Pater Peter Uzor: „Weihnachten können wir verstehen als ein großes Richtfest der Hoffnung“
Zur Eröffnung des Gottesdienstes am 1. Weihnachtsfeiertag betont unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor den Aspekt der Freude, der durch Weihnachten in das menschliche Leben Einzug findet:
„Weihnachten – das ist das Fest der Freude. Der Grund, warum wir uns freuen, ist die Botschaft von der Liebe Gottes. Es ist die Nachricht, dass Gott uns herausführen will aus dem, was uns bedrückt. Wir hören, dass er uns sein Erbarmen schenkt. Das alles schenkt er uns in Jesus, dem Kind in der Krippe. Jesus, dessen Geburt wir feiern, ist die Mitte dieser Feier, die Mitte des Festes. Er ist die Mitte unseres Lebens. Was uns klein macht, schuldig spricht und verängstigt, legen wir bei dem Kind in der Krippe ab.“
Anbei die Worte seiner Predigt, die Pater Peter zum heutigen Evangelium (Joh 1,1-18) in der St. Marienkirche in Sonnefeld bei Coburg hielt:
Vielerorts, wie bei uns in Sonnefeld, haben am Heiligen Abend die Kinder in einem Krippenspiel nachgespielt, was sich vor 2000 Jahren im Stall von Bethlehem ereignet hat. In der Heiligen Nacht haben wir in St. Joseph Grub und in St. Otto Ebersdorf die Christmette gefeiert. Jetzt am Weihnachtstag sind wir wieder zur Kirche in St. Marien gekommen. Warum eigentlich? Ist denn nicht schon alles gefeiert, was zu feiern ist?
Vor wichtigen Entscheidungen sagen wir: „Darüber muss ich erst einmal eine Nacht schlafen.“ Vielleicht haben sie diesen Satz auch schon einmal gesagt, wenn Sie ein starkes Erlebnis aufgewühlt und sehr betroffen gemacht hat oder nachhaltig beeinflusst: „Das war jetzt zu viel – da muss ich erst einmal darüber schlafen.“
Mit dem, was an Weihnachten passiert, ist es ähnlich. Was wir da hören, ist unbegreiflich. Gott wird ein Mensch.
Er kommt zur Welt und wird als kleines Kind in die Krippe von Bethlehem gelegt. Das ist nicht auf Anhieb zu verstehen. Vielleicht ist es gut, erst einmal eine Nacht darüber zu schlafen. Gestern Abend ist uns aus dem Lukasevangelium die bekannte Weihnachtsgeschichte von der Geburt Jesu verkündet worden. Er erzählt uns alles, was wir mit Weihnachten verbinden: Angefangen von der Herbergssuche, von der Armut des Stalles, vom Gloria der Engel bis hin zur Anbetung der Hirten. Inzwischen haben wir darüber geschlafen.
Dieses unbegreifliche Ereignis, das Gott Mensch wird im Stall von Betlehem, es konnte auf uns wirken.
Heute nun hören wir im Evangelium eine ganz andere Sichtweise, die des Evangelisten Johannes. Bei ihm rücken die uns liebgewordenen Begebenheiten von Weihnachten ganz in den Hintergrund – und dennoch spricht er von Weihnachten und leuchtet die Geburt des Kindes von Betlehem bis in seine Tiefe hinein aus. Er will uns helfen, zu verstehen, was da in der Heiligen Nacht eigentlich geschehen ist. Er will uns Antwort geben auf die Fragen:
Was bedeutet das für uns, was da vor 2000 Jahren im Stall von Betlehem geschehen ist? Was ist dadurch anders geworden?
Johannes sagt uns: Alles. Alles ist anders geworden. Deshalb erzählt er von Anfang an. „Am Anfang war das Wort.“ Er erzählt uns von der Erschaffung der Welt durch das Wort Gottes. Und dieses Wort Gottes ist Fleisch geworden, „ein konkreter Mensch, etwas Sichtbares, Greifbares, etwas Begrenztes und Hinfälliges wie wir“, wie es Kardinal Karl Lehmann einmal ausgedrückt hat.
Gott ist in unserer Mitte.
Diese atemberaubende Entdeckung steht in der Mitte unseres Glaubens und unseres Gottesdienstes. Ein Gott mit menschlichem Antlitz. Ein Gott, der uns anschaut mit den Augen eines Menschen. Ein Gott, der zu uns spricht mit der Stimme eines Menschen. Ein Gott, der von uns verstanden werden will. Ein Gott, dessen Ohr uns offensteht: voll Gnade und Wahrheit. Gott hat ein Wort ausgesprochen, eine Zusage, eine Botschaft. Gott will aber nicht nur mit uns Menschen reden.
Gott möchte mit seinem Wort Sinn geben.
Er teilt sich mit und will mitten unter uns leben. Er möchte im Leben der Menschen Hand und Fuß, Fleisch und Blut, Mensch und Sinn werden.
Mit Jesus hat Gott nochmals einen neuen Anfang gemacht mit der Welt und mit uns Menschen.
„Er kam in sein Eigentum“, sagt Johannes. Das feiern wir an diesem Weihnachtstag! Sein Eigentum, das ist diese uns von ihm geschenkte Welt. Er ist dorthin gekommen, wo wir leben, dorthin, wo Menschen lachen und weinen, wo Menschen ausgegrenzt und aufs Kreuz gelegt werden, dorthin, wo wir sind mit unseren Hoffnungen und Freuden, aber auch mit unseren Ängsten und Leiden. ER kam in sein Eigentum! „Geht uns das unter die Haut, dass Gott seit Weihnachten in unserer Haut steckt“ – wie es der frühere Limburger Bischof Franz Kamphaus einmal in einer Weihnachtspredigt formulierte?
An Weihnachten zeigt Gott sein wahres Gesicht. Er begegnet uns. Er begegnet uns auf Augenhöhe, von Mensch zu Mensch.
Wie kann es aber sein, dass wir jedes Jahr Weihnachten feiern und die Welt sich doch kaum zum Besseren verändert?
Weihnachten können wir verstehen als ein großes Richtfest der Hoffnung.
Wenn jemand ein Haus baut, die Fundamente gelegt sind, der Rohbau hochgezogen ist und der Dachstuhl aufgebaut ist, dann setzt der Bauherr ein grünes Bäumchen auf den First und feiert mit allen, die am Bau beteiligt sind, das Richtfest. Man weiß, das Grundgerüst des Hauses steht, aber es braucht noch einiges an Arbeit und Einsatz, um das Haus nach den vorgegebenen Plänen zu vollenden.
Ähnlich ist es mit der Weihnachtsbotschaft: Das Grundgerüst der Hoffnung steht!
Es gilt: Gott verbündet sich in Jesus neu mit dem Menschen. Zusammen mit dem Menschen ist eine verloren geglaubte Welt, ja die ganze Schöpfung auf Rettung hin ausgerichtet. Aber dieses Bündnis hat zwei Partner: Gott und den Menschen. In diesem Christuskind ist uns zugleich von Gott ein Plan geschenkt, wie wir an dieser Welt, am eigenen Dasein aus dem Geist seiner Menschenfreundlichkeit und Liebe weiterbauen können und müssen, so dass es auf dieser Welt friedvoller, gerechter und menschlicher zugeht. Paulus bringt das auf den Punkt, wenn er im Titusbrief schreibt: „In Jesus ist uns die Gnade Gottes erschienen, die uns dazu erzieht, besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben, während wir auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten.“
Eigentlich ein schöner Gedanke, unseren Weihnachtsbaum als Firstbäumchen zu sehen für das Haus der Menschenfreundlichkeit und Liebe, das Gott unter uns errichtet hat und an dem er uns einlädt, nun nach seinem Plan weiterzubauen.
Nach Gottes Plan weiterzubauen, gelingt uns aber nur, wenn wir so etwas werden wie weihnachtliche Menschen.
Paulus schreibt: Gott erzieht uns dazu. Das heißt: Bei uns wird von Gott nicht ein Schalter umgelegt und wir sind von einem Moment auf den anderen bessere, weihnachtliche Menschen. Gott stellt uns vielmehr mit dem Weihnachtfest in einen Lernprozess hinein. Für uns bedeutet das, es braucht dazu eine Zeit des Einübens. Es kommt auch eine Zeit des Scheiterns. Auf dem Weg, weihnachtliche Menschen zu werden, gibt es Punkte, an denen man neu von vorne beginnen muss. Ein Lernen führt immer auf ein bestimmtes Ziel hin. Und das Ziel heißt: an dieser Welt aus dem Geist der Weihnachtsbotschaft zu bauen bis zur Wiederkunft des Herrn, der dann alles, was der Mensch nicht geschafft hat, vollendet.
Paulus benennt auch Grundhaltungen, die der Mensch einnehmen muss, damit er an sein Lernziel kommt, ein weihnachtlicher Mensch wird. Der Mensch soll besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben.
Ich soll fromm sein?
Frommsein, das hat für den modernen Menschen zunächst einen seltsamen Beigeschmack. Da schwingt etwas vom Frömmeln mit, von einer gekünstelten und vordergründigen Religiosität ohne Tiefgang. Wenn ich genau hinschaue, entdecke ich darin die Grundhaltung, dass ein Mensch in seinem Dasein jederzeit mit Gott rechnen soll. Ich darf jeden Augenblick meines Daseins aus dem Zuspruch von Weihnachten leben, Gott will Rettung, Heil und Friede für mein Leben. Daraus ergibt sich aber auch der Anspruch, dass ich dort zur Rettung, zum Heil und Frieden für andere werde, wo Gott es immer von mir erwartet.
Ich soll gerecht sein?
Gerechtigkeit meint, ich soll gerecht mit der Welt, der Schöpfung und den Menschen umgehen, wie es nach der Vorgabe Gottes recht ist! Im Zusammenspiel der Menschen braucht es Regeln, Gesetze und Ordnungen, die Ansprüche und Verpflichtungen steuern. Sie schaffen Gerechtigkeit untereinander. Aber Gottes Gerechtigkeit baut auch noch auf Mitmenschlichkeit, Liebe und Barmherzigkeit. Das setzt vielleicht mein Gerechtigkeitsempfinden unter Spannung. Doch dies lehrt mich, Gnade zu verstehen, wie Paulus sie beschreibt. Ich kann sie selbst erleben und selbst schenken.
Ich soll besonnen sein?
Besonnenheit meint, ich soll der Zusage „Fürchtet euch nicht“ trauen und daraus leben. Das schenkt mir die Stärke, die Welt und mein Dasein mit hoffnungsvollen Augen anzusehen. Das eröffnet mir auch eine Gelassenheit, die Herausforderungen, die sich mir stellen, mutig anzugehen und selbst für diese Welt ein Mitarbeiter der Hoffnung zu werden.
Wenn wir uns heute ein frohes und gnadenreiches Weihnachtsfest wünschen, dann wünschen wir uns, dass wir aus dem Weihnachtsmysterium als weihnachtliche Menschen leben und zu Hoffnungsträgern für diese Welt werden.
Amen.