Pater Peter Uzor zu Weihnachten: „Ein Kind trägt die Welt“

In seiner Predigt zu Heiligabend verweist unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor darauf, was sich durch das Ereignis, nach dem wir unsere Zeit rechnen, mit Blick auf Gott und die Welt verändert hat.

Anbei seine Predigt mit dem Titel „Es wird alles ganz anders in dieser Nacht“:

Es ist nichts anders. In dieser Nacht.

An der Grenze frieren Flüchtlinge. An einer anderen marschieren Soldaten auf. Auf vollen Intensivstationen ringen Menschen mit dem Tod. In den von der Flut im Sommer betroffenen Regionen haben viele ihr Zuhause verloren. Wir wundern uns, es ist schon das zweite Weihnachtsfest in der Pandemie. Wie würden wir uns wünschen, dass sie irgendwann aufhört. Irgendwo in der Einöde wird ein Kind geboren. Es ist nichts anders. In dieser Nacht.

Doch wie viele Menschen in dieser Nacht miteinander verbunden sind! Der Kaiser Augustus und sein Statthalter Quirinius … Maria und Josef mit ihrem ersten Kind, gerade geboren … der König David, Ururururgroßvater … Hirten und … Engel. Nun ja, eigentlich sind Engel keine Menschen – ein großes himmlisches Heer. Aber da wir noch in der Reihe fehlen, kommen wir dazu. Zuschauer, Pilger und Fremde – Neugierige, Enttäuschte und Menschen voller Hoffnung.
Dann bauen wir die Krippe auf. Mit den Figuren, die schon so lange darauf warten, wieder dabei zu sein. Es entstehen zauberhafte Landschaften. Oder auch karge Wüsten. Oder ein Mehrfamilienhaus. Oder ein Flüchtlingslager. Oder ein Gefängnis. Oder eine zerbombte Stadt.

Mitten drin – die Krippe.

Manchmal muss man sie suchen. Sie wirkt wie verloren. Vielleicht ist sie auch nur versteckt. Damit wir sie finden.
Wie viele Menschen doch in dieser Nacht miteinander verbunden sind! Nur Augustus und sein Statthalter fehlen. An der Krippe. Sie fehlen wirklich! Hier gehörten sie hin! Ochs und Esel können sie nicht vertreten – und tun es doch.

Es zeichnet sich etwas ab. In dieser Nacht.

Zu Weihnachten gehört doch die Nacht. Stille Nacht, heilige Nacht. Alles schläft. Einsam wacht…. Viele Geschichten ranken sich um die Nacht, um die Kälte, um eisige Nächte. Um eisige Herzen.
Im Evangelium erzählt Lukas nichts von einer Nacht. Auffälligerweise. Nur, dass die Herrlichkeit, der Glanz Gottes auf die Erde kommt. Die Spur in die Nacht aber hat ein anderer gelegt. Jesaja. Prophet Israels:
            Das Volk, das in der Finsternis ging,
            sah ein helles Licht;
            über denen, die im Land des Todesschattens wohnten,
            strahlte ein Licht auf.
Finsternis ist mehr als Nacht. Es fehlen die Sterne. Es fehlt der Mond.
Finsternis ist die Welt im Dunkeln – das Leben der Menschen verliert sich.
Finsternis ist das Warten ohne Lichtschimmer – die Nacht ist ohne Tag.
Finsternis ist der Tod – er spukt und versteckt sich zwischen allen Zeilen.
Wir kennen die widerstrebenden Gefühle und die verängstigten Blicke,
Wir sind hilflos bei den vielen Schuldzuweisungen und der blinden Aggressivität in unsere Städten,
Wir sind überfordert mit Trauer und Verzweiflung vieler Menschen.
Staunend, verwundert hören wir die Engel mit ihrem Lobgesang.
Gibt es noch etwas zu singen? Und zu lachen?

Wenn Gott kommt, wird der Himmel hell und die Erde von Glanz schön.
            Denn ein Kind wurde uns geboren,
            ein Sohn wurde uns geschenkt.
            Die Herrschaft wurde auf seine Schulter gelegt.
            Man rief seinen Namen aus:
            Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott,
            Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens.

Es gibt etwas zu sehen. In dieser Nacht.
Ein Kind hat das Licht der Welt erblickt. Gerade. Eine kleine Notiz im Evangelium. Mehr nicht. Einen Namen hat das Kind auch noch nicht. Da müssen wir noch etwas warten. Es wird nur von einem Kind erzählt. Von einem Kind unter vielen. Nichts Besonderes. Nichts Heiliges. Wenn da nicht die Engel wären, nicht die Worte, nicht der Glanz – ich wüsste nichts. Von Gott auch nicht. Die Windeln soll ich aber sehen. Und die Krippe. Riechen soll ich das Stroh. Es riecht nach Sommer:
            Sie – Maria – wickelte ihn in Windeln
            und legte ihr Kind in eine Krippe,
            weil in der Herberge kein Platz für sie war.
Einfach so: sie legte ihn in eine Krippe.
Ein Kind träumt. Man kann ihm dabei zusehen. Stunde um Stunde. Man kann sich nicht sattsehen.
Ein Kind fängt an. Mit den ersten kleinen Schritten. Vergangenheit hat es noch nicht. Nur Zukunft.
Ein Kind wächst. Es wächst in das Leben hinein. Es erobert sich die Welt.
Ein Kind weint. Warum weint es, fragen die Eltern. Unerfahren.

Manchmal verängstigt. Warum?
Ein Kind bockt. Es lernt seine Stimme kennen, es entwickelt einen eigenen Willen, es trotzt.
Ein Kind schmiegt sich an. Es sucht Nähe, Haut, Atem, Liebe.
In der Herberge war kein Platz! Was ist, wenn es in der Welt keinen Platz mehr gibt. Für Menschen? Für ein Kind?

Es wird etwas anders. In dieser Nacht.

Dass Gott selbst einer von uns Menschen wird, feiern wir. Im ältesten Hymnus – Paulus überliefert ihn – besingen Menschen, dass Gott sich seiner Herrlichkeit, seiner Göttlichkeit, seiner Allmacht entäußert – und den Menschen gleich wird, gehorsam bis zum Tod, ja, bis zum Tod am Kreuz (Phil. 2,5ff).

Die ersehnte Allmacht Gottes hat Menschen immer schon verführt.
Sie brauchen ihn als Feigenblatt für ihre eigenen Allmachtsphantasien.
Sie nutzen ihn aus für Dummheit und Bequemlichkeit.
Sie verstecken sich hinter ihm, um Geschichte zu schreiben und Geschäfte zu machen – Unterdrückung, Hass und Angst inclusive.
Sie schieben in vor, wenn sie einen Schuldigen brauchen für die von ihnen verkorkste Welt.
Sie können ihn auch gut für ihre Frömmigkeit gebrauchen. Die steht sogar Tyrannen gut.

Gott aber lässt sich nicht länger missbrauchen.

Er verlässt den Thron, auf den man ihn bannen wollte! Er wird nicht einfach Mensch – er wird Kind. Er träumt. Er fängt an. Er wächst. – Er weint. Er bockt. Er schmiegt sich an. Die Engel kommen zu ihm. Ihm singen sie das Lied von seiner Ehre. Uns singen sie das Lied vom Frieden.
            Die große Herrschaft
und der Frieden sind ohne Ende
auf dem Thron Davids und in seinem Königreich,
es zu festigen und zu stützen
durch Recht und Gerechtigkeit,
von jetzt an bis in Ewigkeit.

So schon Jesaja. Schon wieder. Die Engel.

Was die Herren dieser Welt vergeigen (es können auch Frauen sein), wird im Himmel neu gesungen: Ein Kind trägt die Welt. Allmächtig ist die Liebe. Nur die Liebe. Sie fängt einfach klein an, sie braucht keine Vergangenheit – nur Zukunft. Manchmal ist sie ganz trotzig. Nähe gewährt sie immer. Sie erobert die Welt.

Es ist alles ganz anders. In dieser Nacht.

Suchen wir Gott, finden wir ihn in einer Krippe.
Sehnen wir uns nach ihm, führt er uns zu Menschen.
Lieben wir ihn, wachsen unter uns Recht und Gerechtigkeit.
Es wird alles ganz anders. In dieser Nacht.
In meinem Kopf, in meinem Herzen, in meiner Welt.
Ich werde anders. In dieser Nacht.
Und der Friede Gottes, der Nächte hell macht,
der gebe unserem Leben Klarheit.
In Christus Jesus, unserem Herrn.

Amen.