin, dass alles andere nicht außen vor bleibt:

„Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich geliebt.“ (Joh 15,9a und b). Das bedeutet nichts anderes, als dass die Liebe, die innerhalb der Beziehung Vater und Sohn herrscht, nicht ausschließlich bleiben kann und will. Sie will sich mitteilen, verströmen. So entsteht die Welt, und so wird Gottes Sohn Mensch.

Im Grunde genommen ist es blasphemisch, was der Evangelist sagt: Jesus liebt die Jünger genauso, wie er Gott liebt. Jesus liebt Menschen, die auch nicht so wahnsinnig liebenswert und liebesfähig sind, genauso wie den Vollkommenen, den Heiligen, den Vater. Und dabei bleibt es nicht.

„Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13) Und wer sind seine Freunde? „Ich nenne euch nicht mehr Knechte … Vielmehr habe ich euch Freunde genannt, denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.“ (Joh 15,15) Jesus stellt damit die Jünger, also Menschen, auf dieselbe Ebene wie Gott den Vater. Und er sagt es nicht nur, er tut es, indem er sein Leben am Kreuz hingibt.

Ich weiß keine andere Aussage der Religionsgeschichte, die in dieser radikalen Art und Weise davon spricht, dass Gott liebt: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“

Deshalb, weil ich selber etwas von dieser seiner Hingabe für mich erahnen und erfahren kann, bin ich sein Freund. Es geht also darum, dass ich mich immer neu für ihn und seine Freundschaft in meinem Leben öffne, dass ich seine Liebe und Hingabe in meinem Leben aufspüre.

In dem eingangs erwähnten Interview macht die Schauspielerin Sophie Rois eine Aussage, die dasselbe zum Ausdruck bringt wie der Satz Jesu, nur mit anderen Worten. „Wenn man schon über die große Liebe spricht, dann beinhaltet das auch, dass sie einen aushebelt. So sehr, dass man dafür eventuell sogar sein Leben aufs Spiel setzt. Wer liebt, muss zahlen, womit auch immer. Das will aber keiner. Jeder möchte seinen Alltag weiterleben, einen Beruf haben, ein schönes Auto fahren, den Mixer richtig bedienen.“ [Ebd., S. 12]

Und da haben wir den Punkt, warum wir bei diesem Thema so ernüchtert werden im Laufe des Lebens. Die großen Gefühle, die wollen wir schon haben, nur dürfen sie das Leben nicht durcheinanderbringen. Das geht aber nicht.

Die Liebe, von der Jesus spricht, bringt das Leben durcheinander, zwangsläufig.

Und deswegen verzichten viele darauf. Ein ganz banales Beispiel mag genügen: Da heiraten zwei, versprechen sich die Treue in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und in Krankheit. Nach zehn Jahren wird sie krank, chronisch. Sie verfällt körperlich, wird ein Pflegefall und, ganz konkret, sie kann keinen Sex mehr haben. Er hält das eine Zeitlang aus, aber dann, er ist ja noch jung, beginnt er eine Affäre, zuerst heimlich, dann offensichtlich. Schließlich erfolgt die Trennung von seiner Frau. Bitte jetzt keine Schuldzuweisungen machen. Wer von uns könnte mit Sicherheit behaupten, in derselben Situation nicht genauso zu handeln? Der Mann möchte sich sein Leben, und dazu gehört für ihn auch der Sex, von einer hingebungsvollen Liebe zu seiner kranken Frau nicht durcheinanderbringen lassen. Wer liebt, muss zahlen. Er will aber nicht zahlen.

Und doch, es gibt genügend, die zahlen den Preis für die Liebe.

Die bei ihrem kranken Ehepartner bleiben, die kranke und behinderte Kinder annehmen.

Liebe beinhaltet auch eine Hingabe für den anderen – auch ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten oder einzufordern.

Im Gegenteil: Wenn man hier die aus dem sonstigen Leben vertraute Logik von Einsatz und Gegenleistung anwenden würde, dann wäre die Liebe schnell am Ende. Liebe schaut nicht so sehr auf sich, sondern eher auf den anderen. Hingabe z.B. fängt ja da an, wo ich bereit bin, etwas von mir zu lassen, um des anderen willen – auch im ganz Kleinen: ein freier Abend, wenn der andere meine Hilfe braucht, ein Sprung über meinen Schatten, meine Empfindlichkeiten, ein Schritt, um einen neuen Anfang zu ermöglichen, ein Schritt, der mich selbst nicht ganz so wichtig nimmt. Selbstlosigkeit allerdings braucht nicht nur die Beziehung eines Liebespaares. Hingabe kommt auch ins Spiel, wenn jemand sich ehrenamtlich für andere engagiert, wenn er anderen zu helfen versucht und dabei seine Zeit, seine Kräfte, seine Möglichkeiten einsetzt. Mehr noch: Es gibt immer noch Menschen, die sich hingeben für anderen Menschen, die nicht ihre Familienmitglieder sind. Sie geben ihr Leben für Menschen, die für sie Fremde sind: Kranke, verlassene Kinder, Flüchtlinge. An ihnen merken wir, es gibt sie, die große Liebe.

An ihnen sehen wir, Liebe ist mehr als ein Hormoncocktail, der nur wirkt, solange einer jung, schön und sexy ist. An ihnen spüren wir: Liebe ist eine Erfindung Gottes.

Amen.