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Pater Uzor ermutigt zu Pfingsten: „Rausgehen. Glauben leben. Das Weltfremde hinter sich lassen“

In seiner Auslegung zu Pfingsten 2023 benennt unser geistlicher Begleiter Pater Dr. Peter Uzor unverblümt die Missstände in der Kirche und gibt Antworten, was ich als einzelner Christ tun kann, um meinen Glauben in der Gemeinschaft der Gläubigen, in spürbarer Verbindung mit dem Geist Gottes zu leben.

Anbei die Worte seiner Pfingstpredigt:

In jenen Tagen legte sich die Hand des Herrn auf mich … und fragte mich: Menschensohn, können diese Gebeine wieder lebendig werden? Ich antwortete: Gott und Herr, du weißt es. Da sagte er zu mir: Sprich als Prophet über diese Gebeine und sag zu ihnen: …hört das Wort des Herrn! (Ez 37,1-4)

Kann man die Situation der Kirche zurzeit mit die Gemeinde in Jerusalem nach der Christi Himmelfahrt vergleichen? Nein, die Situation, in der unsere Kirche sich befindet, ist nicht zu vergleichen mit der, in welcher die Jünger Jesu sich befinden. Mitnichten! Sie ist so ganz anders. Weniger hoffnungsvoll. Weniger zuversichtlich. Weniger aussichtsreich.

Die Jünger haben sich zunächst zurückgezogen, zugegeben auch aus Angst vor den anderen, jenen anderen Glaubens. Und hatten sie sich als Erwartende eingeschlossen. Sie hatten die Aussicht darauf, dass noch etwas auf sie zukommen wird. Vielmehr von oben auf sie herab: Der zugesagte Beistand. Die verheißene Kraft. Der Heilige Geist.

Diese Erwartung haben viele unter uns aufgegeben.

Etliche haben sich von Gemeinde und Kirche zurückgezogen, aber nicht als Erwartende, vielmehr hilflos, voller Scham, ohnmächtig, sprachlos, verletzt, demotiviert und kraftlos. „Was soll ich tun, wie soll ich reagieren, wenn ich mich vor den eigenen Nachbarn verteidigen muss, warum ich immer noch katholisch bin und dieser Kirche angehöre?“ Diese Frage eines älteren Gemeindemitgliedes hat mich in diesen Tagen erreicht. Sie verrät Hilflosigkeit, sie legt Unsicherheiten frei, sie weist auf Beschämung hin. Ich bin mir sicher, dass diese Frau mit ihrer Frage nicht alleine dasteht, dass sie vielmehr für viele unter uns steht, die an unserer Kirche verzweifeln und leiden.

Was soll ich tun? Wie soll ich reagieren? Zunächst gar nichts. Zunächst geht es darum, die Situation so anzunehmen, wie sie ist. Ja, es gibt diese dunkle Seite von Kirche.

Es gibt diese Schattenseiten: Sexuellen Missbrauch. Geistlichen Missbrauch. Strukturen, die eher menschenfeindlich sind, als dass sie das Leben eines Menschen fördern. Es gibt Ausgrenzung. Es gibt Intoleranz. Es gibt Arroganz. Es gibt Selbstüberhöhung. Es gibt in dieser Kirche Versagen, Schuld und Sünde.

Möglicherweise nicht mehr und nicht weniger als anderenorts. Aber gerade hier, in dieser Kirche, sollte es all dies nicht geben. Gibt es aber. Das verunsichert. Das ruft Scham hervor. Das bringt einen dazu, immer mehr sich zurückzuziehen, nur weit weg von allem, was so unsäglich schrecklich ist und an die Nieren geht. Wir haben keinen Grund, die Dinge schönzureden, möglicherweise sie zu verteidigen und zu rechtfertigen. Es ist, wie es war. Es ist, wie es ist. Es ist, wie es bleiben wird.

Denn es ist eine Kirche aus Menschen, die immerzu vor dem Hintergrund ihrer eigenen Persönlichkeiten handeln oder auch nicht, die Gutes tun oder auch nicht.

Wer immer uns diesen Spiegel vorhält, der hat recht mit seiner Wahrnehmung. Einer Feststellung, die ich durchaus mit ihm teilen kann.

Was soll ich tun? Wie soll ich reagieren? Zunächst gar nichts. Vielmehr sollte ich in mich gehen und nachdenken. Mich erinnern sollte ich mich.

Es ist diese Erinnerung, die mich zu stärken vermag, neu zu orientieren, wo doch so vieles ohne Richtung zu sein scheint, nicht nur in dieser Kirche, aber doch auch hier.

Also erinnern Sie sich an Ihre guten Erfahrungen mit der Gemeinschaft der Gläubigen. Es gibt nicht nur diese eine Seite von Kirche, die wir am liebsten ausblenden möchten. Es gibt auch Lichtblicke. Erfahrungen, die uns sagen lassen: „Das war gut. Dafür bin ich dankbar. Das hat mir geholfen. Das hat mich weitergebracht. Dazu stehe ich noch heute.“

Welche guten Erinnerungen haben Sie an Ihre ganz eigene Zeit mit der Gemeinschaft der Gläubigen? Was macht für Sie persönlich diese Gemeinschaft so wichtig, so unverzichtbar, einmalig? Was möchten Sie nicht missen? Woran hängt ihr Herz?

Am Pfingsttag stoßen die Jünger Türen und Fenster auf. Sie gehen auf die Straße hinaus. Erzählen davon, was ihnen wichtig ist. Sie erzählen von Gott und ihren Erfahrungen mit Gottes Sohn. Und jeder hört sie. Und jeder versteht sie. Und viele schließen sich den Jüngern an. Sie lassen sich taufen. Brechen in Begeisterung aus für diesen neuen Weg, der mit Jesus von Nazareth begonnen hat.

Was soll ich tun? Wie soll ich reagieren? Was sollen wir als Gemeinde tun? Was sollen wir als Kirche tun?

Unsere Türen aufstoßen und hinausgehen zu den Menschen. Zunächst absichtslos und nicht vereinnahmend. Vielmehr interessiert an einer Welt, die sich vor der Kirchentür abspielt, und an Menschen, die sich davor aufhalten und die nicht weniger als wir selbst versuchen, ihr Leben zu bewältigen. Deren Fragen sich von den unsrigen nicht wesentlich unterscheiden.

Als Gemeinde Christi müssen wir eine Sprache finden, die jeder und jede verstehen kann, die niemanden ausschließt, niemanden, der anders denkt, der anders fühlt, der anders empfindet. Als Gemeinde Christi müssen wir Worte sagen, die die Herzen öffnen, die zu berühren vermögen und den Menschen zu verändern.

Keiner dieser Vorschläge führt am einzelnen vorbei. Sie können sich nur ereignen, Wirklichkeit werden, wenn ich mich selbst einbringe und mir die Frage gefallen lasse: Habe ich Freude an meinem Glauben? Bin ich ein begeisterter Christ? Lebe ich diesen Glauben? Und wenn ja, wie? Spürt man mir die Begeisterung an? Und wenn ja, woran?

Wir können in vielem dem System Kirche und seinen Vertretern die Schuld nicht absprechen, aber wir können und dürfen unsere ganz eigene Verantwortung auch nicht aus unseren Händen geben. Sie muss gelebt werden, und zwar von dem, dem sie zukommt, uns. Alles andere wäre nicht nur zu kurz und einfach gedacht und gehandelt. Das wäre auch sehr fatal.

Rausgehen. Glauben teilen. Glauben leben. Glauben feiern. Räume öffnen für neue Chancen und Möglichkeiten, miteinander und auch ökumenisch Kirche zu sein. Das Weltfremde hinter sich lassen. Verbindendes suchen. Die Trennung überwinden. Aufstehen. Aufstehen zum Leben. Jeder für sich. Alle miteinander. Darauf käme es an.

Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack sagt in diesem Zusammenhang: „Die Handlungsmöglichkeiten der Kirchenspitze sind tatsächlich gering. Alles, was sie sagt, wird unter Verdacht gestellt. Heilung und Aussöhnung werden vermutlich nur möglich sein, wenn Menschen, denen der Glaube etwas bedeutet, von den guten Erfahrungen mit ihrer Kirche erzählen. … Möglicherweise können nur die Gläubigen die Kirche aus ihrem Tief holen.“

Der Prophet Ezechiel beschreibt in der Lesung ein Bild. Tote Gebeine liegen verstreut über eine Ebene. Knochen, wohin man schaut. Eine Frage wird dem Propheten gestellt. Gott selbst stellt sie: „Können diese Gebeine wieder lebendig werden?“ Der Prophet ist ratlos. Das wisse nur er allein, gibt Ezechiel als Antwort zurück. Daraufhin verheißt Gott seinen Geist, der alles, was daniederliegt, zum Leben erweckt. Und plötzlich, ganz unvermittelt, werden die Gebeine wieder mit Haut überzogen, Leben zieht dort ein, wo zuvor nur Tod zu erfahren war. Und mit dem Leben Gottes Geist. „Und siehe ein Beben: Die Gebeine rückten zusammen, Bein an Bein. Und als ich hinsah, siehe, da waren Sehnen auf ihnen, Fleisch umgab sie und Haut überzog sie von oben. Aber es war kein Geist in ihnen. Da sagte er, Gott, zu mir: Rede als Prophet zum Geist, rede prophetisch, Menschensohn, sag zum Geist: So spricht Gott, der Herr: Geist, komm herbei von den vier Winden! Hauch diese Erschlagenen an, damit sie lebendig werden … und es kam der Geist in sie. Sie wurden lebendig und sie stellten sich auf ihre Füße – ein großes gewaltiges Heer.“ (Ez 37,3)

Kann diese Kirche wieder lebendig werden? Das weiß nur Gott. Ich aber will es hoffen mit all denen von Ihnen, die ihr Hoffen noch nicht aufgegeben haben, die weiterhin an eine neue Gestalt von Gemeinde glauben möchten und auferstehen wollen in der Kraft des Heiligen Geistes zu dem, wozu Gott seine Kirche berufen hat.

So will ich beten: Geist, wärme du, was kalt und hart,/ löse, was in sich erstarrt,/ lenke, was den Weg verfehlt.

Gib dem Volk, das dir vertraut, das auf deine Hilfe baut, deine Gaben zum Geleit.

Lass es in der Zeit bestehen, deines Heils Vollendung sehn und der Freuden Ewigkeit. Amen.

Anbei das Lied „Atme in uns Heiliger Geist“ von Priester-Kollegen von Pater Peter: