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Pfarrer Kreitmeir: „Im Leiden kann man wirklich echte Liebe lernen“

In seiner Auslegung zum heutigen Sonntagsevangelium (Joh 12, 20-33) plädiert unser geistlicher Begleiter Pfarrer Christoph Kreitmeir dafür, im Bewusstsein der Heilstat Christi den Blickwinkel auf das Leid zu ändern.

Anbei die Worte seiner Predigt als Audio-Datei und anschließend im Text-Format:

 

 

„Wer leben will, muss leiden.“

Was für ein provokativer Satz!

Keiner will ihn hören, geschweige denn erleben … und doch ahnen wir im Laufe unseres voranschreitenden Lebens, dass es ohne Leiden nicht abgehen wird.

Also machen wir es wie die meisten Menschen: Wir versuchen, das Leiden zu vermeiden, ihm auszuweichen und, wenn es dann halt mal doch kommt, es so schnell wie möglich wieder loszuwerden und hinter uns zu lassen.

Keiner will gerne leiden, keiner!

Keiner?

Wir haben von einem gehört, der unermessliches Leiden ganz bewusst auf sich genommen hat. Wir haben seit Kindesbeinen von ihm gehört, wir sind als Christen sogar auf ihn getauft. Er heißt Jesus von Nazareth und wurde für die, die an ihn glauben, zum Christus, zum Erlöser.

Das Leiden in dieser Welt ist seit seinen Tagen nicht weniger geworden, aber durch sein stellvertretendes Tun für das Leiden der Menschen hat sich der Blickwinkel geändert.

Das an sich sinnlose Leiden bekommt einen Sinn, wenn seine Negativenergie durch den Blick auf Jesu Kreuz ins Positive umgelenkt werden kann.

So kann das eigene Leiden nicht nur besser ertragen werden, es bekommt dadurch sogar einen neuen Sinn: Seine verwandelte Energie kann anderen geschickt, geschenkt werden, damit diese ihr Leid besser durchleben, durchleiden können.

Den Blickwinkel auf das Leid ändern …

Genau das geschieht am 5. Fastensonntag, den Passionssonntag, den wir heute begehen. Dieser Sonntag ist eine Woche vor dem Palmsonntag, mit dem die Karwoche beginnt.

Den Blickwinkel auf das Leid ändern …

Wir sind in der Gefahr, uns an die Darstellungen der Kreuzigung Jesu zu gewöhnen, da wir sie immer wieder sehen –. Das ist mit ein Grund, warum wir – vor seinem großen Leiden am Karfreitag –  die Kreuze verhüllen. Dies geschieht normalerweise am Passionssonntag in allen katholischen Kirchen auf der ganzen Welt.

Jesus lässt uns heute im Evangelium in sein erschüttertes Herz und seine Gefühle hineinschauen. Wie ein vom Schicksal hart Getroffener spricht er Worte, wie „Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen …? Vater, rette mich aus dieser Stunde.“

Und dann ändert er den Blickwinkel, spricht vom Gleichnis des Weizenkorns, das sterben muss, damit neues, reicheres Leben werden kann. Jesus nimmt dieses Beispiel aus der Natur, toppt es gleichsam, denn wir alle kennen dieses Geheimnis der Natur, vergessen aber allzu leicht, dass es auch für uns und unser Leben gilt.

Dieses „Stirb und Werde“ gilt auch für unsere menschliche Existenz, ob wir es wollen oder nicht.

Aus Weizenkörnern wird Mehl und aus Mehl Brot, das Grundnahrungsmittel Nummer Eins.

„Loslassen lernen“ ist schwer. Bequemer ist es, einfach dort zu bleiben, wo wir sind. Sicherer scheint es zu sein, an dem festzuhalten, was wir haben. Doch dieses sich anklammernde Leben bleibt unfruchtbar wie das Korn, das nicht in die Erde gelegt wird.

Jeder sinnlos aufgebrauchte Tag ist dann ein Tag näher zum endgültigen Tod, solche Tage sind vertane, vergeudete Lebenszeit.

„Wer sein Leben liebt, wird es verlieren, wer aber sein Leben gering achtet, es sinnvoll für eine Aufgabe oder für andere hingibt, der wird es bewahren bis ins ewige Leben.“ Was für Worte. Was für eine Weisheit!

Der gläubige Christ kennt diese Wahrheit und er lebt sie: Wir haben das Leben noch vor uns, jeder sinnvoll gebrauchte Tag bringt uns dem eigentlichen, dem wahren Leben näher. Am allerletzten Tag unseres jetzigen Lebens – so das Evangelium – beginnt erst die Fülle des Lebens, das ewige Leben.

Im Leiden erfahren wir auf sehr eindringliche Weise eine Bewährungsprobe unserer menschlichen Freiheit. Im Leiden kann man wirklich echte Liebe lernen.

Der Franziskaner und moderne Mystiker Richard Rohr spricht von Lieben und Leiden als Königswege nach innen (Richard Rohr, Pure Existenz. Sehen lernen wie die Mystiker, München 2010, S. 146-147): „Nur Liebe und Leid sind stark genug, um die normalen Abwehrschirme des Egos zu durchbrechen … und uns für das Geheimnis zu öffnen. Liebe und Leiden sind Teil der meisten Menschenleben. Zweifellos sind sie die vorzüglichsten spirituellen Lehrmeister – mehr und besser als es Bibel, Kirche, Pfarrer, Sakramente oder Theologen sein können. … Liebe ist es, wonach wir uns sehnen. Sie ist es, wofür wir erschaffen sind. … Aber Leiden scheint oftmals der Türöffner dieses Bedürfnisses, dieser Sehnsucht und dieser Identität zu sein. Liebe und Leiden sind die beiden Hauptportale, die den Raum des Geistes und den Raum des Herzen erschließen…, sodass wir Weite, Tiefe und Gemeinschaft empfangen und empfinden. Fast ohne Ausnahme haben alle bedeutenden spirituellen Lehrer klare und starke Anweisungen zu Liebe und Leiden formuliert. Wer sich nie dorthin begibt, erfährt nie das Wesentliche.“

Wir gehen in großen Schritten auf die Karwoche mit Jesus Leiden, Sterben, Tod und Auferstehung entgegen. In all diesen existentiellen Erfahrungen, durch sie und mit Jesus als kundigen Begleiter und freundschaftlichen Erlöser dürfen und können wir Tieferes als Sinnbild für unser ganzes Leben erfahren:

Im Leiden muss man nicht zerbrechen, im Leiden kann man aufbrechen auf etwas Größeren hin.

Im Leiden kann man Lieben lernen und dabei Wege finden, die Hoffnung nie zu verlieren, auf Jesus zu schauen und mit ihm im Leiden nicht kaputt zu gehen, sondern zu reifen, zu wachsen und zum Eigentlichen zu kommen: Zur Wahrheit, Liebe, Reife und dem Durchsichtigwerden auf Gott hin.

Noch einmal mit Jesu Worten gesagt, die wir nicht oft genug hören können: „Wer sein Leben liebt, wird es verlieren, wer aber sein Leben gering achtet, es sinnvoll für eine Aufgabe oder für andere hingibt, der wird es bewahren bis ins ewige Leben.“ Amen.